Siegen. Siegener Soziologe über die großen Sympathien für die Bauern und dass die Landwirte keinen Umsturz, sondern Politik für ihre Bedürfnisse wollen.

Innerhalb der Bauernproteste, die in den vergangenen Tagen im ganzen Land stattfanden, gab es immer einzelne wieder Aktionen, die die Grenzen friedlichen Protestes womöglich überstiegen haben. Im Siegerland war eine Ampel an einer Galgen-Konstruktion aufgeknüpft, auch andernorts wurde mit symbolischen Gewaltfantasien hantiert. Der Protest der Landwirte gegen die Sparpläne der Bundesregierung ist hochemotional. Die Frage, ob und inwieweit die Bewegung von Rechtsextremen und Demokratiefeinden unterwandert ist, beantwortet Dr. Olaf Jann: Der Soziologe an der Universität Siegen beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit politischer Soziologie.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Die Bauernproteste erfahren aktuell sehr viel Sympathie aus der Gesellschaft, also auch von Menschen, die erstmal nicht direkt etwas mit der Protestbewegung zu tun haben. Wie ist das Ihrer Meinung nach zu erklären?

Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Proteste der Bauern aus der Mitte der Gesellschaft kommen, von einer sozialen Gruppe, bei der bekannt ist, dass sie weder links- noch rechtsradikal ist und dass es eine Gruppe ist, bei der man auch weiß, dass sie sehr hart für ihren Lebensunterhalt und die Ernährung der Bevölkerung arbeitet. Das ergibt schon eine Grundsympathie. Ein anderer Punkt ist, dass nicht nur die Bauern die politischen Zumutungen der Erhöhung der Energiepreise (welche die höchsten in Europa sind) oder die hohen Steuern- und Sozialabgaben (welche ebenfalls die höchsten in Europa sind) spüren. Die Probleme, welche die Bauern hier explizit und implizit ansprechen, betreffen auch fast jede andere Bevölkerungsgruppe. Deshalb ist die Sympathie natürlich sehr hoch, weil die meisten Bürger die politische Verteuerung der Lebenshaltungskosten ebenso erleben und somit nachvollziehen können.

Dr. Olaf Jann, Soziologie Uni Siegen
Dr. Olaf Jann, Soziologie Uni Siegen © Zentrale | Dr. Olaf Jann/Uni Siegen

Es gab im Rahmen der Bauernproteste immer wieder Aktionen, die über die Stränge geschlagen haben. Zum Beispiel die Aktion, bei der eine Ampel in einen Galgen gehangen wurde. Es sind ja nicht alle Bauern plötzlich rechtsextrem und versuchen die Regierung zu stürzen. Wo kommt der Hass gegen die Ampelregierung her?

Die Rede von Umsturzfantasien, die in Medien und Politik oftmals bemüht wird, ist natürlich absurd. Die Bauern wollen keinen Umsturz und auch kein anderes politisches System. Sie wollen, wie die meisten anderen Bürger auch, eine Politik, die sich stärker an den Interessen und Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert. Dass es bei solchen Großprotesten immer Menschen gibt, die etwas über die Stränge schlagen und die dann gewisse Grenzen überschreiten, ist nicht ungewöhnlich. Das ist bei allen Protestgruppen so. Dies kann man nie so kanalisieren und disziplinieren. Die Proteste sind aber natürlich auch sehr emotionalisiert. Das hängt damit zusammen, dass von der Politik eine starke Gegenreaktion kommt. Da wird den Leuten vorgeworfen, dass sie demokratiefeindlich oder rechts unterwandert sind. Und das führt in der Regel auf der Gegenseite zu einer starken Emotionalisierung. In einem anderen Interview für die WP hatte ich dies schon angesprochen. Es ist genau der Fehler, den die Politik eigentlich nicht machen sollte, diese Proteste als demokratiefeindlich zu diffamieren. Dies erhöht nur die Verhärtung des Diskurses.

Teile der Proteste hier in Siegen wurden von AfD-nahen Personen organisiert. Die Partei lehnt Agrarsubventionen ja eigentlich ab. Wie würden sie das beurteilen? Gibt es ihrer Meinung nach eine Unterwanderung bzw. eine Instrumentalisierung dieser Bauernproteste für demokratiefeindliche Zwecke?

Das Wort Unterwanderung finde ich in diesem Zusammenhang sehr überzogen und verfehlt. Dass politische Parteien versuchen, bestimmte Ereignisse oder Proteste für sich zu nutzen, ist völlig normal, legitim und politische Praxis. Das haben die Grünen auch bei ihnen nahestehenden Aktivistengruppen versucht. Zum Beispiel bei der „Letzten Generation“ oder bei „Fridays for Future“. Auch hier hatten die Grünen viel Sympathie dafür und haben – zumindest anfangs – versucht, dies für ihre Zwecke zu nutzen. Dass die AfD oder die CDU oder die Freien Wähler das ebenso für ihre politischen Ziele zu nutzen versuchen, ist politische Praxis und legitim. Von Unterwanderung würde ich da auf keinen Fall sprechen. Es ist ja eine Riesenbewegung, die vom Bauernverband in Gang gesetzt worden ist, und diese ist mit Sicherheit nicht rechts unterwandert; ebenso wie die Solidarität anderer Bevölkerungsgruppen.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++

Also eine rechte Unterwanderung gibt es aus ihrer Sicht bei den Bauernprotesten nicht, sondern extreme Aktionen sind Einzelfälle.

Genau, das würde ich als emotionalisierte Einzelfälle sehen, die es bei solchen Protestaktionen immer gibt.

Die Polizei sperrt am Montag, 8. Januar, wegen einer Fahrzeug-Demonstration mit Bezug zu den Bauern-Protesten die Siegener Innenstadt.
Die Polizei sperrt am Montag, 8. Januar, wegen einer Fahrzeug-Demonstration mit Bezug zu den Bauern-Protesten die Siegener Innenstadt. © WP | Hendrik Schulz

.