Siegen. Die 75-jährige Uschi Stemann erzählt von ihren Sorgen vor einem wachsenden und radikalen Populismus im Siegerland und davon, wie sie damit umgeht.

„Es lässt mich nicht kalt, was in der Gesellschaft passiert“, betont Uschi Stemann. Besondere Sorgen bereitet ihr der wachsende Populismus. Die Gedanken über die aktuellen gesellschaftlichen und demokratischen Entwicklungen lassen sie nicht los: „Ich merke auch, dass ich schlecht schlafe. Das Thema hält mich oft noch nachts wach“, erzählt sie. Sie spricht auch mit anderen über die Sorgen, ist damit nicht die Einzige in ihrem Umfeld, trotzdem ist sie am Anfang des Gespräches etwas angespannt.

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Ob sie sich mit Bild in die Zeitung traut, ist für Uschi Stemann zumindest die Frage wert. Letztlich entscheidet sie sich dafür. Doch die mediale Präsenz bringe immer wieder Populisten auf, erklärt sie. Als Gründerin der Siegener Gruppe „Omas gegen Rechts“ setzt sie sich schon seit Jahren für eine demokratischere Gesellschaft ein.

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Die Gründung der „Omas gegen Rechts“

„Hellhörig bin ich 2010 geworden als der Sarrazin dieses Buch geschrieben hat“, erinnert sich die 75-Jährige. Gemeint ist das Buch „Deutschland schafft sich ab“, das 2010 große mediale Aufmerksamkeit erhielt und stark umstritten war. „Das hat mich schon beschäftigt“, erzählt Uschi Stemann.

Für sie kein neues Thema: „Es ist nicht so, dass das ein Weckruf war“, sagt sie. Bereits in den 1970er und 80er Jahren hat sie sich aktiv in die demokratischen Prozesse eingebracht. Ein großes Thema sei für sie damals der Feminismus, aber sie habe sich auch für die Entnazifizierung der Politik eingesetzt.

Auf Demos habe sie vor wenigen Jahren mehrere ältere Leute getroffen, die genauso entsetzt über die politischen Entwicklungen waren, wie sie selbst. Da habe sie die Siegener „Omas gegen Rechts“ gegründet. „Parallel dazu haben uns diese Multikrisen eingeholt“, sagt sie. Corona, Klimakrise, Krieg. „Im Hintergrund schwelten immer die russischen Angriffe – was Angst macht“, erinnert sie sich.

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Der Hass im Netz wird stärker

Das Thema der Gruppe blieb jedoch: „Der wachsende Populismus, der sich meiner Meinung nach auch radikalisiert“, erklärt Uschi Stemann. Ein Thema greift ins andere: „Und was ich wirklich nicht wissen will, ist der Hass im Netz“, berichtet sie. Soziale Medien wie Instagram oder Facebook benutze sie bewusst nicht. „Vor dem Netz schütze ich mich“, sagt sie. Zu groß ist die Sorge, dem Fluss an Kommentaren schutzlos ausgeliefert zu sein: „Es raubt mir ein bisschen die Zuversicht“, bedauert Uschi Stemann.

Mit der intensiveren Beschäftigung mit dem rechten Milieu seien ihre Sorgen gewachsen. Besonders betroffen mache sie das Wahlverhalten der jüngeren Generation. „Das Thema verschärft sich. Es besorgt zunehmend und schürt Ängste“, sieht sie ihre Sorgen nicht unbegründet.

Im Siegerland: Die Rechten auf dem Land

Primär sorgt sie sich um die Situation im Siegerland, denn hier lebt sie seit gut 40 Jahren. Seit der Gründung der politischen Gruppe fühlt sie sich der Region mehr denn je verbunden, erklärt sie. Doch auch die deutschland-, europa- und weltweite Entwicklung gibt ihr zu denken. „Es ist eine Besorgnis um die Demokratie an sich“, erzählt sie. „Die rechte Gewalt gefährdet diese natürlich am Allermeisten“, befindet sie. Und diese verstärke sich immer mehr. „Ich beobachte, dass auch in ländlichen Bereichen die Rechten sehr stark agieren“, sagt Uschi Stemann.

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Um dieser Angst nicht ohnmächtig gegenüber zu stehen, will sie ihr mit den „Omas gegen Rechts“ etwas entgegensetzen. Derartige Gruppen gebe es auch in anderen Ländern, berichtet sie. In den nächsten Monaten sei die Siegener Gruppe beispielsweise nach Wien eingeladen worden: „Das ist auch etwas, was Mut macht, so eine Bewegung mitzuerleben“, freut sie sich darüber.

Aus dem Elternhaus habe sie ihr politisches Interesse jedoch nicht, erinnert sich die Uschi Stemann: „Meine Eltern waren unpolitisch.“ Die Mutter wählte, was auch der Vater wählte. Und bei den Fragen der Tochter, was „rot“ oder „schwarz“ denn bedeute seien sie schon an die Grenzen ihres politischen Wissens gekommen.

Mit dem Studium kam die Politik

Ein politisches Bewusstsein habe sie in ihren Studienzeiten in den 1970er und 80er Jahren entwickelt, erzählt die 75-Jährige. Seitdem sei es ihr erhalten geblieben: „Man kann so ein Rädchen nicht zurückdrehen. Das kann man nicht ausschalten“, sagt sie. Studiert hat sie damals Sozialpädagogik. Ein neuer Blick auf die Dinge habe sich ihr dadurch eröffnet und sie damit in ihrer Haltung bestärkt, berichtet sie. Je nach Lebensphase und Beschäftigung sei sie dann mal mehr und mal weniger politisch aktiv gewesen. Doch: „Eine politische Haltung hatte ich eigentlich mein ganzes Leben lang und als Rentnerin bin ich noch einmal aktiver geworden“, sagt sie.

Von der Gruppe von rund 45 Omas und Opas im Siegerland fühlt sie sich unterstützt, um mit den Ängsten und Sorgen umzugehen: „Es hilft uns wirklich auch, zusammen zu reden.“ Die Gleichgesinnten treffen sich nicht nur einmal im Monat, um zu planen, sondern zusätzlich einmal, um gemeinsam etwas zu unternehmen: „Wir sind froh, dass wir uns haben“, erklärt Uschi Stemann.

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