Siegen-Wittgenstein. Kreis: Siegen-Wittgensteins Natur sei womöglich gar nicht geeignet für einen Nationalpark – die Region sei dafür zu stark wirtschaftlich geprägt.
Dass der zweite Nationalpark des Landes in Siegen-Wittgenstein entsteht, ist ohnehin eher unwahrscheinlich. Das Eggegebirge in Ostwestfalen gilt als wahrscheinlichster Kandidat, auch wenn sich dort gerade Widerstand regt. Die Landräte anderer – theoretisch – in Frage kommender Regionen haben schon abgewunken. Auch Andreas Müller für Siegen-Wittgenstein: Das Verfahren der Landesregierung für die Bewerbung sei zu knapp, heißt es in der Vorlage für den Kreistag, der am Freitag, 22. September, darüber zu beschließen hat.
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Müller bezweifelt auch, dass eine wirtschaftlich starke Region wie Siegen-Wittgenstein geeignet ist für einen Nationalpark mit riesigen naturbelassenen Gebieten. Gegen diese Ansicht regt sich Widerstand.
Kandidat für NRW-Nationalpark: Rothaarkamm und Wiesentäler in Siegen-Wittgenstein
Vor allem geht es um das FFH-Gebiet („Fauna-Flora-Habitat“) „Rothaarkamm und Wiesentäler“, das sich von Nordwest nach Südost zwischen Hilchenbach-Lützel und Netphen-Hainchen auf Siegerländer Seite und Erndtebrück auf Wittgensteiner Gebiet erstreckt und das die Landesregierung als potenziellen Nationalpark-Kandidaten genannt hatte. Ebenfalls denkbar wäre laut Kreisverwaltung das Schutzgebiet „Schanze“ zwischen Bad Berleburg und dem Hochsauerlandkreis. Ein wesentliches Kriterium für Nationalparke ist, dass sie „unzerschnitten“ sind, dass also keine oder nur sehr wenige Straßen durch ein großräumiges, zusammenhängendes, ökologisch hochwertiges, nicht oder wenig vom Menschen beeinflusstes Gebiet führen.
Ein Großteil des Rothaarkamms besteht laut Naturschutzbund NABU aus bodensauren Buchenwäldern und Fichtenforsten. Es kommen demnach „überregional bedeutsame Fließwassersysteme“ vor, daher gebe es feuchtigkeitsabhängige Lebensraumtypen wie Moor- oder Auwälder mit vielschichtigen unterschiedlichen Biotopen, in denen auch gefährdete Arten wie Haselmaus oder Rotmilan vorkommen. Der Sache nach handelt es sich um eine Art großes Naturschutzgebiet, erläutert die Kreisverwaltung.
Kaum Zeit: Kreis Siegen-Wittgenstein befürchtet Spannungen in Nationalpark-Debatte
Unabhängig von der Qualität der Gebiete – Nationalparke sollen nationales Naturerbe bewahren, außerdem der Erholung dienen und einen Bildungsauftrag erfüllen – sieht der Kreis es angesichts des knappen Zeitraums als so gut wie unmöglich an, eine angemessene Bewerbung einzureichen. Alle Kommunen müssten die dazu notwendigen Entscheidungen mittragen; die Bevölkerung und relevante gesellschaftliche Gruppen das Vorhaben nicht nur akzeptieren, sondern unterstützen; Grundstückseigentümer und -bewirtschafter zustimmen.
Einmal ist da das Zeitfenster: Das öffne sich Anfang Oktober und schließe sich bereits Ende März wieder – „mehr als ambitioniert“, findet Andreas Müller das in seinem Papier für den Kreistag. Zu viele offene Fragen in zu kurzer Zeit würden zu Spannungen und Diskussionen zwischen den Beteiligten führen.
Kreis: Siegen-Wittgenstein eine der stärksten Wirtschaftsregionen in NRW
Der Landrat stellt aber auch in Frage, ob das Gebiet überhaupt geeignet sei: Weite Teile der Fläche seien intensiv bewirtschaftet worden – ihre ökologische Qualität im Sinne des Landes sei daher fraglich. Zwar böten sie nicht zuletzt wegen der Borkenkäferkalamität einiges Entwicklungspotenzial, die Eigentumsverhältnisse sind aber sehr kleinteilig. Entsprechend könnte es kompliziert werden.
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Landrat Müller meldet generell „erhebliche Skepsis“ an, dass „diese Region im südlichsten Westfalen, die gleichzeitig eine der stärksten Wirtschaftsregionen in Nordrhein-Westfalen ist, tatsächlich dafür geeignet ist, auch wenn die Natur- und Kulturlandschaft in Siegen-Wittgenstein natürlich schützenswert sei. Derzeit wird der Regionalplan überarbeitet, es geht um Flächen für Wohnen, Gewerbe, Infrastruktur, Windenergie – mit Ausweisung eines neuen Nationalparks sei all das nur schwer in Einklang zu bringen. Bereits bestehende Nationalparke liegen demnach in Gebieten, die wirtschaftlich „erheblich schwächer strukturiert“ sind als Südwestfalen. Von einem „Nationalpark-Tourismus“ dürften kaum ökonomische Effekte ausgehen, die auch nur annähernd an die Leistungsfähigkeit des heimischen Mittelstands heranreichten.
Grüne glauben an mehr Tourismus in Siegen-Wittgenstein durch Nationalpark
Die Grünen im Kreistag geben dem Landrat zumindest auf der Zeitschiene Recht und kritisieren Landesregierung wie auch NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) für den Schnellschuss: Andere Gebiete, die aus Düsseldorf genannt wurden, hätten sich schon seit Jahren auf eine mögliche Nationalpark-Bewerbung vorbereiten können – im Gegensatz zu Siegen-Wittgenstein.
Allerdings sieht die Fraktion die Vorteile eines Nationalparks in Siegen-Wittenstein, argumentiert die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Meike Menn: Neben Naturschutz eine touristisch-wirtschaftliche Entwicklung und neue, sichere Arbeitsplätze. „Mit einer überhasteten und vorschnellen Absage des Kreises Siegen-Wittgenstein sind die positiven Effekte für die Region in der Form nicht mehr zu erreichen“, so Fraktionsvorsitzender Ulrich Schmidt-Kalteich. Die Grünen beantragen, noch nicht auf die Bewerbung zu verzichten; der Landrat solle sich vielmehr für eine Fristverlängerung und ein gleichgestaltetes Beteiligungsverfahren für alle Bewerbungsregionen einsetzen.
NABU Siegen-Wittgenstein: Für Nationalpark nur Natur im Staatseigentum nutzen
Prof. Klaudia Witte, Vorsitzende des NABU Siegen-Wittgenstein, hält es für ein „fatales Signal“ für Natur- und Artenschutz, sollte sich der Kreis Siegen-Wittgenstein nicht in den Findungsprozess einbringen.
Der NABU-Landesverband unterstütze die Landesregierung dabei, die Bevölkerung in einem ergebnisoffenen Prozess einzubinden, schalte dazu in Kürze eine Online-Petition frei: Bürgerinnen und Bürger sollen zunächst darüber abstimmen können, ob sie überhaupt einen zweiten Nationalpark in NRW wollen. Mit den Unterschriften der Online-Petition werde der NABU das große Interesse der Bevölkerung belegen und Druck auf politische Entscheidungsträger ausüben.
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Witte schlägt vor, sich auf Gebiete in Staatseigentum zu beschränken – Findungsprozess und Beteiligung relevanter Akteure seien dann überschaubar und in dem vorgegebenen Zeitraum machbar; das Umweltministerium unterstütze dabei. „Eine Nicht-Beteiligung des Kreises Siegen-Wittgenstein hätte Signalwirkung für die anderen Kreise, diese Chance für den Natur- und den Artenschutz in NRW ebenfalls verstreichen zu lassen.“