Dreis-Tiefenbach. Im Töpferkurs „Ton spüren und formen“ können sich Menschen mit Demenz kreativ verwirklichen. Für Pieter ist das Projekt mehr als nur ein Hobby.

Im Töpferkurs „Ton spüren und formen“ gibt Künstlerin Richarda Diehl Menschen mit Demenz und deren pflegenden Angehörigen die Möglichkeit, sich kreativ zu verwirklichen. Ob kleine Tonfiguren, Vasen oder bunte Teller – während des Workshops kann jeder seiner Fantasie freien Lauf lassen. Über die Alzheimer Gesellschaft Siegen kommen so nun schon seit knapp zwei Jahren vier bis acht Teilnehmer einmal monatlich in Dreis-Tiefenbach zusammen, um Kunstwerke anzufertigen. Im Laufe dieses Schaffens sind echte Freundschaften entstanden.

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Um kurz vor 16 Uhr ist es wieder so weit. Die Arbeitsplatten liegen auf den Tischen, darauf die aktuellen Kunstprojekte der Workshop-Teilnehmer. Der Brennofen läuft bereits auf Hochtouren. Ergänzende Materialien wie bunte Farben und Schablonen liegen bereit. Die Teilnehmer gehen sofort ans Werk. Während Doris mit Schablonen verschiedene Förmchen aus Ton erstellt, bastelt Pieter konzentriert am Grundgerüst seiner neuen großen Skulptur. Unter den Augen von Kursleiterin Richarda Diehl geht es an allen Ecken und Enden voran. Nach mittlerweile fast zwei Jahren hat sich bei allen Teilnehmern eine gewisse Arbeitsroutine entwickelt – jeder Handgriff sitzt.

Gruppe schafft viele Eigenkreationen

Auch Heinrich zeigt stolz die Umrisse seinen neuen Vogels, den er aus Ton angefertigt hat. Nachdem er beim letzten Termin einen Vogelkörper getöpfert und gebrannt hat, steht nun die farbliche Gestaltung auf dem Programm. Zum bunten Anzug darf auch die passende Kopfbedeckung nicht fehlen.

Der Rentner ist um keinen lockeren Spruch verlegen und bringt viel Stimmung in die Gruppe. Während seiner fast zweijährigen Zeit im Töpferkurs hat er sich auf die Anfertigung von Katzen- und Vogelfiguren spezialisiert. Der frühere Buchautor hat dabei den richtigen Arbeitsablauf genau im Kopf. „Richarda hat es mir vorgezeichnet, dann habe ich es ausgeschnitten, getöpfert und gebrannt“, erzählt er von der Anfertigung einer seiner ersten Schwalben. Inzwischen hat diese einen festen Platz an einem Baum im Garten gefunden. Die Tonfigur wirkt so echt, dass sogar Tiere auf die Schwalbe hereinfallen. Bereits unmittelbar nachdem er sein Kunstwerk aufhing, versuchte eine der Familienkatzen den Vogel zu fangen. Zur Überraschung der Katze ließ sich das „Tier“ aber nicht so leicht herunterziehen.

Kursleiterin Richarda Diehl zeigt Heinrich, wie er seinen getöpferten Vogel gestalten kann.
Kursleiterin Richarda Diehl zeigt Heinrich, wie er seinen getöpferten Vogel gestalten kann. © WP | Daniel Engeland

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Kunstwerke als Geschenkideen

Außer Tonfiguren entstehen während des Kurses viele bunte Becher und Teller sowie Skulpturen – einige Schmuckstücke finden sogar Gebrauch in den eigenen vier Wänden. Andere Gegenstände werden zu Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenken für die Familie. Bodo erinnert sich mit seiner Frau Doris noch genau daran, wie er selbst gemachtes Geschirr weiterverschenkt hat – für den Rest findet sich im Alltag eine Verwendung: „In anderen Schalen haben wir zuhause Schnuck drin“, berichtet er stolz von seinen Arbeiten im Kurs.

Pieter hat ebenfalls ein Faible für Tierfiguren – beim Töpfern hat es ihm besonders das Eichhörnchenmotiv angetan. Der 65-Jährige arbeitete seit den 80er-Jahren als Intensivmediziner und beschäftigte sich über Jahrzehnte in der DRK-Kinderklinik mit Pränataldiagnostik. Nach weit über 30 Jahren ist aber damit von jetzt auf gleich Schluss: Die Diagnose Alzheimer trifft ihn und seine Familie bis ins Mark. „Ich merkte irgendwann, dass es schwer wird, und habe dann die Reißleine gezogen“, erzählt er von seiner schwierigen beruflichen Entscheidung. Gerade zu Beginn habe er gar nicht realisieren können, was die Diagnose für ihn bedeute – immer wieder habe er darüber nachdenken müssen, wie sich das Krankheitsbild entwickle. „Man hat seine Tiefen und denkt darüber nach, wie wird es weitergehen. Man weiß nicht, wie ist man in drei oder fünf Jahren.“ Pieter entschließt sich dazu, offen und kreativ mit seiner Erkrankung umzugehen und findet im monatlichen Kurs von Richarda Diehl eine neue Leidenschaft.

Pieter arbeitet an der Grundstruktur seiner neuen Skulptur.
Pieter arbeitet an der Grundstruktur seiner neuen Skulptur. © WP | Daniel Engeland

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Töpfergruppe als „Rettungsanker“

Der Rentner betont, dass „die Diagnose damals ziemlich reingehauen habe“, jedoch „die Gruppe dann ein stückweit Anker für ihn war“. In vielen Gesprächen über Gott und die Welt, aber auch über den Umgang mit der Erkrankung seien enge Verbindungen unter den Kursteilnehmern entstanden – unabhängig davon, ob als Person mit Demenz oder pflegender Angehöriger. Das sieht auch Doris so: „Die Gemeinschaft gibt mir wirklich viel“, sagt sie über die vielen lustigen Gespräche und Witze im Kurs.

Kursleiterin Richarda Diehl möchte die positive Energie zwischen den Teilnehmern nicht missen und weiter fördern. Nachdem bereits im vergangenen Jahr ausgewählte Kunstwerke in einer eigenen Ausstellung im „Cafe Schmatz“ große Aufmerksamkeit erlangten, soll es im kommenden September mit dem „Keramikmarkt Klein und Fein“ zu einer weiteren Veranstaltung kommen. Die Siegenerin weiß aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres, wie wichtig solche Veranstaltungen für die Gruppendynamik sind und hofft, dass der Töpferkurs noch lange bestehen bleibt und weiter wächst.

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