Netphen. Einmal Schwein und zurück: In der Grundschule Netphen realisieren Kinder kleine Filme zu selbst erdachten Storys. Und lernen eine Menge dabei.

Wie kriegt man die Spielfigur dazu, auf dem Spielfeld immer jede dritte Station zum Leuchten zu bringen? Bei eins und zwei klappts, bei drei – zuerst nicht. „Ich hab’s.“ Erik und Oli, die beiden Zweitklässler, haben den Dreh raus, wie sie mit Scratch programmieren müssen. Am Tisch gegenüber möchten Marwan und Marcus aus der 4 ihren Gästen „Ohio Street“ vorführen: So heißt die Geschichte über die beiden Jungen, die von einem Zauberer in Schweine verwandelt werden – und die selbstverständlich ein Happy End hat. „Mach mal Airdrop an“, sagt Lehrerin Hannah Kania, „ich schick dir das eben.“

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Stadt Netphen sorgt für technische Unterstützung

Die Grundschule Netphen ist digital. Wie digital, das zeigt sie an diesem Vormittag Mitgliedern des Schulausschusses, den für die Schulen und die Finanzen zuständigen Fachbereichsleitern, dem Kämmerer und dem Bürgermeister. Verstecken muss sich hier niemand. Das Netz einschließlich WLAN funktioniert, die Geräteausstattung mit digitalen Tafeln und Ipads passt, und um den Support kümmert sich Torben Langenbach, der Chef-ITler bei der Stadt, selbst bei Problemchen, mit denen nach Auffassung des Schulministeriums die Lehrkräfte noch selbst zurechtkommen müssten.

Das Konzept

Von der ersten Klasse an lernen die Kinder den Umgang mit Ipad, PC und digitaler Tafel. Eingesetzt werden die „digitalen Werkzeuge“ in Deutsch, Mathematik, Sachunterricht, Religion und Musik.

Eingesetzt werden für Rechercheaufgaben Kindersuchmaschinen wie „Frag Finn“. Für das Kommunizieren untereinander und auch mit kranken Kindern zu Hause wird das Konferenzprogramm Teams eingeführt. In der vierten Klasse werden auch schon Powerpoint-Präsentationen geübt.

Um Kinder vor missbräuchlichem Umgang mit digitalen Medien zu schützen, steht „Cool Strong Kids“ im Programm. Die Nutzung von Youtube, TikTok und anderen Anwendungen wird im Klassenrat besprochen.

Anstreben will die Grundschule Netphen Kooperationen mit außerschulischen Einrichtungen. Bibliotheken und Träger der Kinder- und Jugendhilfe verfügen ebenfalls über Angebote zur aktiven Medienarbeit. Außerdem als Idee im Raum steht eine Medien-AG im offenen Ganztag.

Theodor und Marleen, beide aus der 1 b, haben Kopfhörer auf. Die Stimme aus dem Ipad sagt, wie er die Schlange zeichnen kann, die auf dem Display abgebildet ist. „Die Katze habe ich schon gemacht“, berichtet Marleen. Die Kinder haben Papier vor sich und Buntstifte in der Hand. Vorn an der Tafel sehen die Gäste, wie ohne Schwamm und Kreide Tafelbilder entstehen, die mit Filmen und Fotos ergänzt werde, und Tafelbilder aus dem Speicher hervorgezaubert werden – die von vorgestern, oder die von gestern, die die Lehrerin zu Hause vorbereitet hat. „Dann hat ja gar keiner mehr Tafeldienst“, folgert Klaus-Peter Wilhelm, der die UWG im Schulausschuss vertritt.

+++ Lesen Sie auch: Die Grundschule Netphen hat ein kleines Parlament +++

Die Grundschule fährt alles auf: Mathilde, Lilly und Carla aus der 3 b bauen eine Bauernhofszene mit Tiermodellen auf, aus der Vielzahl schnell hintereinander aufgenommener Fotos wird ein kurzer Film. Heldin wird eine einäugige Katze. „Tiere, die krank sind, sind so gut wie andere Tiere“, lautet die Botschaft. Werden Geschichten jetzt multimedial auf dem Ipad erzählt und gar nicht mehr aufgeschrieben? Keineswegs, sagt Hannah Kania: Zuerst haben die Kinder die Geschichte aufgeschrieben, dann die Charaktere entworfen und schließlich die Bildhintergründe ausgesucht, bevor die App überhaupt geöffnet wird. „Da sitzen die richtig lang dran.“

+++ Lesen Sie auch: Irrsinn um leere Parketage in Netphen: „Dusseligen Klotz loswerden“ +++

Das Mathebuch auf der digitalen Tafel

„Die Mischung macht’s“, sagt Schulleiterin Annette Kramps. Nur für die wöchentliche Ipadstunde werden alle Kinder einer Klasse mit den Geräten ausgestattet. In der übrige Zeit sind die zwei Ipdas je Klassenraum Hilfsmittel wie viele andere auch, zum Beispiel für Ergänzungsaufgaben. „Die Arbeit wird erleichtert“, sagt Lehrerin Kirsten Wagner, die zusammen mit Kaltrina Hani-Ajvazi und Hannah Kania das Digital- und Medienteam des Kollegiums sind. Hannah Kania zeigt, wie die aktuelle Seite des Mathebuchs auf die digitale Tafel projiziert wird, wie man die Lösungen gleich ins Buch einträgt und mit dem – digitalen – Schwamm wieder wegwischt. Die Seiten sind abfotografiert, das digitale Buch wird zum nächsten Schuljahr geliefert. Kleiner Schönheitsfehler.

Ob es denn gar keine Nachteile gebe, will Bürgermeister Paul Wagener wissen: Können die Kinder überhaupt noch mit der Hand schreiben? Sicher, antwortet Konrektorin Kirsten Wüst: App Anton sieht sogar, wenn ein Kind die 7 von unten nach oben malt. Der Lehrerin wäre das in der vollen Klasse durchgegangen. Anton kontrolliert, fragt ab, hat zur Belohnung Spiele, und für einen Bewegungs-Break ist immer ein Tanzvideo abrufbar. Beim Quiz dürfen auch die Erwachsenen mitmachen. Gut, nicht jeder kann von Minecraft zuordnen. Vor allem aber dürfte es an der Reaktionsgeschwindigkeit liegen, dass die Großen hier ziemlich alt aussehen. Immerhin haben es alle geschafft, sich mit der PIN von der Tafel einzuloggen. Maro hat übrigens mit 5334 Punkten gewonnen – wer immer auch sich hinter dem Nickname verbirgt.

+++ Lesen Sie auch: 24 Mal Netphen: Vom Hufeisenpark bis zur Siegterrasse +++

Smartphones bleiben im Ranzen

Als die Kinder noch nicht dabei sind, interessieren sich die Erwachsenen für etwas ganz anderes: Wie ist das eigentlich mit den Handys an der digitalen Grundschule? Gar nicht, antwortet Annette Kramps. „Kein Kind in dieser Schule muss ein Telefon in der Tasche haben“ – weil immer jemand da ist, der helfen kann. Das haben auch die Kinder aus der Ukraine gelernt, denen eine Ausnahme erlaubt wurde: Nach 14 Tagen schalteten auch sie ihre Smartphones ab. Und die anderen Sachen, die man mit dem Smartphone machen kann, filmen und aufnehmen, will hier niemand erleben. Annette Kramps erzählt von einem erbosten Elternteil: Warum das Kind denn auf der Lützel und nicht in der Schule sei? Das Kind war, wo es sein sollte – die Großen waren mit dem Tracking nicht zurecht gekommen. „So hindert man Kinder am Großwerden.“

Im Klassenzimmer arbeiten Marwan und Marcus übrigens gerade an Teil 2 der Ohio Street. Wie die Fortsetzung der Geschichte mit den beiden Jungen ausgeht, die sich dank einer Sternschnuppe wieder in Jungen zurückverwandeln, wird wohl erst in einer der nächsten Ipadstunden feststehen. „Der Unterricht läuft ganz normal“, beteuert Kirsten Wüst gegenüber den staunenden Gästen. An der digitalen Tafel läuft ein Countdown. Bald sind Ferien.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++