Siegen. Er hat das Siegener Sommerfestival miterfunden, Programmkino in die Stadt gebracht, hatte die Idee zu Kultur Pur: Die Ära Stephan Schliebs endet.

Kaum jemand hat das Kulturleben in Siegen und Umgebung maßgeblicher, nachhaltiger und länger beeinflusst als Stephan Schliebs. Seine Leidenschaft, Kultur zu organisieren, begann im Münsterland, wo er auch geboren wurde und aufgewachsen ist und wo er schon zu Schulzeiten und im Zivildienst Veranstaltungen durchführte.

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Als er 1981 zum Studium nach Siegen kam, fiel ihm gleich das altbackene Kinoprogramm auf. Mit den Programmkinos in Münster war er mehr Vielfalt gewohnt. Also gründete er an der Uni das Panoptikum-Kino und kurz danach den Filmclub Kurbelkiste. Spielstätte war, vom Siegener Kulturamts-Vize Gerd Lange vermittelt, die Bühne der Stadt Siegen. Dort stand im Vorführ-Raum ein bislang ungenutzter 35mm-Filmprojektor. Hier kommt erstmalig die Nachhaltigkeit der Initiativen von Stephan Schliebs ins Spiel: Panoptikum und Kurbelkiste gibt es auch nach 40 Jahren noch.

Tom Gerhardt war der erste deutsche Comedian auf der Siegener Bühne

Die nächste Aufgabe ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem von 1983 bis 1987 im Sommer schon erste Theaterevents im Schlosshof stattfanden, initiiert vom damaligen Kulturkreis-Chef Ulrich Kaegi, sah Stephan Schliebs ein neues Arbeitsfeld. Bereits 1988 schlug die Geburtsstunde des Siegener Sommerfestivals. Top-Acts waren damals die Gesangsformation „Five Pipes“ aus Köln, das „Rocktheater Nachtschicht“, garniert mit Kultfilmen wie „ Dr. Mabuse“ und „Down by law“. Auch die heimische Band „Pieps and Friends“ war mit an Bord. Im Jahr danach wurde es mit „Nickelodeon“ (Schliebs: „Das Beste an Comedy, was England damals zu bieten hatte“) international und stand mit Tom Gerhardt (Im Fernsehen bekannt durch Hausmeister Krause: „Alles für den Dackel, alles für den Club“) erstmals ein deutscher Comedian auf der Siegener Bühne. „Tom Gerhardt hat das ‘Comedy’-Genre in Deutschland salonfähig gemacht.“ Denn: „Kultur darf auch Spaß machen.“

Vom anfänglichen Geheimtipp entwickelten sich die Veranstaltungen im Schlosshof immer mehr zu Publikumsmagneten. Was neben den späten Anfangszeiten um 21 Uhr („Je dunkler es wird, umso mehr entsteht eine Theater-Atmosphäre“) auch an den Stars lag, die er nach Siegen holen konnte: Arlo Guthrie, den Sohn der Folk-Legende Woody Guthrie, den spanischen Sänger und Gitarristen Jose Feliciano, den Jazzer Paul Kuhn oder im letzten Jahr Schauspieler Ulrich Tukur mit seiner schrägen Band und dem noch schrägeren Programm. Nie vergessen wird Stephan Schliebs den Auftritt der Vokalband „Zapp Mama“, als der Schlosshof rappelvoll war, auch bei strömendem Regen niemand nach Hause ging und die belgischen Damen genau diese Regengeräusche in ihr Programm einbauten.

Bei Kultur Pur musste Siegens Kommunalpolitik schlucken: Geld für außerhalb der Stadt

Und dann das Konzert von Götz Alsmann und seiner Band. Alle 500 Open-Air-Tickets waren verkauft, aber Gewitter angesagt. „Damals waren die Wetterprognosen noch nicht so präzise wie heute. Ich habe mich mittags entschieden, das Event in den Ersatzspielort Bühne der Stadt Siegen zu verlegen – und lag (ausnahmsweise) falsch: Das Unwetter blieb aus.“ Der angenehme Nebeneffekt: In die Bühne passen über 800 Zuschauer und alle Plätze waren besetzt. Die bestbesuchte Festival-Konzert überhaupt, mal abgesehen von Nigel Kennedy und Helge Schneider, die anlässlich des „Fußball-Märchen 2006“ am Unteren Schloss auftraten.

Und natürlich Kultur Pur, das deutschlandweit bekannte Pfingsterlebnis auf dem Giller. Die Idee kam ursprünglich von Stephan Schliebs und wurde dann zusammen mit den damaligen Kulturmachern Michael Townsend (Kreuztal) und Hartmut Kriems (Hilchenbach) entwickelt: „Auf einer Rückfahrt von einer gemeinsamen Dienstreise.“ Kriems hatte die zündende Idee, das Festival auf dem Giller stattfinden zu lassen. Wolfgang Suttner als frischgebackener Kulturreferent des Kreises bündelte dann die Ideen und die Arbeit aller Beteiligten. „Siegens Kommunalpolitiker mussten zunächst tief schlucken, ein Festival mitzufinanzieren, das außerhalb der Stadt stattfindet“, erinnert sich Schliebs.

„Als Veranstalter fühlt man sich in Siegen von Prüfern und Aufpassern umzingelt“

Stephan Schliebs sieht aber auch Regenwolken am Himmel der Kultur, die sich schon im vergangenen Jahr trotz besten Wetters durch deutlich zurückgehende Besucherzahlen zeigten. Live-Kultur werde nicht mehr so wertgeschätzt wie noch vor Jahren: „Unter anderem, wenn ich sehe, wie Konzertbesucher ihre Smartphones in die Luft halten, überhaupt nicht mehr auf die Bühne schauen, nur damit sie dieses Event dann über TikTok in die Welt schicken.“

Ebenfalls frustriert ist Schliebs über eine aus seiner Sicht völlig „entfesselte Sicherheitsarchitektur“, die von Behördenseite gefordert wird und unverhältnismäßig viel Arbeitszeit bindet: Überzogene und praxisferne Anforderungen von Bauaufsicht, Feuerwehr und Ordnungsbehörden, zeitraubende Auftrags-, Vergabe- und Prüfverfahren. Für die diesjährigen Events am Oberen Schloss soll er etwa haarklein aufzählen, was alles an Technik auf der Bühne stehen wird. Allein dazu hat er auf 40 Seiten Bühnenmaterial aufgelistet und eingereicht. „Als Veranstalter von Open-Air-Veranstaltungen, egal ob städtisch oder privat, fühlt man sich in Siegen von Prüfern und Aufpassern regelrecht umzingelt“, sagt Stephan Schliebs fast resignierend.

Herzenswunsch: Dass etwas von der „Schliebs-Kultur“ in Siegen weiterlebt

„Hoffentlich wird es das Bühnenprogramm im Schlosshof weiter geben. Es ist der schönste Spielort weit und breit“, sagt Stephan Schliebs. Fester Bestandteil bleibt auch das Kindertheater, das an jedem Ferien-Samstag jeweils um 15 Uhr im Schlosspark stattfindet. Ein neues Zeltdach wurde vor einigen Tagen an der gewohnten Stelle installiert. Er selbst war beim Aufbau mit dabei. Die Vokal-Reihe, die er vor Jahren vom Schlosshof ins Apollo-Theater gebracht hat und, wie man hört, wieder aufleben soll. Der Auftritt der Londoner A-Cappella-Sensation „Swingle Singers“ am 24. Juni wird das letzte Konzert-Highlight der Ära Schliebs sein.

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Seit über 20 Jahren ist Köln der Lebensmittelpunkt von Stephan Schliebs: „Sobald ich über die Severinsbrücke nach Köln reinfahre, fühle ich mich frei und zu Hause.“ Was er sich am meisten wünscht: „Ermöglichungs-Kultur“ und dass all das weiterlebt, was er kulturell in der Region angestoßen, entwickelt und organisiert hat. Besonders freut er sich, nach langer Zeit noch einmal das Jazz-Festival in Montreux besuchen zu können. Das ging 35 Jahre lang nicht. Denn zur selben Zeit hatte er Hochsaison: Beim Siegener Sommerfestival.