Hilchenbach/Rahrbach. Günter Pulte hat den Hilchenbacher Windpark auf der Lümke gebaut. Die neuen Bekenntnisse zur Windenergie hält er für wenig glaubwürdig.
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin das Ziel ausgibt, bis 2030 jeden Tag fünf neue Windräder zu genehmigen, versteht Günter Pulte im weit entfernten Sauerländer Dorf Rahrbach die Welt nicht mehr Der erfahrene Windbauer versucht, seit mehr als einem Jahrzehnt den größten Windpark der Region zu errichten, an der Kreisgrenze in den Gemeinden Kirchhundem und Hilchenbach. „Die Realität sieht anders aus als in den Talkshows dargestellt, wo Wirtschaftsminister und andere Politiker Sprüche klopfen, vom Ausbau Erneuerbarer Energien oder vom Doppelwumms fabulieren.“ Ob es mit der neuen Gesetzeslage ab Februar schneller gehe, bleibe abzuwarten. „Wahrscheinlich geht es ein bisschen schneller, aber sicher nicht, wie es sich Kanzler und Wirtschaftsminister vorstellen.“
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Jeder Bürger, so appelliert Pulte, habe die Pflicht, sich gegen die ausufernde Bürokratie zu empören. „Scholz hat von einem Ausbau der Windenergie im Deutschlandtempo gesprochen. Als ich den Satz hörte, wurde mir ganz elend. Das Deutschland-Tempo habe ich viele Jahre am eigenen Leib erfahren. Wir hatten für unser Windparkprojekt bisher einen unglaublichen Aufwand, vor allem, was Umweltauflagen und Artenschutz angeht. Diese Forderungen beider Kreisbehörden gingen weit über die gesetzlichen hinaus.“ Erst in den vergangenen Monaten habe sich der politische Wind völlig gedreht: „Wir werden, so bin ich optimistisch, in diesem Jahr eine Baugenehmigung bekommen.“
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Die Hersteller: Für Hilchenbach wird nun in Indien gebaut
Die Hersteller von Windenergieanlagen haben derweil ihre Kapazitäten massiv abgebaut. Werke in Deutschland mussten geschlossen werden. Das gilt auch für Enercon, den Partner von Rothaarwind auf der Hilchenbacher Lümke und dem neuen Windpark Rothaarwind 2 mit 17 Anlagen in Heinsberg und Hilchenbach. Günter Pulte: „Viele Produzenten sind abgewandert. Die sieben Windräder, die wir in Hilchenbach aufstellen wollen, werden zum Teil in Indien hergestellt, weil unsere Politik die deutschen Hersteller aus dem Land getrieben hat.“ Damit seien auch Arbeitsplätze vernichtet worden. Die Lieferzeit verlängere sich nun auf 18 Monate. Selbst mit der Baugenehmigung im Sommer 2023 werde es bis 2025 dauern, bis die ersten Anlagen errichtet werden könnten. Seit dem Beginn der Planung im Jahr 2011 seien dann 14 Jahre vergangen. Im Bundestagswahlkampf, so erinnert Günter Pulte, hätten die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) angekündigt, die Planungszeit für Windkraftanlagen von sechs Jahren auf sechs Monate zu beschleunigen. Pulte: „Selbst bei einer Planungszeit von sechs Jahren hätte ich ja gejubelt.“
Planverfahren in Hilchenbach
Die Stadt Hilchenbach wird derzeit an drei Genehmigungsverfahren für Windparks beteiligt. Zum einen wird der Bauantrag für die sieben auf Hilchenbacher Gebiet liegenden Anlagen von Rothaarwind vorbereitet, der in diesem Monat dem Kreis Siegen-Wittgenstein zur Genehmigung vorgelegt werden soll. Von den zehn Anlagen auf der Kirchhundemer Seite werden aktuell fünf im Verfahren bearbeitet: Die Genehmigung erteilt der Kreis Olpe.
Die Windräder für die Kirchhundemer Seite werden über Hilchenbach angeliefert. Die Stadt Hilchenbach hat gegenüber dem Kreis Olpe auf die Beschädigungen der Wilhelm-Münker-Straße sowie die Tonnagebeschränkung hingewiesen. Sie hat die Auflage gemacht, dass die Strecke nach Nutzung wieder in einen verkehrssicheren Zustand zu versetzen ist. Die Anlagen auf Hilchenbacher Gebiet werden über Erndtebrück transportiert. Dazu werden Waldwege ab dem Erndtebrücker Eisenwerk vorübergehend auf vier Meter verbreitert.
Hilchenbach wurde auch zu den Plänen für 28 Windrädern in Bad Berleburg und für 14 Windräder in Erndtebrück gefragt. Die Standorte sind zwischen zwei und 15,5 Kilometern vom Stadtgebiet entfernt. Die Stadt hat gegenüber dem Kreis Siegen-Wittgenstein dazu nichts vorgebracht.
Die Bürokratie: „Wir werden ersäuft“
Unabhängig von der Partei, die gerade regiere, erlebten die Windbauern eine ausufernde Bürokratie: „Das gilt nicht nur für die Planung, sondern mittlerweile auch ganz massiv für den Betrieb unserer Windkraftanlagen. Wir werden in Bürokratie ersäuft“, klagt Günter Pulte. Sein Beispiel: Eine Windkraftanlage benötigt intern Strom für Computer, für Lampen, Stellmotoren und Lüfter. Den Strom erzeugt die Anlage meist selbst. Der Strom ist von der Steuerpflicht ausgenommen. „Dennoch müssen wir einen Stromsteuer-Befreiungsantrag stellen. Am Ausfüllen dieser Anträge fürs Zollamt sitze ich jedes Jahr ein bis zwei Tage. Um zwei bis drei Wochen danach mitgeteilt zu bekommen: ,Sie sind nicht steuerpflichtig’.“
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Ein anderes Beispiel: das neue Strompreisbremsegesetz. Seit 1. Dezember müssen die Betreiber „Übergewinne“ versteuern. Als Übergewinn gilt der ,überhohe’ Preis, den ein Einspeiser derzeit an der Börse erzielt. „Was über 11 Cent hinausgeht, muss ich zu 90 Prozent abführen“, erklärt Günter Pulte: „Da die Stromhändler nicht bereit sind, diese Stromsteuer zu berechnen, und selbst unser Steuerberatungsbüro das ablehnt, weil es so kompliziert ist, müssen wir es selbst berechnen.“
Die Förderung der Erneuerbaren Energien mitsamt der Gründung der Kreisgesellschaft sei ein vom Kreis Olpe eingeschlagener Weg, den er absolut begrüße, sagt Günter Pulte. „Es kommt spät, aber es ist richtig. Das hätte man besser vor 10 Jahren gemacht.“ Mit Blick auf die Bundespolitik hat Pulte einen konkreten Vorschlag: „Ich würde gerne den Bundeskanzler und alle Minister zum vierwöchigen Praktikum in mein Büro einladen.“
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