Siegerland. Jack-Russell-Terrier Mylow ist schon 15. Als er nachts einen epileptischen Anfall hat, beginnt eine Odyssee auf der Suche nach Tierarzt-Notdienst

Ein medizinischer Notfall kann plötzlich und unerwartet eintreten – auch nachts, am Wochenende oder an Feiertagen. Für Menschen gibt es immer eine Notfallversorgung, im Ernstfall ruft man einen Rettungswagen. Doch wenn es sich beim Patienten um ein Tier handelt, ist vor allem nachts, am Wochenende oder feiertags in der Regel kein Tierarzt verfügbar, der helfen kann.

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Mylow ist ein 15-jähriger Jack-Russell-Rüde, er leidet an Epilepsie. Als er kürzlich nachts einen schweren Anfall hat, versuchen seine Besitzerinnen, das Gosenbacher Ehepaar Jacqueline und Svenja Op het Veld verzweifelt, einen Tierarzt zu finden. Ohne Erfolg. Die Tierklinik in Betzdorf schließt um 22 Uhr und auch die anderen Tierarztpraxen der Region haben längst Feierabend. Die beiden setzen sich mit dem bewusstlosen Mylow notgedrungen ins Auto und fahren bis nach Köln – nur um festzustellen, dass auch die Kölner Tierklinik keinen nächtlichen Bereitschaftsdienst hat. Die nächste geöffnete Tierklinik wäre in Gießen gewesen.

„Tiermedizinische Versorgungskrise nicht nur in Siegen-Wittgenstein“

„Wir befinden uns inmitten einer tiermedizinischen Versorgungskrise. Und das nicht nur im Kreis Siegen-Wittgenstein, sondern bundesweit!“ sagt Jörg E. Schwenke, Inhaber der Tierarztpraxis Schwenke in Wilnsdorf. Zwar würden jedes Jahr vergleichsweise gleichmäßig viele Tiermedizinerinnen und -mediziner ausgebildet, es lande jedoch nur ein Bruchteil davon auch im kurativen Praxis- oder Klinikbetrieb. Viele Absolventen würden Stellen im Laborbereich annehmen, zu Veterinärämtern gehen oder in die Pharma- und Lebensmittelindustrie. Dieser generelle Mangel an Fachpersonal schlage sich eben auch darin nieder, dass ein 24-Stunden-Notdienst immer schwieriger umgesetzt werden könne.

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Auch die während der Corona-Pandemie gestiegenen Haustierzahlen machen seinen Angaben zufolge eine Versorgung immer schwieriger. Dieses Phänomen hatte unter anderem auch das Siegener Tierheim festgestellt: Die Zahl der Menschen, die sich in den vergangenen drei Jahren ein Tier zulegten, ist gestiegen. Mit dem Anwachsen der Patientenzahlen einher geht aber eben keine Zunahme bei den Versorgungskapazitäten: Nicht nur Praxen, auch immer mehr Kliniken gäben den Klinikstatus und die nächtliche Notfallversorgung auf, schildert Schwenke.

Einzelne Praxen in Siegen und Umgebung bemühen sich um Notdienste

Weiterer Faktor: Eine Kleintierpraxis sei in der Regel auch gar nicht dafür aufgestellt, Großtiere zu versorgen – und umgekehrt. Aktuelle Arbeitszeitgesetze erschwerten die Situation zusätzlich. „Einzelne Praxen im Siegerland und dem Kreis Olpe versuchen derzeit vermehrt, Notdienste anzubieten. Eine dauerhafte Nachtversorgung kann im Moment technisch und personell regional nur über die Uniklinik Gießen realisiert werden, solange das dort nicht irgendwann ebenfalls eingeschränkt wird“, sagt der Tiermediziner.

Zwar gebe es durchaus Forderungen an die Politik, Abhilfe zu schaffen, Schwenke bezweifelt allerdings, dass Interventionen die Zahl der Tierärztinnen und Tierärzte langfristig steigern würde. Er rät: „Grundsätzlich sollte man in Notfällen den Haustierarzt anrufen. Auf Band wird in jeder Praxis der zuständige Notdienst angegeben.“ Wer sich entschließt, in die Tierklinik nach Gießen zu fahren, sollte sich unbedingt vorab telefonisch anmelden.

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Mylow hat indes Glück im Unglück gehabt: Sofort am nächsten Morgen konnte er beim Haustierarzt behandelt werden und ist mittlerweile gut eingestellt.