Siegen/Kirchen. Preußens größte Baumwollmaschinenspinnerei stand in der Zeit der Frühindustrialisierung an der Sieg. Nun geht’s in einem Buch um ihre Geschichte.
Die Baumwollspinnerei Jung in Kirchen/Sieg war nach der Zahl der Spindeln nicht nur die größte Baumwollmaschinenspinnerei des Siegerlandes, sondern sogar in ganz Preußen. Weithin bekannt ist die ehemalige Lokomotivfabrik Arnold Jung in Kirchen, die zeitweise über 2000 Mitarbeiter beschäftigte. In ihr wurden mehr als 13.000 Lokomotiven gebaut. Weit weniger bekannt dürfte hingegen die Geschichte der Baumwollspinnerei Jung sein, die in der Zeit der Frühindustrialisierung in Deutschland zu einem Unternehmen der Superlative gewachsen war. Eben diese Epoche ist Gegenstand einer Neuerscheinung, die der Betzdorfer Historiker Dr. Thomas Bartolosch verfasst hat, der mehrere Jahrzehnte als Dozent an der Universität Siegen gelehrt hat. Das Werk trägt den Titel „Jung in Jungenthal – die größte Baumwollmaschinenspinnerei in Preußen“, umfasst 220 Seiten und über 150 Abbildungen.
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Nach der Zahl der Spindeln war die Spinnerei in den Jahren 1818 bis 1838 die größte Baumwollmaschinenspinnerei in Preußen. Hatte Kirchen im frühen 19. Jahrhundert kaum mehr als 400 Einwohner, beschäftigte die Familie Jung in früher preußischer Zeit 600 Mitarbeiter. Abgelöst wurde die Spinnerei in ihrer Position als nach der Spindelzahl bedeutendsten preußischen Baumwollspinnerei Ende der 1830er Jahre durch eine noch größere Spinnerei der Baumwolldynastie Jung: die Spinnerei Hammerstein, die sich im heutigen Wuppertaler Stadtteil Sonnborn befand.
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Wie andere Spinnereien in Deutschland verfügte auch Jungenthal über das Privileg eines Territorialmonopols, das die Familie Jung vor „Nachstellern“ in der Grafschaft Sayn-Altenkirchen schützte, die im Südwesten an das Fürstentum Nassau-Siegen angrenzte. Auch aus technischer Sicht gehörte das Jungenthaler Unternehmen zu den Spitzenreitern rheinisch-westfälischer Baumwollspinnereien: Erste von Wasserkraft getriebene Kratzmaschinen nach englischem Vorbild liefen bereits im Jahr 1800 in Jungenthal. Damit wurde der Übergang von der manufakturellen zur fabrikindustriellen Produktionsweise vollzogen. Das war vorerst aber nur partiell der Fall: Wassergetriebene Spinnmaschinen kamen erst ein paar Jahre später hinzu. Mit diesen konnte die Produktion erheblich rationalisiert und die Produktivität deutlich erhöht werden.
Vergleichsweise fortschrittlich war zudem, dass sich die vier Gebrüder Jung nach dem Tod des Vaters 1808 die Unternehmensführung teilten. Die Beschaffung der Rohstoffe und der Vertrieb bzw. Absatz der fertigen Garne auf den Weltmärkten der Zeit, die Organisation und Überwachung der Produktion als auch die Buchhaltung oder kaufmännische Führung der Firma lagen in unterschiedlichen Händen. Das war eine sehr frühe, wirkungsvolle Arbeitsteilung, die andernorts unbekannt war oder noch nicht praktiziert wurde.
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Schließlich rangierte Jung in Jungenthal auch im Kontext innerbetrieblicher Sozialmaßnahmen in Rheinland und Westfalen ganz vorne. Weithin einzigartig war beispielsweise, dass bereits um 1800 in Jungenthal eine erste Kranken- und Pensionsunterstützungskasse gegründet wurde und jahrzehntelang die einzige derartige Einrichtung des Rheinlandes war. Eine „weitere Büchse von freiwilligen Gaben“ wurde „zur Unterstützung armer Kinder angewendet“, wie es in einer zeitgenössischen Quelle heißt. Es gelang der Aufbau eines qualifizierten und sesshaften Facharbeiterstammes mit geringer Fluktuation der Arbeitskräfte. Auch das trug erheblich zum außergewöhnlichen Erfolg der Familie Jung bei.
Bei der Präsentation des Buches im Rathaus Kirchen dankte Dr. Bartolosch Bürgermeister Andreas Hundhausen für die Bewilligung eines Druckkostenzuschusses der Stadt Kirchen (Sieg) und weiteren Hilfen. Außerdem hat sich Oliver Schneider aus Küsnacht im Kanton Zürich als Jung-Nachfahre an den Druckkosten beteiligt. Er war zu dem Anlass eigens aus der Schweiz angereist. Stephan Hintze als örtlicher Jung-Nachfahre zeigte sich begeistert darüber, dass er auf diesem Weg noch Neues aus der Familiengeschichte habe erfahren können. Für weitere Unterstützung dankte Bartolosch der Sparkasse Westerwald-Sieg.
Das Buch kostet 32,80 Euro.
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