Siegen. Immer mehr RSV-Infektionen stellen die Siegener DRK-Kinderklinik vor große Herausforderungen: Die medizinische Versorgung ist akut gefährdet.

Für Erwachsene ist sie ungefährlich – aber für Säuglinge und Kleinkinder kann die Atemwegserkrankung jedoch lebensgefährlich werden: Bundesweit beklagen Mediziner aktuell einen starken Anstieg an Fällen des Respiratorischen Synzytial-Virus, kurz RSV, bei Kindern. Auch in der DRK-Kinderklinik Siegen gibt es kaum noch freie Betten für die kleinen Patienten. Dr. Gebhard Buchal, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin, erklärt die angespannte Situation in der Kinderklinik auf dem Wellersberg.

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Was ist das für ein Virus?

Dr. Gebhard Buchal: Das RS-Virus ist ein weit verbreiteter Erreger, der zu einer akuten Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege in jedem Lebensalter führen kann. Es ist außerdem einer der bedeutendsten Erreger von Atemwegsinfektionen bei Säuglingen und Kleinkindern.

Wie tritt das Virus auf?

Ähnlich wie bei der Grippe (Influenza) tritt die Erkrankung vor allem in den Wintermonaten auf und verläuft ebenfalls als „Erkrankungswelle“ mit einer raschen Häufung von vielen Fällen in kurzer Zeit. Nach aktuellen Schätzungen des RKI kommen RSV-Atemwegserkrankungen weltweit mit einer Inzidenz von 48,5 Fällen und 5,6 schweren Fällen pro 1000 Kindern im ersten Lebensjahr vor.

Können Erwachsene erkranken?

Eine RSV-Infektion kann jeden betreffen. Neugeborene und junge Säuglinge haben das größte Risiko, schwer zu erkranken. Während das RS-Virus bei älteren Kindern und Erwachsenen oft nur eine leichte Erkältung („Schnupfenvirus“) auslöst, können bei kleinen Kindern die kleinen Atemwege betroffen sein, was oft schweren Husten und sogar Atemnot hervorrufen kann.

Was kann passieren?

Bei sehr kleinen Säuglingen und ehemaligen Frühgeborenen können auch Atemaussetzer auftreten, die eine Unterstützung der Atmung auf einer Intensivstation nötig machen.

Steigen die Infektionszahlen?

Der RS-Virus taucht immer in Wellen auf, die von Jahr zu Jahr in ihrem Ausmaß stark variieren. Während es gerade zu Beginn der Corona-Pandemie aufgrund der Lockdowns eher ruhig war, sind die Fallzahlen jetzt gestiegen.

Wie viele Fälle betreuen Sie aktuell?

Dieses Jahr treten die Fälle sehr früh auf, was ungewöhnlich ist. 2019 betreuten wir in der Kinderklinik 135, 2020 waren es insgesamt 82. 2021 stiegen die Zahlen wieder auf 125 an. 2022 verzeichnen auch wir von der Kinderklinik Siegen einen Anstieg der Fälle. Bis jetzt haben wir in diesem Jahr 172 RSV Patienten betreut – Stand Ende letzter Woche.

Ist mit einer Überlastung zu rechnen?

Aktuell ist es ein klares Abwägen, welche Patienten aufgenommen werden müssen oder wo es noch vertretbar ist, dass das Kind zu Hause unter ambulanter Unterstützung des Kinderarztes versorgt werden kann. Im Moment sind wir tatsächlich nahezu voll belegt und können tagtäglich nur nach Entlassung wieder neue Patienten aufnehmen.

Ist die Versorgung gefährdet?

Da sowohl die Patientenlast zunimmt, wir gleichzeitig aber auch mit krankheitsbedingten Ausfällen beim Personal kämpfen, ist die Situation bei uns in der Kinderklinik momentan schon sehr angespannt.

Wie gehen Sie damit um?

Wir versuchen zunächst alle erkrankten Patienten im Hause aufzunehmen, werden aber auch versuchen müssen, Patienten in weiter entfernte Krankenhäuser zu verlegen und geplante Maßnahmen abzusagen.

Ist das nur bei Ihnen so?

Leider ist die Situation in allen Kinderkliniken mehr als angespannt. Durch die große Anzahl von Patienten in der Notfallambulanz kommt es – gerade für die nicht so schwer betroffenen Familien – zu langen Wartezeiten, da selbstverständlich immer zuerst die am schwersten erkrankten Kinder behandelt werden müssen.

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Dr. Gebhard Buchal, Chefarzt Abteilung Kinder- und Jugendmedizin in der DRK Kinderklinik Siegen
Dr. Gebhard Buchal, Chefarzt Abteilung Kinder- und Jugendmedizin in der DRK Kinderklinik Siegen © DRK Kinderklinik Siegen | Stefan Wendt

Der Experte erklärt: Kaum Therapiemöglichkeiten gegen RSV-Infektion

Zugabe von Sauerstoff und Nasenspülungen können Symptome lindern. In einem begrenzten Umfang können die Regeln, die bereits im Kampf gegen Covid-19 sinnvoll waren, auch bei der Eindämmung der Verbreitung von RSV helfen. Dazu zählen beispielsweise das Niesen in die Ellenbeuge und häufiges Händewaschen. „Das RS-Virus ist sehr ansteckend und kann leicht unbemerkt verbreitet werden, da Erwachsene und ältere Kinder ihre eigene Erkrankung kaum mitbekommen“, erklärt Dr. Gebhard Buchal.

Auch das Tragen von Masken könne gegen die RS-Viren effektiv sein. Das sei ein Grund dafür, warum im vergangenen Winter vergleichsweise weniger RSV- und Influenzafallzahlen auftraten, so der Facharzt. „Um einer Infektion vorzubeugen, sollten Eltern mit kleinen Säuglingen oder anderen Risikopatienten wie Kindern mit Herzfehlern im Haushalt darauf achten, dass verschnupfte Bewohner keinen engen Kontakt zu den besonders Gefährdeten haben“, empfiehlt er.

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Ein effektives Medikament gegen das RS-Virus gibt es nicht: „Die Therapie ist symptomatisch und besteht vor allem darin, das Immunsystem des Kindes bei der Auseinandersetzung mit dem Virus zu unterstützen“, erläutert Dr. Gebhard Buchal. Wenn die Kinder so schwer erkranken, dass sie ins Krankenhaus aufgenommen werden müssen, wird die Sauerstoffsättigung in ihrem Blut überwacht. „Oft brauchen sie zusätzlichen Sauerstoff für ihre Atemluft. Die Kinder profitieren von Inhalationen und bei ausgeprägtem Schnupfen auch von Nasentropfen oder -spülungen“, berichtet der Mediziner. Bei einigen wenigen Patienten reiche dieser Therapieansatz alleine aber nicht aus, so dass sie auf der Intensivstation beamtet werden müssen und weitere Unterstützung benötigen.

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Antibiotikagaben seien dagegen nicht hilfreich oder erfolgversprechend. „Auch wenn das vielen Eltern zunächst nicht einleuchtend erscheint. Eine solche Therapie ist nur sinnvoll, wenn zusätzlich zu der Viruserkrankung auch eine bakterielle Infektion vorliegt“, erläutert der Facharzt.