Siegen. Claudia Michelsen und Devid Striesow im rappelvollen Siegener Lyz: Was die Sternztaler mit der Spielbank verbindet.

Rappelvoll ist es im Lÿz, erstmalig nach über zwei Jahren ausverkauft. „Endlich wieder Literatur in der Stadt“, freut sich auch Landrat Andreas Müller beim Blick in den Saal zum Auftakt des Literaturfestivals „vielSeitig“.

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Es geht um Geld. Was ist also passender, als den Abend mit dem berühmten Hit „Money, Money, Money“ von Abba einzuleiten, jener Jung-Mädchen-Sehnsucht nach Geld: „In meinen Träumen habe ich einen Plan, mir einen reichen Mann zu besorgen“, heißt es da, wenn man den Song übersetzen würde. Aber zum Glück ist dies mit Abstand der schwächste Text des Abends.

Claudia Michelsen und Devid Striesow haben mit Spürsinn und Sachverstand Texte gefunden, die alle Facetten des Geldes ausleuchten, mal unterhaltsam als Roman-Ausschnitte bis hin zu Reportagen und wissenschaftlichen Abhandlungen. Klar wird, dass jeder Mensch vom Anfang seines Lebens bis zu seinem Ende vom Geld begleitet wird (Die Geburt ist ebenso wie der Tod kostspielig), also Zahlungsmitteln, je nach sozialer Zugehörigkeit auch Knete, Eier, Steine, Zaster, Penunzen… genannt. Kein Geld zu haben bedeutet Arbeitslosigkeit, Absturz, Langeweile, Isolierung und meist auch Trennung und die Gefahr die Wohnung zu verlieren.

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Zehn Prozent der Hartz4-Empfänger sind suchtkrank, leben zehn Jahre weniger als der Durchschnitt, jeder fünfte Suizid steht in Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit: Wie Devid Striesow dies in einer Mischung aus Tagesschausprecher und Fernsehpfarrer vorträgt und mit nackten Zahlen untermauert, lässt die Lÿz-Besucher den Atem anhalten.

Wie Roman Abramowitsch in der Spielbank Dostojewski auslöst

Claudia Michelsen und Devid Striesow lesen oder besser: spielen dialogisch eine Szene aus Dostojewskis „Gebrüder Karamasow“, in der Dimitri von einer reichen Frau 3000 Rubel erbittet, diese aber außer großen Worten keinen Finger zur Hilfe rührt. Ganz gemäß der Lebensweisheit „Jemandem etwas zu borgen, bedeutet, sich mit ihm zu verfeinden“. Fast nebenbei erzählt Claudia Michelsen ein Schmankerl am Rande: Dostojewski, ein leidenschaftlicher, meist aber erfolgloser Kasino-Besucher, verspielte einst an einem Abend in Wiesbaden umgerechnet 240 000 Euro. Diese Episode war jahrzehntelang auch auf einer Informationstafel des Kasinos zu lesen. Kürzlich beglich der russische Milliardär Roman Abramowitsch diese Summe, 130 Jahre nach dem Katastrophenverlust des Dichters. Ergebnis: Dostojewski und Spielbank sind quitt, die Tafel ist abmontiert.

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Die Textauswahl der beiden hochdekorierten Schauspieler reicht von den „Sterntalern“ der Gebrüder Grimm über Ratgeber-Literatur („Behandeln Sie Geld wie einen guten Freund: Begrüßen Sie es, wenn es kommt, halten Sie es nicht fest, wenn es geht“), Texten von Bertolt Brecht und Karl Marx – und schmutziges Geld: Bei chemischen Analysen von Papiergeld wurden Kokain, Darmkeime und sogar die DNA eines Breitmaul-Nashorns aufgespürt.

Die Schäfchen ins Trockene bringen

Unterhaltsam auf ganz andere Art ist Alexander Schimmelbuschs Großstadtroman „Hochdeutschland“ über den Frankfurter Investmentbanker Viktor, der bei einem Wein für 2 400 Euro über Geld und Reichtum schwadroniert, sich beim Gang über die Zeil aber wie in einer fremden Welt fühlt. Und auch Anke Stellings Roman „Schäfchen im Trockenen“, der im Berliner Upper-Class-Stadtteil Prenzlauer Berg spielt. „Als Millionär bist du der Arsch unter den Reichen“, ist einer der schrägsten Sätze des Programms.

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Wirklich reich fühlen sich nach 70 Minuten die Lÿz-Besucher: Durch zwei beeindruckende Schauspieler, die weit mehr anbieten als eine Lesung. Nämlich ein Spiel mit Worten, Gesten, Betonungen, Zwischentönen, bei dem sie sich völlig in den Dienst der Texte stellen. Der perfekte Auftakt des Festivals „vielSeitig“.

Beim Festival „vielSeitig“ werden Autoren aus acht Ländern bei 20 Veranstaltungen an zehn Orten präsentiert. Am Wochenende im Lyz: Samstag, 16 Uhr: Andersen & andere ; 20 Uhr: Die Zeitmaschine, eine Science-Fiction-Performance mit Mark Waschke; Sonntag, 10.30 Uhr: Crauss trifft Safiye Can1; 14 Uhr: Die Schatzinsel; 20 Uhr: Null gleich eins, Mörderjagd mit Schwedens Thriller-König Arne Dahl.

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