Siegen. Bis zu 35 Prozent mehr Reichweite holt ein Team der Uni Siegen mit einer Neuentwicklung für E-Autos raus. Die Lösung liegt in der Hinterachse.
Wenn die Attraktivität von Elektro-Autos unter einer Sache besonders leidet, dann an der begrenzten Reichweite. Ein Forscherteam der Uni Siegen bietet nun für das Kleinwagen-Segment eine deutliche Verbesserung an: Eine neu entwickelte Hinterachse, dank der größere Batterien unter den Fahrzeugen Platz finden, soll die Reichweite um bis zu 35 Prozent steigern – das entspräche rund 115 Kilometern. Mehrere Autohersteller haben bereits Interesse bekundet.
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Das auf drei Jahren angelegte Projekt „E-MLTA“ startete im Oktober 2018. Das Kürzel steht für „Entwicklung und Erprobung einer bauraumsparenden Mehrlenker-Torsionsachse“. Für Laien klingt das Prinzip simpel: Die Batterie für den Antrieb eines Elektroautos sitzt unter dem Fahrzeugboden. Ihre Ausdehnung wird von der Hinterachse begrenzt. Bei konventionellen sogenannten Verbundlenkerachsen spannt sich der Querträger aber nicht genau zwischen den beiden Radnaben, sondern ist nach vorne Richtung Motorhaube verschwenkt. Die von Prof. Dr. Xiangfan Fang, Lehrstuhl für Fahrzeugleichtbau, und seinem Team entwickelte Achse hingegen hat den Querträger in die Gegenrichtung verschoben, also Richtung Kofferraum. Damit vergrößert sich die Fläche, die unter dem Auto für die Batterie zur Verfügung steht.
Uni Siegen: Neuartige Hinterachse verschafft Elektro-Autos mehr Reichweite
So einfach, wie es sich anhört, ist die Verlagerung des Querträgers aber nicht. „Es gibt einen kleinen Haken“, merkt Xiangfan Fang an – eine charmant-ironische Untertreibung. Würde die konventionelle Achsenform nämlich einfach nur um 180 Grad nach hinten gespiegelt, würden sich die Fahreigenschaften des Autos dergestalt ändern, dass es beim Bremsen vorne „einknickt“, wie der Experte erläutert – das Heck ginge hoch. Und genau das gilt es, zu vermeiden.
Beteiligte am Projekt
Beteiligt am E-MLTA-Projekt waren außer Ford und Volkswagen auch die Unternehmen Mubea, Vorwerk Autotec, Schmedthenke Werkzeugbau und die CP Autosport GmbH.
Eine weitere Projektpartnerin: die Technische Hochschule Köln.
Von den insgesamt 1,6 Millionen Euro Fördermitteln gingen 530.000 Euro an die Universität Siegen. Das Geld stammt aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (ERFE) Nordrhein-Westfalen.
Zum Siegener Team gehörten neben Prof. Dr. Xiangfan Fang und Jens Olschewski auch Dr. Timo Schlichtung und Tobias Nießing.
Die Antwort darauf ist von Motorrädern inspiriert: Zusätzliche Streben, je eine pro Fahrzeugseite, lösen das Problem. Bis das in der Praxis funktioniert, waren allerdings erst aufwendige Berechnungen und Computersimulationen und dann reale Tests mit einem Prototypen erforderlich. Ford als einer der Partner (siehe Infobox) stellte einen Fiesta zur Verfügung, in den die Hinterachse eingebaut wurde. Da es sich um ein Auto mit Verbrennungsmotor handelt, wurde eine Metallplatte unter dem Boden angebracht, um die Batterien zu simulieren – denn deren Gewicht von etwa 350 Kilogramm hat natürlich massive Auswirkungen auf das Fahrverhalten, die bei den Tests berücksichtigt werden mussten, wie Projekt-Mitarbeiter Jens Olschewski erklärt.
Uni Siegen: Neue Hinterachse für E-Autos zeigt in Tests vielversprechende Ergebnisse
Ford prüfte den Fiesta auf einer Teststrecke, auch das Forschungsteam ließ ihn von mehreren Leuten testen. Dabei schnitt die Siegener Hinterachse zwar in einigen Bereichen schlechter ab als das Serienfahrzeug mit herkömmlicher Achse – aber lediglich in einem Ausmaß, das sich nach Experteneinschätzung durch Abstimmung kompensieren ließe, wie Xiangfan Fang betont. „Wir haben schon einen guten Stand erreicht“, sagt der Projektleiter. Auch Vertreter von Volkswagen – ebenfalls an E-MLTA beteiligt – hätten sich beeindruckt gezeigt; der Konzern sei interessiert. Darüber hinaus „sind wir international mit Fahrzeugherstellern in Verhandlung“.
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Ein Patent wurde für die Mehrlenker-Torsionsachse bereits erteilt, ein weiteres ist im Prüfungsverfahren. Wenn es nach dem Projektteam geht, sollten gerne alle Hersteller die Technik nutzen. „Wir wären stolz drauf, wenn schon in naher Zukunft ein Auto mit unserer Achse durch die Gegend fährt“, sagt Xiangfan Fang. Geeignet ist diese zwar „nur“ für Kleinwagen, da größere Autos komplexere Achsen benötigen. Aber genau in diesem Segment gibt es auch Bedarf, wie der Lehrstuhlinhaber unterstreicht. Weil größere Autos einen längeren Radstand haben, bieten diese ohnehin schon mehr Platz für Batterien. Und da sich die Batterien aktuell nicht mehr nennenswert weiter verkleinern lassen, liegt für Kleinwagen die Chance auf höhere Reichweite nur in einer besseren Nutzung des Platzes unter dem Auto, wie sie etwa mit der Mehrlenker-Torsionsachse erreicht wird. Das sei noch dazu eine in der Umsetzung sehr günstige Lösung, hebt der Projektleiter hervor.
„Manche Idee ist ganz einfach. Es ist wie mit Kolumbus und dem Ei“, sagt Xiangfan Fang. „Aber es muss einer machen und dabei das Problem erkennen.“
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