Siegen. Mit Erfahrungen aus ihrer eigenen Kaufsucht wollen Anna K. und Erik S. Betroffenen in Siegen helfen. Wie sich die Sucht schleichend entwickelt.

Einkaufen gehört zum Alltag – doch shoppen kann zum Zwang werden. In Siegen gründet sich sich nun eine Selbsthilfegruppe für Kaufsüchtige.

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„In Deutschland ist laut Schätzungen etwa jeder Zwanzigste gefährdet“, schreibt die Diakonie in Südwestfalen, die die Gruppengründung begleitet, in einer Mitteilung. Anna K. und Erik S. (Namen geändert) „haben erlebt, was es heißt, die Kontrolle über das eigene Kaufverhalten zu verlieren“, heißt es weiter. Beide wollen nun eine Anlaufstelle für Betroffene schaffen. Eine Kaufsucht von unbedenklichem Kaufverhalten zu entscheiden, könne anfangs schwierig sein, erläutert die Diakonie. Von Betroffenen und Angehörigen werde das Problem oft erst spät erkannt – auch, weil Einkaufen „zunächst mal eine alltägliche Notwendigkeit und als solche gesellschaftlich akzeptiert ist“.

Neue Selbsthilfegruppe in Siegen für Menschen mit Kaufsucht

Auch bei Anna K. habe sich die Sucht schleichend entwickelt. Nach privaten Schicksalsschlägen habe sie oft alleine zu Hause gesessen, erzählt die 32-Jährige. Aus Langeweile und um sich von ihrer Traurigkeit abzulenken, geht sie immer öfter mit dem Handy im Internet shoppen – vor allem Kleidung, aber auch andere Dinge, mit denen sie meint, „sich etwas Gutes zu tun“. „Mit jedem Kauf war ich erst mal glücklich. Man lebt schließlich nur einmal“, sagt sie – doch der „Kick“ ist schnell verflogen, das berauschende Glücksgefühl nur von kurzer Dauer. „Meist hatte ich schon gleich danach ein ungutes Gefühl“, berichtet Anna K., „das schlechte Gewissen, dass ich das, was ich da bestellt habe, im Grunde doch gar nicht brauche.“

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Ein Paar geht mit einer Einkaufstasche durch die Innenstadt.
Ein Paar geht mit einer Einkaufstasche durch die Innenstadt. © dpa | Hauke-Christian Dittrich

Schlimmer wiegt noch, dass sich Anna K. die bestellte Ware bald nicht mehr leisten kann. Da sie ihre Online-Käufe in der Regel per Kreditkarte abwickelt, verliert sie vollends den Überblick über ihre Ausgaben: „Die Sachen waren ja schon da, aber noch gar nicht bezahlt.“ „Buy now, pay later“, zu Deutsch „Kaufe jetzt, bezahle später“, lautet die Form, die dazu verführt, sich zu verschulden. Anna K. häuft so binnen eines Jahres mehrere Tausend Euro an. Irgendwann ist das Konto leer, das Kreditlimit ausgeschöpft, sind alle Karten gesperrt.

Siegen: Die Sucht entwickelt sich schleichend

Anna K. ist längst klar, dass sie ein Problem hat. Ihr Umfeld habe sie damit aber nicht belasten wollen. Aus Scham, so erzählt sie, versteigt sie sich in Notlügen gegenüber Eltern und Freunden, wiegelt Fragen wie „Hast Du das neu?“ ab. Eines Tages läuft im Fernsehen ein Beitrag zum Thema Kaufsucht. „Da hat es bei mir Klick gemacht“, erzählt Anne K. Nicht zuletzt mit Hilfe ihrer Familie kommt sie wieder in die Spur. Ihr Kaufverhalten, sagt sie, habe sie seitdem „gut im Griff“. Ihre Schulden zahlt sie nun in Raten ab, viele ihrer gekauften Sachen habe sie inzwischen wieder verkauft. Heute weiß sie um die Tücken der Einkaufswelt: „Man rutscht da ganz schnell in was rein.“

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Auch bei Erik S. hat es lange gedauert, bis er sich in einer psychosomatischen Klinik professionell helfen ließ. Der 63-Jährige sieht die Veranlagung für seine Kaufsucht in der Kindheit. Als Säugling wurde er wegen einer Krankheit monatelang von seiner Mutter getrennt. Zeitlebens plagen ihn Depressionen und Verlustängste, denen er begegnet, indem er zwanghaft Dinge sammelt und hortet. „Ich kaufe Klamotten, damit ich in Notzeiten welche habe“, sagt er. Und: „Ich kann nichts weggeben.“

Siegen: Gründe für Shopping-Sucht sind oft Langeweile, Frust und Einsamkeit

Auch bei Erik S. steigt die Gefahr einer Kaufattacke bei Einsamkeit, Frust und Langeweile. „Wenn ich dann ein Angebot mit 70 Prozent Preisnachlass sehe, setzt bei mir der Verstand aus. Dann wiederum gibt es Dinge, die fressen sich einem regelrecht ins Gehirn rein – die muss man dann unbedingt haben.“ Obwohl er in seinem Beruf gut verdient habe, seien auch ihm die Schulden irgendwann über den Kopf gewachsen, erzählt der 63-Jährige weiter. „Ich habe andere Betroffene kennengelernt, die haben sogar bis drei oder vier Jobs angenommen, um ihre Kaufsucht zu finanzieren – und trotzdem hat es nicht gereicht, die Familie zu Hause zu versorgen.“

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Dass sich Kaufsucht unterschiedlich äußern kann, weiß Silke Sartor von der Selbsthilfekontaktstelle der Diakonie in Südwestfalen: „Es kann Jüngere wie Ältere treffen, Frauen wie Männer.“ Experten beobachten dabei durchaus ein geschlechterstereotypes Einkaufen: Frauen shoppen gerne Kleidung, Schuhe, Kosmetik und Dekosachen, Männer dagegen eher im Technik- oder Baumarkt. Nicht selten zeigen sich Zusammenhänge mit psychischen Problemen und Erkrankungen (zum Beispiel Depressionen oder Angststörungen) oder auch mit anderem Suchtverhalten (etwa Esssucht oder Spielsucht).

Siegen: So gibt es Kontakt zur Selbsthilfegruppe für Kaufsüchtige

Erik S. hat seine Kaufsucht zwar nicht gänzlich überwunden, doch bei einer Psychotherapie und einer speziellen Reha vieles gelernt – etwa „dass man Sachen auch wieder weglegen oder Gekauftes zurückbringen kann, oder dass man vor der Kaufentscheidung noch mal rausgeht aus dem Geschäft, Luft schnappt, vielleicht auch jemanden anruft und um Rat bittet“. Gerade für Letzteres könnten Kontakte in einer Selbsthilfegruppe sehr wertvoll sein, findet Erik S. „Eine Kaufsucht macht aus Dir keinen schlechten Menschen. Aber es ist wichtig, sich helfen zu lassen, je früher, umso besser. Ohne Hilfe geht es nicht!“

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Betroffene, die in einem geschützten Gesprächskreis frei und anonym über ihre Kaufsucht sprechen und sich austauschen möchten, können sich an die Selbsthilfekontaktstelle der Diakonie in Südwestfalen unter Telefon 0271/500-3131 melden oder sich per E-Mail an selbsthilfe@diakonie-sw.de wenden.

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