Kreuztal/Siegen. Siegen ist beim Testlauf dabei: Was auf Apotheken, Arztpraxen und Patienten mit dem E-Rezept zukommt. Und wie es mit den Rosa Zetteln weiter geht
Auf Wiedersehen, rosa Zettel: Seit dem 1. September können Patienten in Westfalen-Lippe ihre Medikamente mit einem E-Rezept einlösen. Aber worauf müssen sich die Menschen jetzt einstellen. Und was bedeuten die neuen Rezepte für die lokalen Apotheken und Arztpraxen im Siegerland?
Siegen: Die Ausgangslage für Apotheken und Praxen
„Endlich geht es los: Das E-Rezept startet in Westfalen-Lippe mit rund 250 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in die Testphase“, sagt Thomas Müller, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). In einer nächsten Stufe, ab dem 1. Oktober, soll der Teilnehmenden-Kreis dann auf 500 Praxen erweitert werden. „Die Praxisteams werden das E-Rezept jetzt auf Herz und Nieren prüfen“, so Müller.
Die Apotheken im Siegerland seien vorbereitet und könnten loslegen, berichtet Tatyana Diede, Leiterin der Roland-Apotheke in Siegen. „Wir sind technisch gut aufgestellt und verfügen allesamt – spätestens seit der Pandemie – über geeignete Auslesegeräte, um diese Form der Rezepte annehmen zu können.“ Es hätten auch schon einige Patienten die neuen E-Rµµµezepte in ihrer Apotheke eingelöst. Allerdings komme das noch nicht so häufig vor, da viele Arztpraxen noch nicht über die notwendige Technik verfügten, um die Rezepte auszustellen.
Das soll sich aber ändern: Die Kreuztaler Gemeinschaftspraxis „familydocs“ etwa hat sich schon während der Pandemie verstärkt für die Digitalisierung eingesetzt und ist eine der Praxen, die sich an dem Testlauf beteiligen. „Wir verfügen bereits über das technische Equipment für einen reibungslosen Ablauf“, sagt Facharzt Dr. Dr. Charles Christian Adarkwah. Dafür sei aber einiges notwendig: So brauchen die Praxen eine Anbindung an die Telematik-Infrastruktur (TI), einen elektronischen Heilberufeausweis, ein System-Update und einen geeigneten Drucker.
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Die zusätzlichen Kosten für die Anschaffung könnten aber erstattet werden. „Wir leben in einer zunehmend digitalen Welt und da ist es ziemlich absurd, dass die Praxen immer noch Papierrezepte ausgeben, die von den Apotheken dann direkt wieder digitalisiert werden“, findet der Mediziner. „Andere Länder haben es vorgemacht – es klappt! Und wir werden die Prozesse in den nächsten Wochen und Monaten im Alltag erproben und hoffen, einen kleinen Beitrag zu leisten, das E-Rezept für alle praktikabel zu machen.“
Siegen: Der QR-Code auf den E-Rezepten
Langfristig sei geplant, dass Patienten künftig von ihrem Hausarzt einen QR-Code auf ihr Smartphone geschickt bekommen, den sie dann als elektronisches Rezept verwenden können, um das gewünschte Medikament in der Apotheke zu erhalten. „Dafür lesen wir einfach den Code mit unseren Geräten aus“, erklärt Tatyana Diede. Aber was ist mit den Menschen, die kein Smartphone haben? Die bekommen den Code ausgedruckt.
Vorerst wird das die einzige Möglichkeit bleiben: „In den ersten Wochen werden die teilnehmenden Praxen zunächst lediglich einen Papierausdruck erstellen können“, erklärt Thomas Mülller. Man erwarte von den zuständigen KVWL-Stellen, dem Bundesgesundheitsministerium und den Apothekenverwaltungssystem-Herstellern jedoch, dass das E-Rezept spätestens in drei Monaten mit der Gesundheitskarte in der Apotheke abgerufen und eingelöst werden könne, so Müller weiter.
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„Faktisch stellen wir zunächst anstatt rosa Zettel nun weiße aus“, sagt Dr. Dr. Charles Christian Adarkwah. Aber das E-Rezept könne seine Vorteile nur dann voll ausspielen, wenn es auch elektronisch übertragen wird. „Der Ausdruck des elektronischen Rezepts kann nur ein Provisorium sein. Bei der Übertragung favorisieren wir die Gesundheitskarte, da sie jeder Versicherte immer dabei hat“, stimmt Thomas Müller zu. Das Problem: Dafür müssen die Patienten über eine Gesundheitskarte der neuesten Generation inklusive einer PIN besitzen. Und auch die Registrierung in den extra dafür vorgesehenen Apps, damit es auch mit dem Smartphone klappt, sei relativ aufwendig, findet Adarkwah.
Siegen: Die Anlaufschwierigkeiten des E-Rezepts
„Zunächst wird es aber flächendeckend das altbekannte ausgedruckte Rezept sowohl für gesetzlich als auch privat Versicherte, mangels vorhandener Technik, weiterhin geben“, betont Dr. Dr. Charles Christian Adarkwah. Zum 1. September habe sich nur sehr sehr wenig geändert. Der Prozess mit den E-Rezepten sei noch nicht ausgereift. „Der Großteil der Praxen stellt nach wie vor rosa Zettel aus und das E-Rezept läuft parallel dazu.“
Das neue Rezept sei momentan auch noch nicht für alle Medikamente erhältlich. „Die elektronische Alternative gibt es bis jetzt nur für einen Bruchteil unserer Arzneien“, berichtet Tatyana Diede. Dazu kommt, dass es zu Problem mit dem Datenschutz kommen könnte. „Ob die E-Rezepte den strengen Richtlinien entsprechen, muss noch geprüft werden“, sagt die Apothekerin. Große Sorgen über den Datenschutz macht sich Dr. Dr. Charles Christian Adarkwah jedenfalls nicht. „Die Vorbehalte gegenüber dem Datenschutz sind das, was die Digitalisierung hemmt. Diese Vorbehalte haben dafür gesorgt, dass das E-Rezept nicht schon vor zwei Jahren eingeführt worden ist.“ Es erfülle sehr hohe Sicherheitsstandards. „Für mich ist das E-Rezept deutlich sicherer als ein normales Rezept. Denn wenn man das rosa Papierrezept aus Versehen verliert, hat direkt jeder Einblick auf die Daten“, gibt der Facharzt zu Bedenken.
Siegen: Der Nutzen des E-Rezepts
Die elektronischen Rezepte sollen im Vergleich zu den herkömmlichen rosa Zetteln einfacher, ressourcen- und zeitsparender sein. „Das soll auch zur Ersparnis von Papier betragen und mit dem Scan ist die Handhabung leichter“, erzählt Tatyana Diede. Vorausgesetzt die dafür benötigte Software funktioniert reibungslos. Denn natürlich muss auch Strom und Internet für das Auslesen vorhanden sein. Die Apothekerin weiß auch noch nicht, wie die Abrechnung künftig gehandhabt wird. Das E-Rezept befindet sich schließlich noch in der Testphase: „Wir müssen jetzt erstmal abwarten und erleben, wie das wird.“
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Die Apothekerin will sich dafür regelmäßig mit der Ärzteschaft vor Ort absprechen, um Optimierungsvorschläge für das neue Modell zu erarbeiten. Dr. Dr. Charles Christian Adarkwah begrüßt die Einführung des E-Rezeptes zwar, „denn es soll das Leben in Zukunft einfacher machen“, jedoch führe die unkoordinierte Umsetzung bei vielen Praxen zu Frust. Trotzdem könne die jetzige Übergangsphase dabei helfen, das E-Rezept zukunftsfähig zu machen. Er ist überzeugt, dass die neue Rezept-Form in spätestens fünf Jahren zum Standard geworden ist und sich fast niemand mehr an die rosa Papiere erinnern kann.
Die KVWL erachtet den Probelauf als gute Chance, um die Praxistauglichkeit zu überprüfen. Denn die sei in dieser Phase sehr wichtig, betont Thomas Müller. Privatpatienten betrifft die Änderung zunächst nicht. Dr. Dr. Charles Christian Adarkwah geht aber davon aus, dass diese bald folgen werden.
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