Dreis-Tiefenbach. Die Kosten für die Erweiterung der Kläranlage Dreis-Tiefenbach sind explodiert. Am Montag wird das Thema im Stadtentwicklungsausschuss.
Das Regenüberlaufbecken ist leer. Knochentrocken. Hier würde das Abwasser hereinplätschern und nach und nach wieder abgelassen, wenn mehr als 100 Liter in der Minute kämen. Im Moment sind es, aus dem Kanal, 30 bis 40 Liter. Viel mehr wird auch in der Sieg nicht fließen, die sich in ihrem Bett am Klärwerk vorbeiwindet. Das beliebte Naherholungsgebiet an den neuen Dreis-Tiefenbacher Ufern kommt derzeit weitgehend ohne Wasser aus – üppig wachsende Pflanzen, die dort eigentlich nicht hingehören, verwehren den Blick auf das übrig gebliebene Rinnsal.
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Erst ab Dreis-Tiefenbach fließt die Sieg wieder
Von der Quelle bis hier hin, sagt Rainer Schild, ist die Sieg in mehreren Abschnitten trocken gefallen. Ein richtiger, bis zur Mündung in den Rhein durchgehender Bach ist sie eigentlich erst ab dem Klärwerk, wenn das gereinigte Abwasser hineingeleitet wird. Der Tiefbau-Fachbereichsleiter führt die SPD-Fraktion über die Anlage: vom Zulauf, über Sandfang und Rechen, über das Belebungs- zum Nachklärbecken und von dort zum Eindicker, wo nicht mehr benötigte Bakterien im Klärschlamm ihrem Ende entgegendämmern. Wasser nicht hygienisiert, aber verdünnt in Badewasserqualität, ist das Produkt der Anlage. Und Schlamm, der derzeit zur Verbrennung nach Hagen gebracht wird, irgendwann aber vielleicht auch in der neuen Klärschlammtrocknungsanlage des Siegener Entsorgungsbetriebs in der Rinsenau Platz findet – wo auch die Stadt Kreuztal schon Kapazitäten gebucht hat. „Wir sind in Gesprächen“, sagt Rainer Schild.
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Bei einer Faulung des Klärschlamms könnte man, zumindest auf größeren Anlagen, Methangas gewinnen. In Dreis-Tiefenbach will die Stadt künftig mit Photovoltaik Strom erzeugen, „in Deuz haben wir damit gute Erfahrungen gemacht.“ Die Abwärme indes bleibt ungenutzt. „Wir haben hier keine Abnehmer gefunden.“ Die Nachbarn im Telekom-Komplex wollte nicht, eine Gärtnerei – die idealer Verbraucher wäre – ist auch nicht in der Nähe
Auch bei elf Millionen Euro wird es nicht bleiben
Die Fraktionsmitglieder sind hier, weil die Stadt hier viel Geld ausgeben wird: Rund elf Millionen Euro, 36 Prozent mehr als noch vor zwei Jahren geschätzt. Eine „Kostenexplosion“, sagt Rainer Schild, wie sie in dieser Größenordnung „noch nie dagewesen“ sei. Dass es bei dieser Summe bleibt, ist fraglich. Damit sich Unternehmer überhaupt auf diesen Auftrag einlassen, dessen EU-weite Ausschreibung gerade vorbereitet wird, kommt die neuerdings erlaubte „Preisgleitklausel“ in die Verträge: Wenn Stahl, Aluminium, Erdöl- und Zementprodukte – das sind gerade die Stoffe, deren Preis in die Höhe schießen – im Laufe der Bauzeit teurer werden, geht die Stadt mit. Umgekehrt natürlich auch. Woran aber niemand glaubt.
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Im Jahr des Robbensterbens: Anlage schon beim Bau überholt
1988 wurde die Kläranlage an der Austraße in Dreis-Tiefenbach eröffnet, auf einem schmalen Grundstück zwischen Sieg und Kleinbahngleisen. „Sie war schon veraltet, als sie fertig war“, sagt Rainer Schild. Denn 1988 war auch das Jahr des Robbensterbens in der Nordsee – was neue Aufmerksamkeit auf das Abwasser legte. 34 Jahre schleppte sich die Stadt durch, mit immer anderen Bauplänen und technischen Verbesserungen, zeitweise auch mit der Idee, das Abwasser aus Netphen wie schon das aus Dreis-Tiefenbach an die Stadt Siegen durchzuleiten und – natürlich gegen Bezahlung – dort reinigen zu lassen. Dann kam die Gelegenheit mit der Sieg-Verlegung, eigentlich gedacht als Beitrag zum Gewässerschutz. Seit 2016 ist Platz genug da: Das Klärwerk kann größer werden, ohne dass es – auch das wurde einmal überlegt – zweigeschossig werden muss. Denn auch die Kleinbahngleise sind nicht mehr im Weg.
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Zwei kleine Klärwerke werden stillgelegt
Gebaut wird eine zweite Klär-„Straße“ mit Belebungs- und Nachklärbecken. Das schafft Raum, dass das Wasser länger in der Ablage bleibt, besser gereinigt wird – und am Ende auch, dass der Klärschlamm weniger stinkt. Die erweiterte Anlage wird dann nicht nur das Abwasser aus Netphen, Beienbach und Brauersdorf übernehmen, sondern auch aus Afholderbach und Sohlbach – die nächsten kleinen Anlagen, die nach Salchendorf und Beienbach stillgelegt werden. Bleiben werden dann nur noch Deuz, Eckmannshausen: Und eben die „Kläranlage Netphen“ in den Dreis-Tiefenbacher Siegauen. Sollte eine weitere Vergrößerung erforderlich werden, wäre auch dafür Platz, ebenso für eine weitere Reinigungsstufe, wenn die Entfernung von Mikroschadstoffen (vor allem aus Arzneimitteln) doch noch gefordert wird. Was mit der Corona-Messung ist, falls sie eingeführt wird, fragt SPD-Fraktionschef Manfred Heinz. Das, so Rainer Schild, könne genauso gut am Zulauf der Anlage erledigt werden. „Viren bauen wir sowieso nicht ab – die gehen durch.“
40 bis 50 Prozent höhere Abwassergebühr
Der Stadtentwicklungsausschuss wird am Montag, 29. August, über die Kostenentwicklung des Klärwerks sprechen. Ändern kann die Politik daran nichts. Er werde kein weiteres Mal bedauern, dass das Abwasser nicht doch nach Siegen durchgeleitet wird, kündigt Manfred Heinz an. Wie die Gebührenzahler die Investition zu spüren bekommen? 50 Cent mehr, das wäre eine Erhöhung der jetzigen Gebühr von 2,78 Euro je Kubikmeter um 20 Prozent. „Für die Bürger sind das keine guten Nachrichten.“ Vielleicht reichen auch 40 Cent, wirft Rainer Schild ein.
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Während sich an dem einen Ufer der Sieg das Klärwerk ausbreitet, wird das andere zum Naherholungsgebiet ausgebaut. Der Ufer-Geh- und Radweg wird von der Dreisbacher Mühle an über den ehemaligen Bahndamm mit der eisernen Brücke von 1905 bis zum ehemaligen Bahnhof verlängert. Insgesamt 539.000 Euro Landesmittel stehen für das Projekt „Sieg verbindet“ zur Verfügung.
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