Weidenau. Jung-Stilling-Grundschule in Weidenau verdoppelt sich nachhaltig – sie bekommt einen 1500 Quadratmeter großen Anbau aus Holz. So sieht das aus
Die größte Schulbaustelle der Stadt ist von der Straße aus kaum sichtbar. Das Satteldach zwischen den zwei Altbau-Trakten der Jung-Stilling-Grundschule ist einem neuen Geschoss in Holzbauweise gewichen – aber von der Rückseite, vom Schulhof, ist das Gebäude nicht wiederzuerkennen. Es wurde buchstäblich auf links gezogen – nicht nur weil hier der neue Haupteingang entsteht. Sondern auch eine Mensa, Klassen- und Betreuungsräume. In einem L-förmigen, architektonisch überaus ungewöhnlichen Anbau.
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An insgesamt 15 größeren Schulbaustellen in Siegen wird während der Sommerferien gearbeitet, einige davon haben schon vorher begonnen, andere werden noch länger dauern: Neuer Schulhof Montessorischule am Lindenberg, Erweiterung Diesterwegschule, WLAN für viele Grundschulen. 14,2 Millionen Euro investiert die Stadt in diesem Jahr in die Unterrichtsgebäude, wahrscheinlich so viel wie noch nie seit der Aufbauphase während der 1950er und -60er Jahre, so Bürgermeister Steffen Mues.
Bürgermeister: Siegener Schulgebäude werden „unglaubliche Herausforderung“
Das sei auch dringend nötig. Die Schulen haben einen „unglaublichen Nachholbedarf“ in Sachen Platz und Sanierung, sagt der Bürgermeister – nicht nur in Siegen, im ganzen Land. Vor einigen Jahren seien aufgrund „irgendwelcher abseitigen Prognosen“ Schulgebäude geschlossen worden, heute habe man viel mehr Kinder als vorhergesagt. In Siegen sei das zum Glück nur in Ortsteilen der Fall gewesen, wo es „so gut wie keine Anmeldungen mehr“ gegeben habe. Insofern habe diese zeitweilige Entwicklung die Stadt nicht ganz so dramatisch getroffen.
Dennoch komme da einiges auch auf Siegen zu: Die Schülerzahlen steigen, der Offene Ganztag werde immer stärker nachgefragt und dann auch verpflichtend – „keiner weiß, wie wir das umsetzen werden“, sagt Steffen Mues, räumlich und personell. „Wir müssen mit Hochdruck etwas tun.“ Stichwort Hochdruck: Weil das im ganzen Land der Fall ist, gibt es bereits Engpässe bei Baufirmen und Architekten, zusätzlich erschwert durch die aktuelle Lage mit Lieferproblemen und steigenden Preisen. „Das wird uns noch vor unglaubliche Herausforderungen stellen.“
Die Jung-Stilling-Schule in Siegen-Weidenau liegt im Zeitplan und im Kostenrahmen
Das alles ist bei der Jung-Stilling-Grundschule, eine der größten im Stadtgebiet, zum Glück nicht der Fall. Die Arbeiten liegen im Zeitplan und im Kostenrahmen. Weil die Aufträge schon vor einiger Zeit vergeben wurden, haben die bauausführenden Firmen rechtzeitig Material beschafft. Die Bauteile kommen aus Limburg und Lörrach, nahe der Schweizer Grenze, erläutert Gunder Stein, Bauleiter des Architektur- und Planungsbüros Almasi und Stein – inzwischen habe das süddeutsche Unternehmen seine Größe vervielfacht und auch die Preise seien enorm angestiegen.
Sanierung und Erweiterung der Jung-Stilling-Schule sind insofern bemerkenswert, als dass unter mehreren Gesichtspunkten Neuland betreten werde – in Siegen und darüber hinaus. Allein die Holzbauweise markiere eine Zeitenwende, findet der Bürgermeister mit Blick auf den Klimaschutz. „Die Bauweise der Zukunft?“
Was für ein Anbau: Atrium, grünes Klassenzimmer, Gebäudebrücke, Mensa
Die Konstruktion ist sicherlich auffälligstes Merkmal des Anbaus, dank dessen sich die Schule größenmäßig nahezu verdoppelt. Die Bodenplatte ist aus Beton gegossen, die Haupterschließung des neuen Traktes mit Treppe und Aufzug besteht ebenfalls aus Beton – aus Gründen des Brandschutzes und der Statik. Alles andere besteht aus Holz, bis zur Decke aus Weißtanne, deren Lamellen die Raumakustik dämmen. Der dreigeschossige Anbau, 1500 Quadratmeter groß, wird aus vorgefertigten Holzmodulen errichtet und über eine „Brücke“ mit dem Bestandsgebäude verbunden. Auch die Brücke, die einen Teil des Schulhofs überspannt, der wiederum zu Atrium nebst „grünem Klassenzimmer“ umgestaltet wird, enthält dringend benötigte Räume – es wird doch zunehmend eng am Stockweg, berichtet Schulleiterin Petra Dors. Jede Etage wird über den Aufzug und außen auch Rampen barrierefrei erreichbar, „es muss keine Stufe mehr überwunden werden“, sagt Gunder Stein.
Das Holz prägt auch den Innenraum. Zur Trittschalldämmung werden die Holzdecken mit einer Kalk-Split-Schüttung verfüllt, erklärt Gunder Stein, der die Schallübertragung ins darunterliegende Geschoss unterbindet. Ansonsten wird das Holz nur teilweise verkleidet, bleibt nur lasiert prägnant sichtbar. Selbst die Außenfassade sei so konstruiert, dass der natürlich gewachsene Baustoff zwar mit der Zeit verwittert, aber die ganze Zeit „von Luft umspült“ ist, wie der Architekt erläutert – so könne keine Staunässe entstehen, die Fassade verändere zwar über die Jahre ihre Farbe, sei aber sehr langlebig. Dass das Dach wärmedämmend begrünt wird, eine Photovoltaik-Anlage erhält und die Belüftung der Räume ohne Zentraltechnik auskommt – jeder Raum verfügt über direkte Verbindungen nach außen –, versteht sich da fast schon irgendwie von selbst.
Eine Grundschul-Erweiterung aus Beton wäre wohl 10 Mal so schwer gewesen
Insgesamt, schätzt Gunder Stein, hätte der Anbau in herkömmlicher Bauweise wohl wenigstens das zehnfache Gewicht gehabt. Holz sei in der Beschaffung zwar erst einmal teurer als Beton, auf lange Sicht werde sich das aber rechnen. Auch Schulleiterin Dors zeigt sich begeistert vom konstruktiven Neuland und dem jetzt schon entstandenen Erscheinungsbild der neuen Schule – das gelte für die ganze Schulgemeinde. Mit Blick auf den langen Offenen Ganztag, der sich wohl auch noch verlängern werde und die Schule noch mehr vom Lern- zum Lebensort mache, „haben unsere Kinder das auch verdient“, findet sie. Alle seien Stadt und Politik sehr dankbar, diese Entwicklung gewagt und die dafür nötigen Mittel bereitgestellt zu haben.
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Dass die im Rahmen geblieben sind, sei in der aktuellen Lage ebenfalls außergewöhnlich, findet Bürgermeister Mues: 6,3 Millionen Euro kosten Sanierung – der Bestand wird kernsaniert – und Erweiterungsbau, mit 3,3 Millionen kommt gut die Hälfte aus Bundesmitteln über das Kommunale Investitionsförderungsgesetz. Im Frühjahr soll alles fertig sein. Vielleicht, hoffen Gunder Stein und Birte Grunwald, die städtische Projektleiterin der Technischen Gebäudewirtschaft, auch schon früher. Auch das wäre zumindest ungewöhnlich.