Siegen. Zwei Schauspielerinnen und ein Musiker, wenig Sprache, harmonischer Gesang, großartige Bühne – und keine Kammeroper.

Das Siegener Bruchwerk Theater präsentiert eine Uraufführung: „Leiber“ der polnischen Komponistin Anna Sowa. Ein Geständnis direkt am Anfang: Verstanden habe ich das Stück nicht. Dennoch lohnt ein Besuch, weil es Zutaten enthält, die auch ein erfahrener Theaterbesucher in dieser Mixtur noch nicht erlebt hat.

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Bühnenbild mit meterlangem Tuch

Beginnen wir mit dem Bühnenbild, für das Teresa Pešl verantwortlich zeichnet: Ein meterlanges Tuch, das sich wie eine Schleppe von der hintersten Zuschauerreihe bis zur Bühne hinzieht und dort, wie man auf den zweiten Blick erkennt, zwei schlafende Menschen bedeckt. Die beiden Frauen in fleischfarbenen Trikots, Lara Süß und Charlotte Lenz, recken und strecken sich, befinden sich im Aufwachmodus. Fakten über Hautveränderungen und anderes Medizinische werden zitiert, es folgen Atemübungen und Zungenakrobatik. Sie schälen sich aus den Stoffen, berühren sich, zunächst mit den Füßen, dann mit ihren Körpern. Bodenakrobatik, die anstrengend ist. Und immer kommen auch die leichten, durchsichtigen Vorhang-Elemente ins Spiel, die durch eine einfache Seilmechanik von den Darstellerinnen mühelos zu bewegen sind.

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Der Titel der Vorstellung ist „Leiber“ – keine Kammeroper. Tatsächlich fehlt zu einer Oper (fast) alles, vor allem die Handlung und ein erkennbares musikalisches Motiv. Klänge kommen durch Schlagzeuger (Patrik Schimanski) und das Cello ins Spiel, zu dem sich eine der Schauspielerinnen hinter dem Vorhang lasziv bewegt. Gesang spielt eine untergeordnete Rolle, stattdessen dominieren elektronisch verzerrte Stimmen. Nur: Warum müssen diese so laut sein? Mancher Besucher ist froh, beim Betreten des Theaters ein Stück der täglichen Hektik hinter sich lassen zu können und gerät sozusagen vom Regen in die Traufe. Aber: die oft zitierte Bedeutung des Cellos als Teil eines Frauenkörpers wird zart angedeutet. Vor allem, als beide Darstellerinnen vierhändig musizieren. Das hat durchaus eine Prise Erotik.

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Langer Beifall nach 50 Minuten

Die Sprache: Sie spielt eine untergeordnete Rolle. „Ein Schritt kann doch nicht so schwer sein“ und „Jetzt mach schon“ sind Sätze, an die sich der Rezensent erinnert. Dafür umso mehr an die Musik, die beim letzten Stück ihre Stärke durchs Leise sein erhält. Melancholisch, zart, mit gezupftem Cello und harmonischem Gesang: Das klingt richtig gut. Richtig gut ist auch die Ästhetik der Bilder, die durch die Vorhänge und Lichteffekte erzeugt wird.

Nach knapp 50 Minuten ist alles gesagt, weil alles gespielt ist. Und: Es war keine Sekunde langweilig. Der lange Applaus gilt einer mutigen Inszenierung, einer großartigen Bühne und zwei Darstellerinnen und einem Musiker, die an diesem Abend auch körperlich an ihre Grenzen gehen müssen.

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