Dreis-Tiefenbach. Der gemeinnützige Verein sammelt Nahrungsmittel, die von Supermärkten aussortiert wurden. Statt vernichtet zu werden, gehen sie an Bedürftige.

Sechs Paletten Bio-Heidelbeeren möchte ein Partnermarkt abgeben, die heute noch abgeholt werden müssen. „Die oberste Schicht hat in der Sonne gestanden“, sagt Sven Stettner, Vorstand des Vereins „Laib und Seele“. Dadurch sind die Früchte oben schneller gereift und für den Handel nicht mehr verwendbar und würden vernichtet. Nicht nur die, sondern der gesamte Inhalt der Paletten. Obwohl natürlich nicht alle Heidelbeeren schlecht geworden sein müssen. Sven Stettner wird einen seiner Fahrer mit der Aufgabe betrauen, mit dem Transporter die Charge einsammeln zu fahren.

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Sven Stettner (links) ist Vorstand der Lebensmittelretter von „Laib und Seele“
Sven Stettner (links) ist Vorstand der Lebensmittelretter von „Laib und Seele“ © Aaron Sayko

Vor einem halben Jahr wurde der gemeinnützige Verein mit christlichem Hintergrund nach einer Abspaltung gegründet. Seitdem setzen sich die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer von Laib und Seele dafür ein, dass weniger Lebensmittel weggeworfen werfen. Obst und Gemüse zum Beispiel, das vielleicht den einen oder anderen Schönheitsfehler aufweist, aber ebenso genießbar ist wie das, was im Supermarkt ausliegt. Oder Nahrungsmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, aber gleichfalls noch essbar sind.

Wer in Deutschland die meisten Lebensmittel wegwirft

Aber selbst das muss nicht der Fall sein. Irina Schneider, Leiterin der Ausgabestelle in Dreis-Tiefenbach, geht ins Süßigkeitenlager und holt einige Tafeln Schokolade hervor. Der Blick auf die Rückseite verrät: Diese Produkte sind noch längst nicht abgelaufen, bis August sind sie mindestens haltbar. Was auf den ersten Blick absurd klingt, hat einen einfachen Grund, wie Sven Stettner erklärt: Supermärkte sind dazu angehalten, keine Ware mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum zum Verkauf anzubieten. Um diese Quote so gut wie möglich zu erfüllen, werden einige Produkte vorsorglich aus dem Sortiment genommen.

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Millionen Tonnen an Lebensmitteln werden in Deutschland pro Jahr weggeworfen. Doch sollte man sich nicht vertun, betont Sven Stettner: „Auf den Handel entfallen nur 19 Prozent.“ Den weitaus größten Teil des Mülls produzieren die privaten Verbraucher, nämlich 57 Prozent. Trotzdem fällt in den Supermärkten genügend Ware an, die sich unter Bedürftigen verteilen lässt. Was auffällt: Im Sortiment liegen viele Markenprodukte. Kein Wunder, sagt Sven Stettner. Handelt es sich doch um die Produkte, „die sich die Leute nicht mehr leisten können“.

Netphen: 180 Paletten Lebkuchen

Und noch eines fällt in der Ausgabestelle in Dreis-Tiefenbach direkt ins Auge: Der große Vorrat an Lebkuchen. Sechs LKW-Ladungen, 180 Paletten, haben sie geliefert bekommen. Von denen sind mittlerweile vier in die Ukraine und eine nach Polen gegangen. Dennoch wird das Weihnachtsgebäck in Dreis-Tiefenbach so schnell nicht ausgehen.

Insgesamt 102 Märkte bieten den Lebensmittelrettern von Laib und Seele ihre aussortierten Produkte an. Bekommen sie die Nachricht, dass Waren abgeholt werden können, muss es schnell gehen. Mit seinen 203 Helferinnen und Helfern stemmt Sven Stettner mehrere Standorte im Kreis Siegen-Wittgenstein und in Rheinland-Pfalz. Und es fällt viel unterschiedliche Arbeit an: Es gibt im Team Fahrer, Putzkräfte, Verwaltung, Ausgabe der Waren und einige bringen Selbstgekochtes vorbei.

Lange Schlange vor der Ausgabestelle in Dreis-Tiefenfach

Wie Hiltrud Michel etwa, die in ihrem Korb einige Gläser selbst gekochte Erdbeermarmelade mitgebracht hat. Die 68-Jährige ist seit Oktober 2021 dabei und hilft regelmäßig bei der Ausgabe. 650 Familien versorgt Laib und Seele, darunter viele Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Senioren. Das sind, schätzt Stettner, insgesamt etwa 6000 Menschen, die sich regelmäßig für einen pauschalen Preis von fünf Euro eine Tasche voll mit Lebensmitteln abholen können.

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Vor der Tür hat sich wenige Minuten, bevor die Ausgabe startet, bereits eine lange Schlange gebildet. Wer eintreten möchte, muss seinen Namen von einem Mitarbeiter bei Laib und Seele auf der Liste abhaken lassen und kann sich allerlei Gebäck, Obst und Gemüse und Kühlwaren herausgeben lassen. Die Ausgabestelle in Dreis-Tiefenbach, die die größte ist, besitzt als einzige einen Kühlraum. Der mit seinen gerade einmal drei Quadratmetern deutlich zu klein ist. Für Sven Stettner selbst nimmt das Engagement mittlerweile viel Zeit in Anspruch. Eigentlich sei er ja Immobilienmakler. „Eigentlich“, betont er. „Aber ich habe dafür einfach keine Zeit mehr.“

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