Siegen. Die Entscheidung über den Antrieb der Zukunft für Busse in Siegen steht an. Bis 2033 könnte jeder zweite Bus mit Elektromotor fahren.

Fast jeder zweite Bus im Kernraum Siegen wird 2033 elektrisch angetrieben sein. Ab 2028 sollen jährlich 13 Batteriebusse angeschafft werden, sodass dann in Siegen, Kreuztal, Freudenberg, Hilchenbach und Netphen ab 2033 insgesamt 82 Elektrobusse unterwegs sein werden. Der Kreis Siegen-Wittgenstein würde damit das „Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungsgesetz“ erfüllen. Danach müssen bis 2025 22,5 Prozent, bis 2030 32,5 Prozent der Busse emissionsfrei sein. Allein im Linienbündel Mitte würden die jährlichen Mehrkosten 2,5 Millionen Euro betragen. Hinzu kommt der Wittgensteiner Raum im Linienbündel Ost: Für den Einsatz von weiteren 17 Batteriebussen fallen weitere 542.000 Euro pro Jahr an. Ein Piloteinsatz mit den ersten vier Batteriebussen könnte 2025 erfolgen.

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Zeit zur Entscheidung drängt – lange Vorlaufzeit

Im Ausschuss für Mobilität und Verkehrsinfrastruktur des Kreistags sprach Vorsitzende Annette Scholl (SPD) von einer „schwerwiegenden Entscheidung“, vor der der Kreis stehe. „Wir werden uns umgucken, was wir uns in Zukunft noch leisten können“, sagte Klaus-Peter Wilhelm (UWG), „so kann das nicht gehen.“ Es sei „noch ein weiter Weg, bis wir Nägel mit Köpfen machen“, glaubte Ulrich Haas (SPD) – und traf damit auf Widerspruch. „Das braucht eine lange Vorlaufzeit, und wir reden über hohe Summen“, stellte Amtsleiter Reinhard Kämpfer klar. Am Ende 300 Busse in Siegen-Wittgenstein und Olpe mit Strom zu betanken, „das macht man nicht aus der Steckdose.“

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Gründet der Kreis eigenes Unternehmen für Infrastruktur?

Dass es nicht um Zukunftsmusik geht, betonte auch Stefan Wied, der künftige Geschäftsführer des Zweckverbandes Personennahverkehr (ZWS): Zum einen wird gerade der nächste Nahverkehrsplan erarbeitet, der nicht nur Linien und Fahrpläne, sondern auch die Fahrzeugausstattung festlegt. Zum anderen richte sich danach auch die Infrastruktur – denn die Fahrzeuge müssen schließlich auch betankt werden. Entweder mit Strom oder mit Wasserstoff. Beide Systeme vorzuhalten um sich in Zukunft entscheiden zu können, sei „keine besonders gute Idee“.

Reinhard Kämpfer erinnerte daran, dass der Kreistag bereits eine Machbarkeitsstudie für eine kreiseigene „Ladeinfrastrukturgesellschaft“ in Auftrag gegeben habe. Dieses Ergebnis wird dem Kreistag im Dezember vorgelegt – das könnte einen Schub beim Neubau von Ladesäulen auslösen. „Wir müssen zeitnah entscheiden", folgerte Guido Müller (FDP). „Wir sind doch eigentlich schon zu spät“, fand Dirk Jakob (Linke). „Deutschland ist das Land der Bedenkenträger, das Siegerland erst recht“, meinte Mathias Simon (Grüne).

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Batterie oder Brennstoffzelle?

Das Beratungsunternehmen ebusplan hat im Auftrag des ZWS untersucht, welche emissionsfreien Antriebstechnlken für den Nahverkehr in Frage kommen: Mit dem Batteriebus können demnach bis zu 95 Prozent, mit Brennstoffzellen bis zu 100 Prozent der jetzigen Dieselbus-Leistung ersetzt werden. Mit untersucht wurden auch Varianten. Zum Beispiel der Batteriebus mit Hybridheizung, die mit Diesel betrieben wird, um Strom für den Motor zu sparen. Und der Batteriebus mit Brennstoffzellen-Erweiterung, der die Reichweite verlängert.

Infrastrukturgesellschaft

Voraussetzungen, wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Chancen und Risiken einer Infrastrukturgesellschaft für ÖPNV- Infrastrukturen, insbesondere zur Bereitstellung von Ladeinfrastruktur für einen elektrifizierten und wasserstoffbetriebenen Busverkehr, sollen untersucht werden. Das hat der Kreistag im März in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen.

Geprüft werden soll, ob und in welcher Höhe die Übernahme der Aufgabe zur Errichtung von Ladeinfrastruktur und/oder Wasserstoffinfrastruktur für den öffentlichen Nahverkehr durch das Land oder durch den Bund zu finanzieren ist und ob aufgrund der derzeit stark gestiegenen Energiepreise auch andere alternative, synthetische Treibstoffe für den ÖPNV wirtschaftlich und ökonomisch sinnvoll eingesetzt werden können.

Batteriebusse sind wirtschaftlicher

Pro Batterie: Am wirtschaftlichsten schneidet in der Studie der Batteriebus mit Hybridheizung ab: Unter dem Strich steht der Betrag von 2,55 Euro pro „Nutzkilometer“, wenn alle Kosten umgelegt werden. Der Wasserstoffbus fährt für 3,48 Euro, der Dieselbus fuhr für 1,49 Euro – bis zum Ukraine-Krieg. Jetzt müssten noch einmal 50 Cent draufgelegt werden, schätzt ebusplan-Geschäftsführer Dr. Matthias Rogge. Bei der Umstellung rät der Gutachter zur „moderaten Variante“ mit 46 statt 100 Prozent Elektrobussen. Daher werden noch „saubere“ Busse, die mit Gas oder synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, zusätzlich in die Flotte aufgenommen werden müssen, um die gesetzliche Quote zu erfüllen.

Obus in Eisern: Das Oberleitungsnetz wird wohl nicht wieder aufgebaut.
Obus in Eisern: Das Oberleitungsnetz wird wohl nicht wieder aufgebaut. © Sammlung Heimatverein Eisern

„Warum wird nicht über O-Busse nachgedacht?“, fragte Dirk Jakob (Linke). „Hätten wir mal die Oberleitungen gelassen“, sagte Ulrich Haas (SPD) – bis 1969 hingen die Hauptlinien der Siegener Kreisbahn am Fahrdraht, als letzte die Linie 1 von Siegen nach Kreuztal. Das Siegener Oberleitungsnetz war zeitweise das zweitgrößte in Deutschland. Das Leitungsnetz müsse erst wieder neu aufgebaut werden, wandte Dr. Matthias Rogge ein. „Und dann legt man sich für 20 Jahre fest.“

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Alternative Wasserstoff-Brennstoffzelle?

Kontra Batterie: Martin Achatzi (CDU) fragte nach der Brennstoffzelle: „Wasserstoff bietet größere Sicherheit.“ Elektrobusse seien schon wiederholt beim Laden in Flammen aufgegangen. Die Herstellung von Wasserstoff sei zu teuer, wandte Dr. Markus Rogge ein - die Technik sei auch weniger effizient: Zuerst werde für die Herstellung von Wasserstoff, danach gehe Leistung beim Umwandeln des Wasserstoffs in Strom in der Brennstoffzelle verloren: „Wir verlieren Energie.“ Zudem sei Wasserstoff flüchtig, es könne sich Knallgas bilden – die Betriebshöfe müssten folglich mit Dachluken ausgestattet werden. Gebe es erst einmal grünen Wasserstoff sei der Leistungsverlust hinnehmbar, erwiderte Martin Achatzi.

Bisher komme Siegens einzige Wasserstoff-Tankstelle im Leimbachtal mit einer Lkw-Ladung pro Woche aus, die aus Köln angeliefert werde, berichtete Amtsleiter Reinhard Kämpfer. Für die Versorgung des Nahverkehrs „müsste Siegen schon an einer Pipeline liegen.“

André Jung (CDU) sah einen „gravierenden Nachteil“ in der kürzeren Lebensdauer der Batterien. „Die Netze müssen den Strom auch hergeb. Nicht, dass im Industriegebiet das Licht ausgeht, wenn die Busse geladen werden.“ Dass das nicht passiert, sei durch Lademanagementsysteme steuerbar, antwortete der Gutachter. Die Erneuerung der Batterien alle sieben Jahre sei in die Wirtschaftlichkeitsberechnung aufgenommen worden.

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Grüne: Rennen ist längst entschieden

Klaus-Peter Wilhelm (UWG) verwies auf die Herstellungsbedingungen der Fahrzeugbatterien: „Auf dem Rücken der ärmeren Bevölkerung in anderen Ländern.“ Der derzeitige Hauptlieferant China baue Kohlekraftwerke, um Energie für die Batterieproduktion zu gewinnen. Dr. Markus Rogge räumt ein, dass für die Herstellung von Batterien – unter anderem durch den Abbau von Kobalt – zunächst die CO2-Bilanz sogar verschlechtert werde. „Wir erkaufen uns eine schöne saubere Umwelt zu Lasten dieser Länder“, sagte Roland Steffe (AfD). „Seit wann macht sich die AfD Gedanken um Menschen in anderen Ländern?“, fragte Matthias Simon (Grüne), bevor es im Saal kurzzeitig laut wurde. Das Rennen sei längst entschieden: zugunsten der Batterie im Verkehr, für den Wasserstoff in der Industrie. Dann, so Martin Achatzi (CDU), wäre ja Zeit für da andere Thema: „Ich würde mich freuen, wenn wir zu einer Diskussion über den ÖPNV der Zukunft kämen."

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