Siegen. Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) besucht die Realschule Am Oberen Schloss. Und äußert sich zur Siegener Gesamtschul-Debatte.
Zwei Schulstunden lang lässt sich die Ministerin die Realschule Am Oberen Schloss zeigen: die Roboter, die Hasen und die Bienen im Garten, das neue Unterrichtsfach Bionik. Das Thema, das hier alle bedrückt, sparen Schule und Gast für die letzten Minuten auf – als ob es die frühsommerliche, von der Sonne beschienene Stimmung nicht trüben soll. „Ich drücke der Schule alle Daumen“, sagt Yvonne Gebauer, als Rektor Joachim Steinebach die Siegener Schulpolitik anspricht: eine vierte Gesamtschule auf dem Rosterberg, keine Realschulen und keine Hauptschule mehr.
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Die Botschaft: Realschule soll weiterarbeiten können
Die Schulministerin wird im Musikraum, in dem sich ihre Gastgeber versammelt haben, deutlich. Natürlich sei es „kommunale Hoheit“, über die Schließung und Errichtung von Schulen zu entscheiden. Doch „all diejenigen, die sich in Siegen mit Schulpolitik befassen, sollten noch einmal überlegen, wie man mit einer solchen Entscheidung umgeht. Ich würde mir wünschen, dass die Schule so weiterarbeiten kann.“
Kein Aufschub
Die Ankündigung eines Bürgerbegehrens durch FDP, UWG und GfS muss den Rat nicht aufhalten, den Errichtungsbeschluss für eine vierte Gesamtschule zu fassen und damit das Aus für Haupt- und Realschulen zu beschließen. „Das Bürgerbegehren begründet grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung und damit keine Entscheidungssperre für den Rat“, teilte die Stadt auf Anfrage mit. Über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehren müsse der Rat „unverzüglich“ entscheiden. „Unverzüglich bedeutet aber nicht zwangsläufig die Einberufung einer Sondersitzung.“
Und wenn nicht, so der Rektor, dann wenigstens so lange weiter als Talentschule, so lange überhaupt noch Schule in den Gebäuden an der Burgstraße ist. „Das ist uns ein Herzensanliegen“. Talentschule: Die Realschule am Oberen Schloss gehört zu den ersten im Land, die mit diesem besonderen Förderkonzept ausgestattet wurden. „Pionierarbeit.“ „Vorzeigeschule.“ Yvonne Gebauer spart nicht mit anerkennenden Worten. Wohl auch, weil das Pilotprojekt zu dem Erbe gehören soll, was diese Landesregierung ihren am Sonntag zu wählenden Nachfolgern hinterlässt.
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Der Empfang: Talentschule mit Vielfalt
Kurz vor halb zehn haben die Jugendlichen, die den Besuch aus der Landeshauptstadt begrüßen sollen, auf dem Schulhof ihr Spalier mit einem Meer von Flaggen formiert, die für die 29 Nationalitäten der rund 520 Schülerinnen und Schüler stehen. „Kaugummis raus“, „nicht schwenken“ – die letzten Ansagen sind knapp, als der Dienst-Audi einparkt. Yvonne Gebauer freut sich über den Empfang, wechselt hier und da mit den jungen Leuten ein paar Worte, bevor der Tross im Gebäude verschwindet. „Was machen die dann hier?“, fragt noch jemand.
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Noch nie in den 62 Jahren ihrer Geschichte hat ein Schulminister oder eine Schulministerin die Realschule Am Oberen Schlos besucht, stellt Rektor Joachim Steinebach fest und erinnert daran, wie sie vor vier Jahren „Talentschule der ersten Stunde wurde“ – ein Konzept für ein „schwieriges soziales Umfeld“ mit verstärktem Personal. 105 Mitarbeitende sind es, Lehrerinnen und Lehrer., Sozial- und Sonderpädagogen sowie städtisches Personal. Konrektor Frank Eckhardt wird konkret, erklärt den Unterricht, der in den vier Fächern der Fördersäule in Gruppen vin höchstens sieben Fünft- und Sechstklässlern stattfindet – eine Spanne von Hauswirtschaft („Manche Schüler schälen hier zum ersten Mal einen Apfel“) bis Französisch. Teamtraining, Beratungstag, Lernmanagement. Theorie, bevor es in den Garten geht.
Die Talente: Vom Schulgarten zur Bionik
Zwei Jungs haben die Imkerkluft angelegt, weiter unten warten die Hasen. „Unsere Schule soll blühen“, sagt Lehrerin Sandra Drößler. „Grün ist ja schon alles“, stellt die Ministerin fest. Auf den Schnittchen sind Bärlauch-Butter und Kräuterquark, der Honig steht in Gläsern bereit. Zehn Völker produzieren eine halbe Tonne im Jahr - das lohnt für den nur ein paar Steinwürfe entfernten Wochenmarkt und die noch zu gründende Schülerfirma. Sandra Drößler erklärt das Bienenfenster und die Sache mit der Königin. „Habt ihr das gewusst?“, fragt Yvonne Gebauer die dabeistehenden Schülerinnen und Schüler. „Ja.“ Sie sind schließlich zum Lernen hier.
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Nächste Station sind die Naturwissenschaften. Constanze von Schweinichen und ihre Schüler führen vor, was Bionik ist: „Wir haben hier die kunterbunte Vielfalt quer durch die ganze Technik.“ Während Papier-Hubschrauber und -Fallschirme durch die Klasse segeln, um den Samenfall von Ulmen und Ahörnern zu illustrieren, ist die Ministerin abgelenkt: Sie hat durchs Fenster in einem Raum um die Ecke ein FC-Köln-Poster erspäht. „Ich habe im Kunstraum eins, das ist drei Meter hoch“, teilt Lehrer Stephan Lenhard mit. Fans unter sich.
Eine Fenster-Rede: Mehr Lob, als in eine große Pause passt
Große Pause. Dichtes Gedränge auf dem Schulhof, alle haben wieder die verschiedenen Landesfarben dabei, diesmal auf Papptafeln. Oben aus dem ersten Stock wird die Ministerin jetzt zu den Kindern und Jugendlichen sprechen. „Eine Premiere für mich“ – so von oben runter in die Menge. „Eine wunderschöne Schule.“ „Kreativität und Engagement.“ „Sie leisten Pionierarbeit.“ „Davon können andere nur träumen.“ „Eine einzigartige Bildungsmöglichkeit, die Sie ein Leben lang in Erinnerung behalten werden.“ Für so viele freundliche Worte ist die Pause viel zu kurz. Yvonne Gebauer verabschiedet sich mit guten Wünschen für die gerade laufenden Prüfungen. Der Schulhof antwortet im Sprechchor: „Wir sind Vielfalt.“
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Der Abschied: Vielleicht macht der Besuch Eindrucl
Die Robotik wartet noch. Yvonne Gebauer lässt sich Spiele vorführen. Und den Legoroboter. „Der muss da jetzt aber auch reinpassen“, sagt sie dem jungen Programmierer. „Das passt“, antwortet der – an Selbstbewusstsein mangelt es hier niemandem. Zurück im Musikraum werden letzte Wünsche formuliert. Der nach mehr WLAN. Und vor allem nach dem Fortbestand der Schule. Vielleicht, so hofft Rektor Joachim Steinebach, beeindruckt so ein hoher Besuch die Stadt ja. Die Ministerin mit der eigenen kommunalpolitischen Erfahrung in Köln ist da realistisch, auch in eigener Sache. „Vielleicht sehen wir uns mal wieder“, hat sie sich bei der Rede zum Schulhof verabschiedet. Die FDP-Politikerin weiß, dass sie nach der Wahl kaum Aussichten hat, Schulministerin zu bleiben.
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