Netphen/Siegen. Dr. Theodor Gräbener blickt auf über 30 Jahre Engagement in der IHK Siegen zurück - und erzählt von der schlimmsten Zeit in seinem Leben.

Wenn die Mitgliedsunternehmen der IHK Siegen im März die Vollversammlung wählen, wird auf der Liste der Kandidatinnen und Kandidaten ein Name nicht wieder auftauchen: Dr. Theodor Gräbener. Nach mehr als 30 Jahren Engagement tritt er nicht erneut zur Wahl an. Zusammen mit dem Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen, Klaus Gräbener, blickt er zurück. Die Namensverwandtschaft sei bloßer Zufall, betont er: „Wir sind weder verwandt, noch verschwägert. Das glaubt uns nur niemand.“

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Die Karriere von Dr. Theodor Gräbener, Jahrgang 1946, führt ihn nach der Promotion zur Firma Krupp, wo er fünf Jahre in der Konzernleitung arbeitet. In den Familienbetrieb „Gräbener Großrohre“ steigt er 1980 ein und beginnt, sich bei den Wirtschaftsjunioren Südwestfalen mit anderen Unternehmern zu vernetzen. Als Beirat merkt Dr. Theodor Gräbener, dass ihm die Gremienarbeit beim Arbeitgeberverband nicht behagt. Zweifellos, betont er, haben Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände eine wichtige Funktion in der Gesellschaft: „Aber persönlich habe ich die konfrontativen Diskussionen gehasst“, sagt Dr. Theodor Gräbener. „Ich wollte lieber mit ihnen was erreichen, als von anderen etwas wegzunehmen.“

Die Wahl der Vollversammlung

Die IHK Siegen ist die Selbstverwaltung aller Gewerbetreibenden aus den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe. In der Vollversammlung bestimmen die Unternehmen, welche Themen die IHK Siegen in den Blick nehmen und wofür sie ihre Mittel einsetzen soll.

Vom 7. März bis 1. April wählen die Mitglieder unter 125 Kandidaten die Vollversammlung für die kommenden vier Jahre. 43 Sitze hat das Gremium, das aus seinen Reihen wiederum den Präsidenten und die Vizepräsidenten wählt.

Daher habe er sich entschlossen, sich in der IHK Siegen zu engagieren, in deren Vollversammlung der Netphener 1984 zum ersten Mal gewählt wird. Er merkt, dass er hier richtig ist: „Bei der IHK habe ich gesehen, die arbeitet ja nicht gegen irgendjemanden. Die IHK steht für die Region“, sagt Dr. Theodor Gräbener. Im Gegensatz zu Einzelgewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, die Tarifpolitik gestalten, erläutert Klaus Gräbener, hat die IHK die Aufgabe, die Wirtschaft einer Region als Ganzes zu vertreten: „Man muss sehen, wie man unterschiedliche Interessenlagen zusammenbringt. Und wie man die Region so zusammenbringt, dass sie gegenüber der Politik sprechfähig ist.“

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Als sein großes Steckenpferd betrachtet Dr. Theodor Gräbener die Berufsausbildung. Dazu sei er über seine Geschäftspartner in den USA gekommen. Diese haben ihn zwar, sagt er, auch auf seinen Doktortitel angesprochen, aber „gelöchert wurde ich immer zum Thema Facharbeiter: Wie macht ihr das?“

Ausländische Geschäftspartner bewundern deutsches Ausbildungssystem

Hintergrund: In den USA haben Absolventen der weiterführenden Schule (High School) die Wahl, ein Studium anzufangen oder in den Beruf einzusteigen. Eine Berufsausbildung nach dem dualen System gibt es nicht. Daher komme, sagt Dr. Theodor Gräbener, das große Interesse: „Die waren immer sprachlos, wie gut unsere Leute waren.“ Erste Station des Netpheners im Feld der Berufsausbildung ist der paritätisch besetzte Berufsbildungsausschuss der IHK Siegen: „Da habe ich erlebt, wie toll eine Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft sein kann. Da hat man gar nicht gemerkt, dass da Arbeitgeber und Gewerkschaften sitzen.“

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Um sich in dem Feld weiter zu engagieren, tritt Dr. Theodor Gräbener 1986 in den Vorstand des Berufsbildungszentrums der IHK in Siegen ein. Den Vorsitz übernimmt er 1994 und gibt ihn 2015 ab. Als eingetragener Verein ist das Berufsbildungszentrum von der IHK getrennt, dessen zentrale Aufgabe die Prüfungsabnahme ist: „Wir müssen hier als IHK aufpassen, weil wir auf der einen Seite Schiedsrichter im Prüfungswesen sind und auf der anderen Seite Mitspieler auf dem Markt“, erläutert Klaus Gräbener. Diese Sphären müssten getrennt werden. Im Zusammenhang des Engagements für das Berufsbildungszentrum lernen sich Dr. Theodor Gräbener und Klaus Gräbener 1989 kennen.

Ausbau des Berufsbildungszentrums Siegen

Ziel des Netpheners ist es damals, das Berufsbildungszentrum auszubauen. Diese Zeit, betont Dr. Theodor Gräbener, sei die schönste innerhalb der IHK gewesen: „Als wir angefangen haben, da stand noch ein kleines Gebäude mit Scheddach. Dann kam Klaus Gräbener.“ Er übernimmt 1993 die Geschäftsführung des Berufsbildungszentrums. Für Dr. Theodor Gräbener ein Glücksfall: „Die Gelder besorgt für den Ausbau hat damals Klaus Gräbener.“ Zusammen gelingt es ihnen, 1994 den Ausbau auf den Weg zu bringen und 2000 zum Abschluss zu bringen.

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Dass Dr. Theodor Gräbener im Jahr 1994 den Posten als Vizepräsident der IHK-Vollversammlung in Siegen abgibt, den er seit 1986 innehatte, hängt mit einem Ereignis zusammen, das ihn als Unternehmer stark gefordert hat: Im Jahr 1995 muss Dr. Theodor Gräbener seine Firma „Gräbener Großrohr“ stilllegen, weil er für diese in diesem Feld keine Zukunft mehr sieht: „Das ist das Schwerste als Unternehmer, was man machen muss. Zu sagen: Jetzt höre ich auf.“ An dem Unternehmen hängen 120 Angestellte, die so ihre Arbeitsstelle verlieren: „Da habe ich mich an meine Ehre gepackt gefühlt.“

Einsatz für die Angestellten

Der Netphener setzt sich zum Ziel, von seinen Angestellten möglichst viele wieder in Arbeit zu bringen: „In der Nachbarschaft haben wir persönlich bei den Unternehmern angeklopft und haben gesagt: Das ist ein guter Mann. Kannst du den einstellen? Wenn du ihn nach einem Vierteljahr wieder rausschmeißt, zahle ich das Gehalt.“ Letztlich schafft er es, 110 seiner Angestellten wieder eine Stelle zu beschaffen. Dr. Theodor Gräbener ist froh, dass er die Schließung seiner Firma sozialverträglich hinbekommen habe. „Das war die schlimmste Zeit meines Lebens.“

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Verständnis habe er bei seinen Kollegen in der IHK für seine Entscheidung nicht geerntet, erinnert sich Dr. Theodor Gräbener: „Die haben mich hier brutal kritisiert: Das kann man doch nicht machen. Man reitet das Pferd, bis es zusammenbricht.“ Lob habe er dagegen von Vertretern der IG Metall erhalten. „Darauf bin ich stolz, dass ich damals diese Entscheidung getroffen habe“, betont er. Kurz darauf investiert der Netphener das Geld, das er aus der Schließung der Firma bekommen hat, in die Gründung der „Graebener Group“.

Herausforderungen für die Wirtschaft in Südwestfalen

Anders gestalten sich die Herausforderungen, denen sich Unternehmen und die IHK Siegen in Zukunft beschäftigen werden muss - da sind sich beide einig. Besonders der Krieg in der Ukraine bereite ihnen hinsichtlich verschärfter Sanktionen Kopfzerbrechen. Für einige Firmen, betont Dr. Theodor Gräbener, ist das Geschäft mit Russland immens wichtig: „Für die Firmen, die nach Russland liefern, ist der russische Markt bedeutend. Die Gefahr ist, dass Firmen wackeln können, weil ihnen der 50-Prozent-Markt wegfällt.“ Dennoch: „Wenn Sie über Krieg und Frieden diskutieren, dann werden die regionalwirtschaftlichen Fragestellungen klitzeklein“, sagt Klaus Gräbener. Er habe sich nicht vorstellen können, dass es so weit kommt, weil man bei Russlands Präsident Wladimir Putin gedacht habe, man habe ihn gekannt: „Das war ein Fehler“, betont Klaus Gräbener.

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Mit dieser Krise hängt eine weitere Herausforderung für die Firmen zusammen: Die gestiegenen Energie- und Gaspreise. „Diese Kombination bedeutet für die nähere Zukunft der Wirtschaft nicht Gutes. Da kann man sich warm anziehen“, sagt Klaus Gräbener. Ein weiteres Problem erkennt er darin, dass Deutschland „in der Infrastrukturpolitik viel zu langsam geworden“ sei. Die Entbürokratisierung, sagt er, müsse nun schnell umgesetzt werden: „Sie können nicht eine Industriegesellschaft in zehn Jahren von links auf rechts drehen, wenn Sie für eine Ortsumgehung 50 Jahre brauchen.“ Davon, ist Klaus Gräbener überzeugt, hängt die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands ab: „Die anderen investieren, wir diskutieren.“

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