Deuz. Walzen Irle holt sich Unterstützung, um aus der Krise zu kommen. Die mehr als 300 Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben.
Walzen Irle ist in akute Liquiditätsnot geraten. Das hat das Unternehmen jetzt mitgeteilt. „Eine Reihe von Ereignissen, die teilweise den Gesamtmarkt, teilweise aber auch die Walzen Irle im Speziellen betreffen“, seien dafür die Ursache. Die Geschäftsführer Dr. Petrico von Schweinichen und Thomas Fink haben ein gerichtliches Sanierungsverfahren beim Amtsgericht Siegen eingeleitet. Das Amtsgericht hat dem Antrag für ein Eigenverwaltungsverfahren stattgegeben.
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„Unsere Auftragsbücher sind weiterhin gut gefüllt. Die finanzielle Krise ist durch eine Reihe von Sondereffekten, die einzeln betrachtet beherrschbar gewesen wären, entstanden“, erklärt Dr. Petrico von Schweinichen den Antragsgrund. „Walzen Irle hat ihre Hausaufgaben in der Vergangenheit gemacht, um sich auf dem internationalen Marktumfeld zu behaupten. Walzen Irle ist gut für die Zukunft aufgestellt“, ergänzt Thomas Fink.
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Kosten steigen, Erschwernisse durch Pandemie und Transport
Die Produktion von Walzen Irle ist maßgeblich vorfinanziert, so dass von dem Materialeinkauf bis zur Bezahlung des ausgelieferten Produktes bis zu zehn Monate vergehen können. Infolge der allgemeinen Rohstoffpreissteigerungen des letzten Jahres stiegen die Materialkosten erheblich um bis zu 100 Prozent an. „Festpreisangebote aus dem Jahr 2020 konnten nur bedingt nachverhandelt werden und wurden so zu einem Verlustgeschäft“, heißt es in der Pressemitteilung, auch der Einfluss aus der Covid-19 Pandemie sowie überlastete Schiffsverkehrswege mit Einschränkungen im Schiffstransport Richtung Asien seien Katalysatoren für die finanzielle Schieflage.
Auftragsbücher sind voll
„Es ist frustrierend zu sehen, dass die Auftragsbücher voll sind, die Mannschaft alles dafür in Bewegung setzt, die Produkte fristgerecht fertigzustellen, es aber dann an Zubehörteilen, Transportkapazitäten und fehlenden Kapazitäten durch hohe Krankenstände auch bei externen Zuarbeitern fehlt“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Dr. Petrico von Schweinichen.
„Die Verzögerungen bei den Auslieferungen oder auch den letzten Zubehörteilen führten dazu, dass der Geldzufluss der vorfinanzierten Produkte immer geringer wurde, sich unsere Warenbestände jedoch kontinuierlich erhöhten und die höheren Materialpreise immer mehr Kapital abverlangten. Das war jetzt nicht mehr möglich,“ so der Geschäftsführer Thomas Fink.
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Schwere Cyber-Attacke im vorigen Jahr
Darüber hinaus wurde das traditionsreiche Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr gleich mehrfach belastet. Zu Beginn des Jahres wurde Walzen Irle Opfer einer Cyber-Attacke, die erhebliche Mehrkosten verursachte.
„Die ersten Gespräche zeigen, dass unsere Lieferanten, Kunden und Geschäftspartnern weiterhin zu unserem eingeschlagenen Weg stehen. Wichtig ist auch das weitere Vertrauen unserer Mitarbeitenden in das Unternehmen und unseren Auftragsbestand“, so Thomas Fink. „Unsere Mitarbeitenden sind in den letzten Jahren erfolgreich durch eine lange Restrukturierungsphase gelaufen, die von Allen viel abverlangte. Wir haben aber krisenerfahrene Mitarbeitende, die wissen, dass wir auch diese Situation überwinden werden“, erzählt Dr. Petrico von Schweinichen.
Der Geschäftsbetrieb, die Produktion und Lieferung an die Kunden laufen uneingeschränkt weiter. Die bestehende Geschäftsführung bleibt im Eigenverwaltungsverfahren im Amt und gestaltet die finanzielle Sanierung maßgeblich mit.
Arbeitsagentur übernimmt Lohnzahlung
Die über 300 Mitarbeitenden des Familienunternehmens am Standort in Deuz wurden über das Verfahren in einer Betriebsversammlung informiert. Für maximal drei Monate stellt nun die Bundesagentur für Arbeit über das Insolvenzgeld die Löhne und Gehälter sicher. Danach trägt das Unternehmen wieder die Zahlungen an die Mitarbeitenden. Ein Arbeitsplatzabbau sei aufgrund der aktuellen Auftragslage nicht vorgesehen, teilt das Unternehmen mit.
Sachwalter und Generalbevollmächtigter bestellt
In dem Eigenverwaltungsverfahren wird Walzen Irle von der Unternehmensberatung Falkensteg aus Düsseldorf begleitet. Zur Unterstützung des Prozesses wird der Verfahrensexperte Tillmann Peeters als Generalbevollmächtigter berufen. Die Geschäftsführung wird zusammen mit den Unternehmensberatern von Falkensteg ein Konzept entwickeln, das die Fortführung des Unternehmens aufzeigen wird. „Wir werden die bisherigen Maßnahmen forcieren und auf die individuellen Ereignisse, die zur Schieflage führten, abstimmen. Ich gehe von einer erfolgreichen Umsetzung des Verfahrens aus“, erklärt Tillmann Peeters.
Darüber hinaus übernimmt ein Team um Rechtsanwalt Dennis Fouladfar, Partner der Kanzlei Achsnick Pape Opp, die rechtliche Beratung in der Eigenverwaltung. Das Familienunternehmen nutzt das Eigenverwaltungsverfahren, um die externen Krisengründe zu beseitigen. Ein Sachwalter prüft zudem die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und stellt sicher, dass den Gläubigern im Verfahren keine weiteren Nachteile entstehen. Das Amtsgericht Siegen bestellte Rechtsanwalt Andreas Pantlen von der Kanzlei Wellensiek Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB als vorläufigen Sachwalter.
Am Standort in Deuz entwickelt, produziert und vertreibt Walzen Irle hochtechnologische Gussprodukte für höchste Ansprüche. Zum Produktportfolio zählen Walzen für die Stahl-, Papier-, Kunststoff-, Gummi- und Lebensmittelindustrie sowie Verschleißgussteile und Kolben für hydraulische Pressen.
Walzen-Irle-Insolvenz: Was sagt die Gewerkschaft?
Für IG-Metall-Gewerkschaftssekretär und Betriebsbetreuer Peter Richter ist es noch zu früh, um etwas über die weiteren Folgen des Insolvenzverfahrens sagen zu können. Dennoch gäbe es „schlechtere Aussichten“, denn Arbeit sei da.
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Ein Problem sieht er vor allem in der Vorfinanzierung der Walzen durch den Betrieb. Hier hofft er darauf, dass dieser bessere Preise bei den Produktbeteiligten verhandeln kann. „Jetzt müssen die Leute zusammenhalten, sich gegenseitig motivieren und versuchen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.“
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