Siegen. Ein 19-Jähriger steht vor Gericht: Er soll auf einen Mann eingestochen haben, der sich durch ihn belästigt fühlte – Szenen aus dem Dorf.
Der Geschädigte fühlte sich geschubst. Einen Stich spürte er nicht. Erst ein paar Minuten später wurde es warm und feucht auf seiner Brust. Beim Ausziehen der Jacke war „das weiße T-Shirt darunter komplett rot. Da habe ich erst realisiert, dass er mich abgestochen hat“.
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Ganz so schlimm war es glücklicherweise nicht. Aber der 27-jährige Mann aus Oberfischbach hatte in der Nacht zum 17. Oktober 2020 tatsächlich einen Messerstich in die rechte Brust bekommen, der dringlich versorgt werden musste. Der mutmaßliche Täter (19) sitzt seit Freitag im Schwurgericht. Gleich drei Anklageschriften hat Staatsanwalt Waldemar Gomer zu verlesen gehabt. Dem jungen Mann werden gefährliche Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigungen sowie sexuelle Übergriffe vorgeworfen.
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Psychiater mit Gutachten beauftragt
Zwischenzeitlich hat Verteidigerin Rita Holstein-Brass Hinweise auf eine Intelligenzminderung ihres Mandanten eingereicht, die das Gericht zur Einbeziehung von Psychiater Dr. Brian Blackwell veranlasst haben. Es könne auch um die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehen, erläutert die Vorsitzende Richterin Sabine Metz-Horst dem Angeklagten. „Sie können es ja versuchen“, entgegnet ihr Gegenüber mit patziger Stimme und sorgt damit schon das zweite Mal für den Unmut der Juristin. „Ist das eine Drohung? Wir sind hier nicht auf der Straße.“ Kurz davor hatte sie ihm nahegelegt, seine Jacke abzulegen, weil es doch recht warm sei im Schwurgerichtssaal. „Mir ist kalt. Die bleibt an“, hatte er da geantwortet.
Auf die Frage nach einer Einlassung kommt eine deutliche Antwort: „Ich werde hier gar nichts sagen!“ Das überrascht auch seine Anwältin, die danach Gelegenheit zu einem kleinen Gedankenaustausch mit ihm bekommt. Ihr Mandant fühle sich unwohl, in Gegenwart so vieler Menschen zu reden, er könne das einfach nicht, lässt sie die Kammer dann wissen. Die Vorsitzende schüttelt den Kopf. Das bisherige Verhalten des jungen Mannes sei schlicht frech gewesen.
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Lichtstrahl ins Wohnzimmer hinein
Dann wird der Zeuge gehört, der an einem Freitagabend im Oktober 2020 mit dem Angeklagten konfrontiert wurde, der bis dahin ein völlig fremder Mensch für ihn gewesen sei. Er und seine damalige Verlobte, inzwischen Ehefrau, hätten gemütlich im Wohnzimmer gesessen, als plötzlich von draußen ein Lichtstrahl hereinfiel. Als dieses länger dauerte, ging der Zeuge zum Fenster, sah dort den Angeklagten auf der Straße vor dem Haus stehen. „Wir wohnen in einem Dorf, dort ist normalerweise keiner.“ Er sprach den Angeklagten an, der vorgeblich von einer Party kam und auf ein Taxi warten wollte. Erst später sei ihm berichtet worden, dass der junge Mann in der Nachbarschaft wohne.
Die Aufforderung, woanders zu warten, sei zurückgewiesen worden. Er stehe dort, wo er wolle, habe der Angeklagte gesagt. Etwas später verließ der Zeuge das Haus durch die Kellertür, „um noch eine zu rauchen“. Den Angeklagten habe er da schon vergessen gehabt, ihn dann aber weiterhin vor dem Haus gesehen und erneut angesprochen. Es kam zum Streit, zu Beschimpfungen und Drohungen gegen die Verlobte, schließlich zu dem Schubsen, das sich für den Zeugen dann als gefährlicher Messerstich herausstellte. Er zog sich ins Haus zurück, während der Angeklagte gerufen habe, „ich stech’ Dich ab“, die junge Frau komme noch an die Reihe.
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Leiden an Folgen des Angriffs dauert an
Die Verlobte rief Krankenwagen und Polizei. Beide können sich den Vorfall bis heute nicht erklären, leiden vor allem psychisch immer noch unter daran. Er sehe sich als „starker Mann“, sagt der Zeuge, warum er für sich entschieden hat, keine Medikamente zu brauchen. „Es gibt aber auch Gesprächstherapie“, rät die Vorsitzende dem erkennbar immer noch angeschlagenen 27-Jährigen. Er habe ja den Stich gar nicht gespürt, erst am nächsten Morgen im Krankenzimmer durch zwei dort ebenfalls liegende „ältere Männer“ mitbekommen, „dass ich beinahe gestorben wäre. Das hat mich völlig kaputtgemacht.“
Die gleichaltrige Ehefrau hat bis heute Angst und Panik, an dunklen Morgen die paar Meter vom Haus zu ihrem Auto zu gehen. „Ich habe es nicht verarbeitet“, betont die Frau.
Fortsetzung am 27. Januar
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