Siegen. Ein pensionierter Beamter soll in der Kfz-Zulassungsstelle in Siegen Geld angenommen und veruntreut haben. Vor Gericht gibt es Widersprüche.

Bestechlichkeit und Untreue werden dem Mann auf der Anklagebank vorgeworfen, der pensionierter Beamter ist und bei einer Verurteilung denkbar schlechte Aussichten in einem Disziplinarverfahren hat, das ihm noch bevorsteht. Jetzt ist er zunächst einmal im Amtsgericht in Siegen vorstellig geworden, hat Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid über 120 Tagessätze eingelegt. Nach der Einlassung, die Anwalt Jörg Menzel für ihn abgibt, wird deutlich: Der Mann fühlt sich ungerecht behandelt. Und das nicht zu erstem Mal in seinem Leben.

Vorwurf vor Gericht in Siegen: Zweimal Bestechungsgelder angenommen

Der 60-jährige Siegener hat in der Kfz-Zulassungsstelle des Kreises gearbeitet, soll dort 2019 zweimal Bestechungsgelder angenommen und in rund dreißig Fällen in die Kasse gegriffen oder Gebühren nicht bezahlt haben. Bei internen Untersuchungen fanden sich Unterdeckungen in der Kasse, die vorgeblich jeweils ihm zugeschrieben werden. Der Mann bestreitet die Vorwürfe.

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In der Zulassungsstelle sei die Stimmung katastrophal gewesen, berichtet dieser. Er habe keine vernünftige Einarbeitung bekommen, immer nur die rudimentärsten Dinge gewusst. Er gibt zu, für die Vermittlung eines Kurzkennzeichens 50 Euro „für die Kaffeekasse“ angenommen und dies der stellvertretenden Leiterin gemeldet zu haben. Diese sei aber nicht mehr die Verwalterin dieser Kasse gewesen, habe ihn an eine Kollegin verwiesen, die ihn wiederum bat, das Geld in die „Ausgleichskasse“ zu legen. Dort werde sie es sich holen: „Ich habe es dann nicht weiter verfolgt.“ Die stellvertretende Leiterin hat keine Erinnerung an den Vorgang, will ihn aber auf Nachfrage des Gerichtes ausdrücklich auch nicht ausschließen. Die andere Kollegin ist mittlerweile verstorben.

Siegen: Angeklagter eckte mit seiner Art auf der Arbeit an

Der Angeklagte berichtet von drei Kassen, die in der Behörde existiert hätten. Die normale Kasse sei am Tag von sehr vielen Mitarbeitern bedient worden, weil es immer zu wenig Personal und die ständige Notwendigkeit gegeben hätte, für einen anderen Kollegen einzuspringen, der gerade anderweitig beschäftigt war. Offiziell sei er fast nur mit Abmeldungen und Kurzzulassungen betraut gewesen. Nur richtige Zulassungen seien ihm verwehrt gewesen, mangels der nötigen Verwaltungsausbildung.

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Eine von ihm erwogene Fortbildung sei nicht zustanden gekommen. Ein früherer Kollege bestätigt die Eindrucke des Angeklagten und ist gleichzeitig überzeugt, dass niemand vorgehabt hätte, diesem die Weiterbildung zu ermöglichen. Das wird von der Leiterin der Zulassungsstelle bestätigt, die den Mann als einen Menschen beschreibt, „der gern aneckte“, der es anderen nicht leicht gemacht habe. „Er hat nicht nur Fehler gemacht“, bestätigt sie, fand ihn aber zu redselig im Kontakt mit Kunden, „ständig ging sein Telefon“. Immer wieder habe er sich auch bei Publikumsverkehr den Rücken an einem Pfeiler gekratzt. „Wir sind doch nicht im Kuhstall“, empört sie sich. So etwas gehöre sich nicht.

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Der Amtsleiter ist noch deutlicher. Er habe niemals vorgehabt, den Angeklagten an einen Zulassungsschalter zu lassen. Der habe eine Einweisung bekommen und an einer Stelle gearbeitet, „die ein halbwegs intelligenter Mensch nach einer Woche beherrschen sollte“. Was die Veruntreuungen angeht, kommt aus seiner Sicht allein der Angeklagte in Betracht. Alle problematischen Belege seien mit einem Bezahlstempel versehen, der ansonsten nie zum Einsatz gekommen sei. Ob er das ausschließen könne, will Amtsrichterin Antonia Kuhli wissen, weil andere Zeugen das Gegenteil behauptet haben. „Ja“, antwortet der Beamte entschieden, Und ist sichtlich überrascht, von der Vorsitzenden Gegenwind zu spüren. Der Bezahlstempel sei immer wieder zum Einsatz gekommen, bei Massenzulassungen durch Autohäuser, um zu vermeiden, jeden einzelnen Beleg zeitaufwendig durch die 30 Jahre alte Registrierkasse ziehen zu müssen. Aber auch, wenn der dort angeschlossene Drucker ausgefallen sei.

Gerichtsverhandlung in Siegen: Amtsrichterin verdreht die Augen

Der als Zeuge gehörte Kollege beschreibt die Organisation der Stelle damals als völlig chaotisch und ungeordnet. Gegen ihn wurde kurzzeitig ebenfalls ermittelt. Inzwischen arbeite er nicht mehr dort: „Mir wurde vom Kreis die Pistole auf die Brust gesetzt!“ Er habe immer wieder versucht, die Missstände deutlich zu machen, auch bei den Vorgesetzten. „Mir wurde gesagt, ich müsse Amtsleiter werden, um etwas ändern zu können“, so der Zeuge. „Wahrscheinlich vom Amtsleiter“, verdreht die Amtsrichterin die Augen. Zu diesem Zeitpunkt ist deutlich, dass es ohne weitere Zeugen nicht geht, um mehr über die angeblichen Fehlbeträge herauszubekommen. Es habe immer wieder solche gegeben, zu viel oder zu wenig. Löcher seien dann aber aus der „Fehlbetragskasse“ gestopft worden, die unter der eigentlichen Kasse im Schrank in einem Umschlag oder einer Schublade gesteckt habe, darüber differieren die Aussagen vom Zeugen und vom Angeklagten. Da seien unter anderem Trinkgelder gesammelt und zum Teil später auch in die erwähnte „Kaffeekasse“ übertragen worden.

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Der Amtsleiter, der im Zeugenstand nichts davon wissen will, habe selbst angeordnet, kleinere Beträge daraus aufzufüllen. „Er hat immer gesagt, wir sollten uns Mühe geben, seine Kasse stimme“, erinnert sich der frühere Kollege des Angeklagten. „Selbst Pralinen von Lindt wurden zurückgegeben“, versichert der Amtsleiter. Da sei er „sehr sensibel“. Die zu diesem Zeitpunkt bereits angeschlagene Fassade des Mannes bekommt allerdings durch den nächsten Zeugen weitere Flecken. Der ist es, der dem Angeklagten „50 Euro für die Kaffeekasse“ avisiert hat, wenn er ihm sein Kurzkennzeichen siegelt. Der Angeklagte habe kein Geld verlangt, „aber es gibt in allen Behörden gewisse Leute“. Er als ehemalige Autoverkäufer wisse eben, mit welcher Empathie er solche Dinge angehen müsse.

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Nach fünfeinhalb Stunden wird das Verfahren eingestellt. „Sie konnten sich jetzt alle ein Bild der Beteiligten machen“, hat Verteidiger Jörn Menzel zu bedenken gegeben. Die gefundene Lösung werde dem Kreis sicher nicht gefallen, stellt Anklagevertreter Markus Bender fest. Sie werde sich aber sicher auch nicht negativ auf das noch ausstehende Disziplinarverfahren gegen den Angeklagten auswirken. Auch da müsse schließlich die Unschuldsvermutung gelten.

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