Siegen. Der Angeklagte vor Gericht in Siegen ist fest entschlossen, sein Leben zu ändern. Er verzichtet für die Familie lieber auf Drogengeld und Luxus.

Der nächste Verhandlungstag ist erst im Februar. Bis dahin wollen sich die Beteiligten im Siegener „Encrochat“-Verfahren einiges an Gedanken machen, über eine weitere Konkretisierung der Vorwürfe, über die Herkunft des Geldes, das bei der Verhaftung des Angeklagten im Sommer 2021 aus dessen Fenster flog. Vor allem soll dann auch plädiert werden. Am Dienstag hat im Gericht in Siegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. Thomas Schlömer im Mittelpunkt gestanden.

Siegen: Gutachten vor Gericht – Angeklagter „offen und zugewandt“

Der Schmallenberger Psychiater hat den 28-jährigen Angeklagten im November und Dezember des Vorjahres untersucht, beschreibt ihn als „offen und zugewandt“, als Menschen mit langer Drogengeschichte, der aber eine andere Zukunft anstrebe. Nachdem er praktisch die Hälfte seines Lebens im Schatten von Alkohol und Drogen gelebt habe, sehe sich der junge Mann in zehn Jahren in einem normalen Dasein, mit legaler Beschäftigung und im Kreise seiner Familie. Bislang sei keine Therapie gemacht worden. Der Proband sei aber bereit und motiviert.

+++ Lesen Sie auch: Siegen: Kiloweise Marihuana aus Holland von „Jolly Joker“ +++

Zu den angeklagten Tatzeiten 2020 will der Angeklagte durchgehend Amphetamine, Kokain und Cannabis genommen und dazu Alkohol getrunken haben. Dr. Schlömer sieht kaum überraschend eine Polytoxikomanie, also den deutlichen Hang, Drogen aller Art zu sich nehmen zu müssen. Die Straftaten seien davon beeinflusst gewesen, hätten nicht zuletzt den Zweck gehabt, die eigene Sucht zu finanzieren. Dennoch sieht der Gutachter den Siegener als uneingeschränkt schuldfähig, was an dessen Fähigkeit abzulesen sei, über Jahre einen funktionierenden Drogenhandel zu organisieren. Psychische Erkrankungen oder Störungen jeglicher Art sind nicht nachweisbar gewesen.

+++ Lesen Sie auch: Siegen: Marihuana-Duft bei Polizeikontrolle im teuren Audi +++

Schlömer hat einen Menschen vorgefunden, der kaum aggressiv ist und sich selbst als sozial einstuft. Weitere Straftaten seien also nicht im Gewaltbereich zu befürchten, ohne Therapie aber sehr wohl weiterhin der Kontakt mit der Drogenszene. Der Angeklagte sei für eine Therapie in einer geschlossenen Einrichtung bereit, die nach Einschätzung des Mediziners zwei Jahre dauern sollte. Das Gutachten ist kompakt und eingängig, weder Gericht noch Anwälte haben danach Fragen.

Siegen: Angeklagter beteuert, Drogen „nie selbst etwas im Wagen“ gehabt zu haben

Allerdings sind beim Gericht noch einige bezüglich der Chatprotokolle aufgetaucht. Weil sich einige Formulierungen so anhören, als sei der Angeklagte doch auch selbst in die Niederlande gefahren, um Drogen zu transportieren. „Ich hatte nie selbst etwas im Wagen“, verneint er allerdings wie schon an den vorherigen Tagen vehement. Dann ist da noch die Geldtüte. 60.000 Euro seien aus den angeklagten Geschäften gewesen, hätten teils dem Händler noch gezahlt werden müssen. 168.000 Euro dagegen sind bislang nicht zugeordnet. Da geht es um Einziehung und die mögliche Verrechtung bei Taten, die noch gar nicht angeklagt sind. Es gibt Bereitschaft zum Dialog, aber noch keine Entscheidung.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Wichtiger ist für die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach ohnehin eine andere Frage. Auch wenn der Angeklagte nach Ansicht des Gutachters einen unauffälligen Charakter habe, sein Leben sei doch alles andere als das eines typischen Bürgers gewesen. „Viel Geld, tolle Kleidung, viele Reisen. Das hat doch eine Sogwirkung“, stellt sie fest und überlegt, ob er wohl so einfach darauf verzichten könne in Zukunft. „Für mich ist das tolle Leben mit meiner Frau und meinem Sohn“, entgegnet der 28-Jährige ohne zu zögern. Wer Kinder habe, müsse das verstehen können. Das Schlimmste in den vergangenen Monaten sei für ihn gewesen, Frau und Kind allein zu lassen und den Sohn nicht aufwachsen sehen zu können. Jetzt wird erst am 1. Februar fortgesetzt.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++

+++Täglich wissen, was in Siegen und dem Siegerland passiert: Hier kostenlos für den Newsletter anmelden!+++