Netphen. Der Gemeindeprüfungsanstalt sind die Vielfalt und die Organisation der Grundschulbetreuung ein Dorn im Auge. Für Eltern könnte das teurer werden.

Dass Kinder an der Grundschule vormittags immer betreut und nicht, je nach Stundenplan, mal früh und mal spät anfangen und aufhören, war vor 1990 keine Selbstverständlichkeit. An der Grundschule Niedernetphen erfand der damalige Rektor Karl-Wilhelm Nowak die „Schule von 8 bis 1“. Er machte daraus im Jahr 2000 eine Ganztagsbetreuung – lange bevor die Offene Ganztagsgrundschule (OGS) 2003 offiziell eingeführt wurde. Die gesamte Organisation des Betriebs – inzwischen aller OGSen im Stadtgebiet – liegt in den Händen des Vereins „Betreuung an Netphener Schulen (BANS)“ – auch das ist eine Nowak-Erfindung.

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An alldem nimmt die Gemeindeprüfungsanstalt (GPA) NRW Anstoß. Sie sieht Verstöße gegen die Gemeindeordnung, verlangt eine neue Struktur. Die Folgen: mehr Verwaltungskosten, weniger Budget und Begrenzung des Raumangebots für die OGS, weniger Vielfalt im Betreuungsangebot und im Einzelfall auch höhere Elternbeiträge. In öffentlichen Sitzungen der Netphener Gremien wurde über den 2020 erstellten Prüfbericht bisher nicht gesprochen.

In der Sitzung des Hauptausschusses am Dienstag, 18. Januar, taucht das Thema erstmals am Rande auf: Mit der Vorlage des Stellenplans der Verwaltung werden insgesamt sieben neue Stellen empfohlen, darunter im Fachbereich Schulen und Soziales eine für „Schulträgeraufgaben“: „Nicht zuletzt aufgrund des Prüfungsberichtes der Gemeindeprüfungsanstalt NRW sowie der dringenden Empfehlung der Bezirksregierung Arnsberg, die Betreuungsstruktur an den Grundschulen in der Stadt Netphen neu auszurichten, kommt es zu einem weiteren Aufgabenzuwachs, dem nur mit der Schaffung einer entsprechenden Stelle Rechnung getragen werden kann.“

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Das kritisiert die GPA: Stadt Netphen untergräbt ihre eigene OGS

Der offene Ganztag wird zu wenig genutzt. Nur 29,8 Prozent der Kinder seien 2018 angemeldet gewesen, damit gehöre Netphen zu den 25 Prozent der Vergleichskommunen mit der niedrigsten Teilnahmequote. Am höchsten ist die Quote mit 30,64 Prozent in Dreis-Tiefenbach, am niedrigsten mit 18,55 Prozent in Deuz. Allerdings seien 27,34 Prozent der Kinder zur verlässlichen Halbtagsbetreuung oder zum flexiblen Ganztag angemeldet, die an den vier OGS-Standorten Dreis-Tiefenbach, Deuz, Nieder- und Obernetphen ebenfalls angeboten, allerdings vom Land geringer bezuschusst werden. „Durch die zusätzlichen Betreuungsangebote untergräbt die Stadt Netphen ihre OGS.“

Der Fehlbetrag je OGS-Kind sei zwar der zweitniedrigste im Vergleich mit 25 anderen Städten gleicher Größe. Das liege aber an den hohen Erträgen aus Landeszuweisungen. Für 29,1 Prozent der angemeldeten Kinder nehme die Stadt erhöhte Förderbeträge für sonderpädagogische Unterstützung in Anspruch. „Keine der Vergleichskommunen erhält höhere Landeszuweisungen.“ Die OGS-Kosten wurden zuletzt (2018) zu 25,53 Prozent durch Elternbeiträge bestritten. Die Stadt Netphen gehöre zu den 25 Prozent der Vergleichskommunen mit der höchsten Elternbeitragsquote. Die Aufwendungen je OGS-Schüler bewegen sich in Netphen dagegen auf vergleichsweise niedrigem Niveau. In 75 Prozent der Vergleichskommunen sind sie höher.

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Gut verdienende Eltern sollen mehr bezahlen

Der einheitliche Elternbeitrag „belastet insbesondere die niedrigeren Einkommensklassen“, stellt die GPA fest. „Die Elternbeiträge je OGS-Teilnehmer sind in Netphen im interkommunalen Vergleich überdurchschnittlich hoch.“ Der interkommunale Vergleich zeige, dass die Stadt Netphen durch den einheitlichen Elternbeitrag in erster Linie einkommensstarke Familien entlaste. Die Teilnahmequoten an der flexiblen Ganztagsbetreuung („VHS Plus“) mit ihrem höheren Teilnahmebeitrag deute auch darauf hin, „dass Eltern durchaus bereit sind, einen höheren Elternbeitrag zu zahlen.“ In anderen Städten wird der Beitrag gestaffelt: Das Spektrum reicht von Beitragsfreiheit bei Jahreseinkommen unter 20.000 Euro bis 185 Euro bei Einkommen über 100.000 Euro. Der Stadt Netphen empfiehlt die GPA, „den rechtlichen Höchstbetrag (von 205 Euro, d.Red.) auszuschöpfen“ und auch künftig keine Beitragsfreiheit für niedrige Einkommen einzuräumen.

Bisher nicht öffentlich

Die Gemeindeprüfungsanstalt überprüft die Städte und Gemeinden alle fünf Jahre. Im August 2021 wurde der Stadt der 2020 erstellte Bericht zugeleitet, zu dem die Stadt innerhalb von sechs Monaten Stellung nehmen muss.

Die - kostenpflichtige – öffentliche Vorstellung des Berichts, wie sie in anderen Kommunen üblich ist, erfolgt in Netphen nicht mehr. Die Ratsfraktionen haben darauf verzichtet, nachdem schon der letzte Bericht zu einer heftigen Kritik an der GPA geführt hatte; SPD-Fraktionschef Manfred Heinz hatte von einer „Beleidigung für Kommunalpolitiker“ gesprochen.

Der aktuelle Bericht wurde bisher lediglich nicht öffentlich im Rechnungsprüfungsausschuss beraten.

Im städtischen Haushalt taucht der offene Ganztag nicht auf. Die Landeszuwendungen werden direkt an BANS überwiesen; der Verein zieht auch den Elternbeitrag selbst ein. Das sei ein Verstoß gegen die Gemeindeordnung.

Die Erhebung der Elternbeiträge – pauschal 60 Euro je erstes Kind und Monat, 30 Euro für das zweite Kind und Beitragsfreiheit für alle weiteren Kinder – sei „rechtswidrig“. Die Stadt müsse eine Beitragssatzung erlassen und am besten die Beiträge selbst einziehen.

Stadt soll Erweiterungsbauten vermeiden

Die Elternbeiträge werden bisher voll dem BANS zur Verfügung gestellt. Nach Auffassung der GPA sollte ein etwaiger Überschuss aber im städtischen Haushalt bleiben. Die Stadt leiste fast 36.000 Euro mehr als den „pflichtigen Eigenanteil“ von knapp 78.000 Euro, je OGS-Schüler 217 Euro pro Jahr mehr als zwingend erforderlich. Andererseits gibt es auch nur noch zwei Vergleichskommunen, die noch weniger Geld freiwillig dazulegen. Die GPA ist gegen die freiwillige Mehrausgabe: „Zusätzliche Elternbeiträge sollten (…) zur Verringerung des Fehlbetrages eingesetzt werden.“

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Die Kosten für die Räume der OGS liegen unter dem Durchschnitt, weil oft auch Unterrichtsräume mitgenutzt werden müssen. Ebenfalls unter dem Durchschnitt ist die Fläche, die je OGS-Schüler zur Verfügung steht. Aktuell gibt es in Netphen und Dreis-Tiefenbach Forderungen, mehr Platz für den offenen Ganztag zu schaffen. Die GPA: „Eine Kommune sollte Erweiterungsbauten für OGS-Räume vermeiden und die Flächen im vorhandenen Gebäudebestand bereitstellen.“

Im Vorstand des Vereins BANS sind auch die Schulleitungen als Beisitzer vertreten. Das soll wegen „Interessenkollisionen“ nicht mehr sein. Vorsitzender von BANS ist immer der Fachbereichsleiter Schulen und Soziales der Netphener Stadtverwaltung.

Das sagt die Stadt

Dem Rat will die Verwaltung im Februar den Entwurf einer Stellungnahme vorlegen. „Ich bin damit nicht glücklich“, kommentiert Kämmerer Hans-Georg Rosemann die Intervention der GPA. Mit der Übertragung der OGS an BANS habe die Stadt „eigentlich den optimalen Weg“ gewählt, „günstiger kann man das nicht machen“. Den Vorwurf unsozial gestalteter Elternbeiträge erwidert der Kämmerer mit dem Hinweis auf den Netphener Familienfonds: Von dort gibt es bei Bedarf für finanziell schwach gestellte Familien Zuschüsse.

Kommentar:Netphens OGS-Zukunft: Mit Bürokratie lähmen

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