Siegen-Wittgenstein/Olpe. Die wirtschaftliche Lage in Siegen-Wittgenstein und Olpe ist eigentlich recht solide. Die Stimmung mit Blick in die Zukunft: Geht so...

Die Lage ist gut, aber die Stimmung eher schlecht. „Von einer stetigen Entwicklung sind wir Lichtjahre entfernt“, sagt Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen mit Blick auf die Wirtschaft im Kammerbezirk: Bei durchaus passabler ökonomischer Lage schauen die meisten Unternehmen mit einer gewissen Unsicherheit in die Zukunft. Das variiert von Branche zu Branche; enorme Probleme verursachen aktuell aber die weiter steigenden Energiepreise und zunehmende Rohstoffknappheit.

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„Wir treten auf hohem Niveau auf der Stelle“, sagt IHK-Präsident Felix G. Hensel. Der Konjunkturklimaindex stieg seit Mai 2020 (Tiefststand von 65 Punkten) auf nun 120 und liegt damit deutlich über dem Mittelwert (105) der vergangenen Jahre. Noch nicht die Spitzenwerte der Vor-Corona-Zeit, aber so auch nicht erwartbar. Die Stimmungs-Kurven, die im Jahresverlauf noch recht stabil nach oben zeigten, bekommen nun Knicke. Oder fallen ab. Gleichwohl ist die Bereitschaft zu Investitionen und Personalaufstockung hoch.

IHK Siegen kritisiert: Stromkapazitäten „dramatisch verknappt“

Strom-, Gas- und Rohstoffpreise gehen „durch die Decke“, sagt Hauptgeschäftsführer Gräbener – 72 Prozent der Unternehmen nennen sie als Risikofaktor. Vor einem Jahr waren es noch 20 Prozent. „Das ist keine Kleinigkeit mehr.“ In Asien zog die Konjunktur schneller an, der Bedarf etwa an Holz in den USA ist, auch bedingt durch die riesigen Waldbrände, enorm – die Preise klettern und werden dort auch bezahlt. Ein Unding aus Sicht der Wirtschaft: In Deutschland setze man auf die Verstromung industrieller Prozesse -- was enorme Kapazitäten braucht. Gleichzeitig würden Kapazitäten „dramatisch verknappt“, weil Kohle- und Atomstrom nicht mehr in ausreichendem Maße im Land produziert werde, sagt Gräbener: „Die politische Logik dahinter erschließt sich uns auch bei längerem Nachdenken nicht.“ Gerade Energiepreise seien dabei bei Weitem kein Problem nur der Schwerindustrie; „das geht querbeet“.

Geradezu sozialistische Marktverhältnisse erlebe man aufgrund der Warenknappheit, „viele würden gerne produzieren, können aber nicht. In der Breite haben wir das noch nie gehabt“, sagt Klaus Gräbener. Felix G. Hensel pflichtet bei: „Zuständ wie nach der Wiedervereinigung.“ Man hoffe sehr, dass sich die Lage entspannt, bevor Lieferketten reißen

Immer mehr Wirtschaftsbranchen in Siegen-Wittgenstein mit Personalsorgen

Fachkräftemangel wird immer drängender: Mit gut 178.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat der Kammerbezirk fast einen Höchststand erreicht (2005: 143.000). Mit Arbeitslosenquoten von weniger als 4 Prozent herrscht bereichsweise de facto Vollbeschäftigung, zumindest in Olpe und Wittgenstein. Die Corona-Krise habe kaum Beschäftigung gekostet. Gerade das Gastgewerbe: „Irrsinnige Schwierigkeiten“, sagt Gräbener (wir berichteten). Der demografische Wandel schlage schneller und härter zu, als vor einiger Zeit noch prognostiziert.

Die Industrie steht inzwischen fast besser da als vor Corona. Obwohl die Unsicherheit recht groß ist, werde investiert – am Standort, eine Zunahme von 60 Prozent seit Mai 2020, dem coronabedingten ökonomischen Negativ-Rekord. Die Aufträge sind auf hohem Niveau rückläufig, mehr als die Hälfte der Firmen zu über 85 Prozent ausgelastet. Die Umsätze liegen mit 9,9 Milliarden Euro fast auf Vor-Corona-Niveau, im Kreis Olpe eine Steigerung von 24 Prozent. Dass gleichzeitig Unternehmen auch zu weniger als 50 Prozent ausgelastet sind: Symptom der Rohstoffknappheit. Gerade die in Olpe starken Automobil-Zulieferer-Industrie hängt an aktuell brüchigen Lieferketten, fehlendem Vormaterial – Stichwort „Chipkrise“, Halbleitermangel – und zunehmendem Fachkräftemangel.

Das Baugewerbe in Siegen-Wittgenstein boomt nach wie vor – trotz Materialmangel

Wobei die Stimmung der Wirtschaft in Siegen-Wittgenstein, weniger nah am Auto, sich weiter aufhellt. Dennoch sind alle gleichermaßen betroffen von fehlendem Holz, Schrauben, Steckverbindungen, Dämmstoffen – „was auch immer“, sagt Felix G. Hensel. Teils werde von heute auf morgen der Hahn zugedreht. Sein Unternehmen etwa benötige aktuell Schaltgeräte, um Anlagen ausstatten zu können – die Aufträge müssten liegenbleiben. Immerhin wisse man, dass man bald auch noch zu tun habe, wenn das Material endlich eintrifft.

Das Baugewerbe boomt nach wie vor, trotz Materialmangels und teurer Baumaterialien: Neun von zehn Betrieben melden einen Auslastungsgrad von mehr als 85 Prozent.

Der Handel in Siegen-Wittgenstein und Olpe fürchtet erneuten Lockdown

Im Handel kursiert die Angst, dass ein erneuter Lockdown das Weihnachtsgeschäft erneut verhageln könnte. Das Wegfallen von Beschränkungen könne zu einer nachhaltigen Konsumsteigerung führen, so die Einschätzung von IHK-Konjunkturexperte Stephan Häger. Denn gleichzeitig ist die Online-Konkurrenz nicht verschwunden, im Gegenteil, vor allem der Modebereich klage über Zurückhaltung beim Konsum. „Wenn der gesellschaftliche Trend zum Onlinehandel neigt, darf man sich über eine Verödung der Innenstädte nicht beklagen“, findet Klaus Gräbener: Die Menschen wollten Wohlfühleffekte in den Zentren, ließen sich beraten und kauften dann bei nahezu vollständiger Markttransparenz online – „das macht dem Handel gewaltig zu schaffen“. Wobei gefährdete Lieferketten und Nähe zur Industrie gerade im Großhandel das nach Branchen gespaltene Bild zusätzlich trüben. Insgesamt aber bewertet ein Drittel der Händlerschaft die Lage als gut, nur 6 Prozent als schlecht.

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Im Dienstleistungssektor ist laut IHK-Umfrage die Lage stabil, der Optimismus zurückgekehrt.

Gleiches gilt für das Gastgewerbe – das aber spürbar unter Personalmangel ächzt. Im Frühjahr meldeten noch fast 90 Prozent eine schlechte wirtschaftliche Situation, aktuell sind es 20 Prozent. „Vielen Betrieben fehlt es an Personal, so dass sie ihre Angebote oder Öffnungszeiten reduzieren müssen“, beobachtet Stephan Häger.