Kreuztal. Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten auf dem Podium im Kreuztaler Johannesheim: Austausch mit Prognosen und ein paar Spitzen.
Das Spannendste kommt zum Schluss. Was sie denn glauben, wer Deutschland demnächst regiert, möchte Matthias Vitt von den Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten wissen.
Guido Müller (FDP) glaubt Jamaika, also CDU, FDP und Grüne, und Armin Laschet wird Bundeskanzler: „Ich gehe fest davon aus.“
Benedikt Büdenbender, der den noch im Bundestag arbeitenden Volkmar Klein (CDU) vertritt, sieht Laschet ebenfalls als Bundeskanzler. Und in der Regierung die CDU „am liebsten allein“, allenfalls noch mit der FDP.
Luiza Licina-Bode (SPD) setzt auf Olaf Scholz, den Kanzlerkandidaten ihrer Partei, und eine „rote Regierung“, auf jeden Fall ohne die CDU: „Schwarz möchte ich nicht mehr, da haben wir unser Gesicht verloren.“
„Am liebsten hätte ich eine grüne Kanzlerin“, formuliert Laura Kraft (Grüne) ihr Votum für Annalena Baerbock und bleibt ansonsten offen – bis auf die Distanzierung von CDU und SPD: In insgesamt 16 Jahren großer Koalition sei „nicht viel passiert“.
Ekkard Büdenbender (Linke) formuliert negativ: „Laschet wird es nicht, und die CDU wird nicht mehr in der Regierung dabei sein.“
Henning Zoz (AfD) hat die Frage beantwortet, lange bevor sie gestellt wurde: „Wenn Sie mich wählen, dann bin ich in vier Jahren Bundeskanzler, und dann räume ich dieses Land auf“, sagt der AfD-Mann.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
Die Diskussion
Der Kreuztaler Kolpingsfamilie ist es gelungen, im Johannesheim eine der wenigen Podiumsveranstaltungen mit Bundestagskandidaten und -kandidatinnen auf die Beine zu stellen. Caritas-Vorstand Matthias Vitt moderiert die Runde über Wirtschaft, Soziales und Klima, die selbst dann gefasst bleibt, wenn mal ein paar verbale Pfeile geworfen werden – man kennt sich und ist relativ großflächig per Du.
+++ Lesen Sie auch: So viele wie nie: Elf aus Siegen wollen in den Bundestag +++
„Mit welchem Geld?“, fragt Guido Müller, als Laura Kraft mehr sozialen Wohnungsbau fordert – „mit Ihrem“, antwortet an ihrer Stelle Henning Zoz. Der wiederum zieht den Ärger der Grünen auf sich („Das ist schon ein Hammer“), als er seinen Verdruss über studentische Mieter äußert: „Mir gehören ein paar Wohnungen in Siegen, und ich habe null Interesse, die zu vermieten.“ Dass Guido Müller dem AfD-Mann beispringt („Herr Zoz darf seine Wohnungen leer stehen lassen"), ist zumindest aus Zoz’ Sicht nachvollziehbar: „Ich habe ja auch mal für die FDP kandidiert.“ Für sein Bekenntnis, Kernkraft aus Deutschland sei ihm lieber als Kernkraft aus Tschechien, bekommt Müller dann auch noch Beifall von Zoz. Als Müller sich kritisch über die SPD-Mitbewerberin in einem Nachbarwahlkreis äußert, die Windräder auf Waldbrachen setze wolle, handelt er sich einen Rüffel von Luiza Licina-Bode ein: „Das macht man nicht“, die Kollegin sei schließlich nicht anwesend.
Die Köpfe
Der Linke: Ekkard Büdenbender (51), „katholisch getauft, evangelisch erzogen“, nimmt Bezug auf den Ort der Veranstaltung, erweist sich mit dem Zitat aus einem Gleichnis als bibelfest. Durch Anwerbung Fachkräfte aus dem Ausland zu holen, statt sie selbst auszubilden, sei „ein völlig falscher Weg“. Da habe das Land schon 2015 versagt, als Zuwanderer vom Ausbildungsmarkt ferngehalten worden seien. „Wir haben für viele frustrierte Leute auf der Straße gesorgt-.“
Die Grüne: Laura Kraft (30), Wahl-Siegenerin seit zehn Jahren, hat eine schnelle Karriere in ihrer Partei hingelegt: Landrätin ist sie voriges Jahr zwar nicht geworden, aber Kreistagsmitglied. Mit ihrem Platz 23 auf der NRW-Liste der Grünen hat sie realistische Chancen auf ein Bundestagsmandat. Ihr Nein zur Route 57 ist in dieser Runde ein Alleinstellungsmerkmal: Die Straße sei nicht finanzierbar, nicht erforderlich und von den Menschen nicht gewünscht. „Vielleicht muss man so ein Projekt irgendwann auch einmal aufgeben.“
Die Sozialdemokratin: Luiza Licina-Bode (48) war selbst überrascht, als sie von ihrer Partei für die Kandidatur nominiert wurde. Sie wolle „Anwältin der Region in Berlin“ werden, sagt die Juristin – eigentlich ist sie schon da: als Personalrätin im Innenministerium. Als einzige hat sie ein Tablet auf dem Tisch vor sich stehen – die anderen haben Zettel. Oder gar nichts. Die Kandidatin macht Tempo: „Alles ist viel zu starr, dauert viel zu lange.“ Die Regierung, erwidert sie auf einen Einwand, werde von der CDU geführt. „Wir sind nur der Koalitionspartner.“ Das Publikum lernt sie als „absoluten Fan von Photovoltaik“ kennen. Und als Skeptikerin der E-Mobilität. Auch Verbrennungsmotoren könnten klimaneutral fahren. „Muss ich mir dafür meine eigene Wirtschaft kaputt machen?“
Der Christdemokrat: Volkmar Klein (61) wird von Benedikt Büdenbender, seinem persönlichen Referenten und Stellvertreter im CDU- Kreisvorstand vertreten. Klein habe als Abgeordneter seit 2009 „viel für Siegen-Wittgenstein erreicht“. Die Verwirklichung der Route 57 sei „eines der wichtigsten Ziele“ des Abgeordneten. Die Umsetzung des Baus sei aber Landessache.
+++ Lesen Sie auch: Burbach: Volkmar Klein (CDU) setzt auf drei Schwerpunkte +++
Der Liberale: Guido Müller (48) bekennt sich als „Zählkandidat“: Der Vorsitzende der FDP-Kreistagsfraktion hat keine Chance auf das Direktmandat, das in Siegen-Wittgenstein klassisch an CDU oder SPD fällt, und über die Liste ist er auch nicht abgesichert. Auch er steuert zum Ort des Geschehens bei: Seine Frau sei katholische Religionslehrerin, und mit der ersten Erwähnung seiner Vorfahren 1520 in Wittgenstein dürfte er wohl der am längsten in der Region Verwurzelte sein. Ansonsten, so Freizeitkabarettist aka „Fliege“, „werde ich versuchen, mich heute seriös zu verhalten.“ Und kritisiert: Die Region werde in Berlin nicht gehört.
+++ Lesen Sie auch: Siegen-Wittgenstein: FDP wechselt Bundestagskandidaten aus +++
Der AfD-Mann: Unternehmer Henning Zoz (57) stellt sich als neues Mitglied im Bund katholischer Unternehmer vor. Er werde seine Abgeordnetendiäten an Familien spenden, kündigt er an. An diesem Abend erfährt das Publikum viel über ihn selbst („Ich wollte nie politisch werden“) und wenig über die Partei, die ihm den Listenplatz zur Bundestagswahl verweigert. Ja, sagt er, er besitze selbst sieben Photovoltaikfelder. „Um zu zeigen, wie verrückt das ist.“ Die Energiewende, so sein Fazit, sei „die gigantischste Umverteilung von unten nach oben, die dieses Land je erlebt hat“.
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++
Nachtrag: Ekkard Büdenbender (Linke) erklärt zu diesem Bericht: „Mir ist es aber sehr wichtig, klarzustellen, dass ich mich ebenfalls deutlich gegen die Route 57 ausgesprochen habe. Ich habe sogar auf das Argument, die Route 57 würde benötigt, um die Lebensqualität in der Region zu erhöhen, erwidert, dass eine Erhöhung der Lebensqualität anders besser erreicht werden könne. Ich habe angeregt, die enormen Summen, die das Bauprojekt, sowie deren anschließende Instandhaltungskosten verschlingen würde, lieber in Schulen, Kitas, Schwimmbäder, Kultur und lokale Infrastruktur in Wittgenstein zu investieren. Mit einer solchen Aufwertung würde die Lebensqualität wesentlich sinnvoller erhöht. Ich und die Partei Die Linke lehnen die Route 57 seit Jahren entschieden ab.“