Siegen-Wittgenstein. Kreisumlage soll steigen, obwohl 2020 und 2021 fast 27 Millionen Euro mehr als geplant eingenommen wurden. Kreuztal denkt über Klage nach.

Die Konferenz der Bürgermeisterin und der Bürgermeister hatten mit der Post gerechnet: Um diese Zeit übermittelt der Kreis Siegen-Wittgenstein in jedem Jahr seine „Eckpunkte“ für den Etat des Folgejahres. Diesmal allerdings gesellte sich zur üblichen Verärgerung der Schock: Die Forderungen aus dem Kreishaus würden Städte wie Siegen und Netphen direkt in den Nothaushalt treiben.

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Die Zahlen

Rund 25 Millionen Euro mehr als 2021 wird der Kreis im nächsten Jahr ausgeben. Davon will er sich 15 Millionen über die Kreisumlage holen und 9,3 Millionen Euro aus der Ausgleichsrücklage bestreiten. Der Hebesatz für die Kreisumlage, der erst im Frühjahr von 36,3 auf 34,6 Prozent gesenkt wurde, soll auf 36 Prozent angehoben werden. Weiter steigen soll darüber hinaus die Jugendamtsumlage: Der Hebesatz soll von 24,16 auf 24,94 Prozent erhöht werden, um rund vier Millionen Euro mehr einzunehmen.

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Begründet wird der Finanzbedarf mit der erwarteten Erhöhung der Landschaftsumlage. Mehrausgaben der Sozialhilfe, unter anderem bei der Pflege, außerdem für die weitere Subventionierung des öffentlichen Nahverkehrs: Um einen Höchsttarif für die Fahrgäste zu ermöglichen, werden zwei Millionen Euro gebraucht, um das Finanzierungsloch der Verkehrsunternehmen zu füllen. Außerdem will der Kreis sieben Millionen Euro weniger als 2021 für Corona-Belastungen „isolieren“, 2022 nur noch eine Million Euro. Diese Betrag würde sonst erst nach 2025 abgerechnet. Die Personalkosten der Kreisverwaltung steigen um etwa eine halbe Million Euro, unter anderem für neun zusätzliche Planstellen.

8,6 Millionen Euro Überschuss weist der Jahresabschluss des Kreises für das Jahr 2020 aus – gegenüber dem ursprünglich kalkulierten Defizit ist das eine Verbesserung um 21,6 Millionen Euro. Auch für 2021 ist eine Verbesserung absehbar. In der Jahresmitte wurde ein Defizit von 3,55 Millionen Euro prognostiziert. Träte dies ein, wäre das eine Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Haushalt um 5,3 Millionen Euro. Entsprechend füllt sich die Ausgleichsrücklage, die zumindest in der Planung schon einmal fast geleert war, mit der der Kreis – über Kredite – Defizite abdecken kann: Ende 2021 auf 30,2 Millionen Euro.

AfD: Stadt Siegen ist selbst schuld

Aus der Politik hat sich zuerst die Siegener AfD-Ratsfraktion gemeldet. „Das Szenario des Nothaushaltes wäre der kommunalpolitische Super-GAU“, erklärt AfD-Fraktionschef Michael M. Schwarzer.

Schwarzer sieht die Verantwortung allerdings nicht beim Kreis, sondern bei der Stadt selbst. „In Wahrheit führt nämlich eine fahrlässige und zum Teil sogar unverantwortliche Ausgabenverschwendung zu dieser katastrophalen Situation. Und da muss sich nicht nur der Bürgermeister, sondern große Teile des Rates an die eigene Nase fassen.“ Konkret nennt Schwarzer eine „Alimentierung von sozialen Hängematten, rein ideologisch motivierten Projekten und überbordenden ‘Klimaausgaben’“.

Die Reaktionen

Vorsitzender der Bürgermeisterkonferenz, die ihre Stellungnahme an den Kreis bis zum 17. September abgeben soll, ist der Kreuztaler Bürgermeister Walter Kiß. Er wirft dem Kreis erneut ein System vor, „sich künstlich arm zu rechnen“, indem er über Bedarf Umlagen von den Kommunen erhebt und damit die eigenen Rücklagen schont. Der Kreis habe „über Jahre systematisch Einnahmen generiert, die er nicht braucht“, stellt Kiß fest. Verletzt werde damit das Gebot der Rücksichtnahme auf die Kommunen. „Irgendwann wird man das mal juristisch überprüfen müssen.“

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Für Kreuztal bedeutet die höhere Kreisumlage eine Mehrbelastung von 1,7 Millionen Euro. Die Stadt Siegen ist mit 7,3 Millionen Euro Mehrausgaben konfrontiert. „Ich bin entsetzt“, sagt Siegens Bürgermeister Steffen Mues. Es sei „ein Ding der Unmöglichkeit, dass der Kreis die Kommunen in diesen schweren Zeiten so stark zur Kasse bittet“. Siegen habe sich „jahrelang auf einem gut kalkulieren und seriösen Zielpfad“ befunden, um den Haushalt – wie gesetzlich vorgeschrieben – 2022 wieder auszugleichen. Der Kreis mache „jetzt mit einem Streich alle unsere Bemühungen zunichte und führt die Stadt Siegen voraussichtlich rücksichtslos in der Nothaushalt“. Mit Steuererhöhungen wolle Siegen die Kreisumlage nicht erwirtschaften. Das, so Mues, wäre „das absolut falsche Signal“.

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Netphen als drittgrößte Stadt des Kreises rechnet mit 1,5 Millionen Euro Mehraufwendungen, wenn der Kreistag im Dezember tatsächlich die vorgeschlagenen Hebesätze beschließt. „Unfassbar“ nennt Kämmerer Hans-Georg Rosemann die Zahlen aus dem Eckpunkte-Papier. Mit den jetzt dargestellten Haushaltsverbesserungen von insgesamt fast 27 Millionen Euro sei belegt, dass der Kreis zu hohe Kreisumlagen eingenommen habe. Um die zu finanzieren, habe die Stadt Netphen die Grundsteuer um 40 und die Gewerbesteuer um 20 Prozentpunkte erhöht. „Das hätte nicht sein müssen, wenn der Kreis eine vernünftige Finanzplanung gemacht hätte.“ Bei der letzten Haushaltsberatung, die wegen Corona erst im April erfolgte, hätten die Kommunen vergeblich um eine Entlastung gebeten, die den 10 Millionen Euro Mehreinnahmen aus Bundesmitteln (für die Kosten der Unterkunft von Sozialgeldempfängern) entsprochen hätte. Eine Chance, den Haushalt 2022 auszugleichen, sieht Rosemann nicht. „Damit wären wir wieder im Nothaushalt.“

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