Grissenbach. Gerhard Stötzel aus Grissenbach war über acht Wahlperioden im Reichstag. In seinem Geburtsort ist er fast vergessen – bis jetzt.
Den Franz-Hitze-Weg gibt es in Netphen bereits, der an den aus Hanemicke bei Olpe stammenden katholischen Priester, Politiker und bedeutenden Sozialethiker erinnert. Einer seiner wichtigsten Weggefährten war Gerhard Stötzel, aus Grissenbach stammender SPD-Reichstagsabgeordneter.
In Grissenbach wird diskutiert
Auch die beiden Dorfvereine DKS Grissenbach und Grissenbach Aktiv befassen sich auf ihren Jahreshauptversammlungen in dieser und in der nächsten Woche mit der Idee eines Gerhard-Stötzel-Platzes. Sie könnten sich um eine Infotafel kümmern, die auf den berühmten Grissenbacher hinweist.
Was íst die Idee?
Die Würdigung des wohl bedeutendsten Grissenbachers wird jetzt Thema im Dorf. Ortsbürgermeisterin Annette Scholl hofft, dass noch im Herbst eine Bürgerversammlung stattfinden kann, auf der auch über eine angemessene Ehrung für Gerhard Stötzel diskutiert werden kann. Dafür bietet sich der bisher namenlose Dorfplatz neben der katholischen St.-Elisabeth-Kapelle an. Er könnte „Gerhard-Stötzel-Platz“ genannt werden.
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Wer war Gerhard Stötzel?
Gerhard Stötzel wurde am 4. Dezember 1835 in Grissenbach geboren wurde und ist am 1. Juni 1905 in Berlin-Charlottenburg an einer Lungenentzündung gestorben. Er war das älteste von fünf Kindern des Grissenbacher Landarbeiters Tillmann Stötzel und seiner Ehefrau Maria Elisabeth, geb. Müller, die am 3. Juli 1835 in Netphen katholisch getraut worden waren. Als gelernter Metalldreher zog er spätestens 1865 nach Essen und arbeitete dort in den Krupp-Werken. Aus seiner Ehe mit Adelheid Schüttelhöfer gingen auch Kinder hervor, um deren Erziehung sich seine ledige Schwester Maria Elisabeth in Essen kümmerte, die ihn auch in den Tagen seiner Krankheit pflegte.
Als Autodidakt nutzte Gerhard Stötzel die Gelegenheit zur Weiterbildung in katholischen Verbänden. Er war Mitglied des Piusvereins und des christlich-sozialen Vereins in Essen sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied im Volksverein für das katholische Deutschland. Schon bald wurde er Redakteur des christlich-sozialen „Rheinisch-Westfälischen Volksfreundes“. 1877 kandidierte er erstmals bei der Wahl zum Reichstag im Wahlkreis Düsseldorf 5 (Essen). Stötzel gewann mit Unterstützung der Sozialdemokraten gegen den Kandidaten des bürgerlichen Flügels der Zentrumspartei die Stichwahl und gehörte seitdem der Fraktion des Zentrums an. Im folgenden Jahr siegte er mit einem Stimmenvorsprung von 600 Stimmen über seinen früheren Arbeitgeber Alfred Krupp.
Die „Nationalen“ stellten 1881 einen neuen prominenten Kandidaten gegen ihn, doch auch Generalfeldmarschall Graf Helmuth von Moltke zog gegen den populären Stötzel bei dieser Wahl und erneut 1884 den Kürzeren. Auch gegen Friedrich Alfred Krupp setzte sich der Mann aus dem Siegerland bei der Wahl 1887 durch, obwohl die Kruppschen Arbeiter gegen ihn beeinflusst worden waren. Stötzel konnte den Wahlkreis mit Ausnahme der Legislaturperiode 1893 - 1898, für die Friedrich Alfred Krupp die meisten Stimmen erhalten hatte, bis zu seinem Tode 1905 in insgesamt acht Wahlperioden halten. Dabei blieb er über Jahrzehnte der einzige Arbeiter in der Reichstagsfraktion des Zentrums.
Wofür stand Gerhard Stötzel?
Während des Kulturkampfs zwischen katholischer Kirche und preußischem Staat musste er sich gegen zahlreiche Vorwürfe juristisch zur Wehr setzen, unter anderem wegen angeblicher Beleidigung des Reichskanzlers Otto von Bismarck. Von 1886 bis zu seinem Tod war Stötzel für den Wahlkreis 3 (Koblenz) auch Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. Als Politiker nahm er sich im Reichstag der drängenden sozialen Fragen der Arbeiterschaft an. So setzte er sich für die Änderung der Gewerbeordnung hinsichtlich des Mindestalters für Kinderarbeit in den Fabriken ein.
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Stötzel war Mitunterzeichner des Gesetzentwurfes über die Sonntagsruhe. Zusammen mit Franz Hitze war er maßgebend an der Bergarbeiter-Schutznovelle beteiligt. Auch für die Einführung der Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung sowie der Witwen- und Waisenversorgung setzte Stötzel sich ein. Wie wichtig ihm die Bedürfnisse der Arbeiter waren, ist aus der Rede ersichtlich, die er am 12. Januar 1900 im Reichstag gehalten hat: „Daß die Wittwen- und Waisenversorgung durchaus eine Nothwendigkeit ist, ich glaube, darüber kann für jeden, der das praktische Leben kennt, gar kein Zweifel sein. Ich stimme vollständig dem Abgeordneten Freiherrn von Stumm bei, für den Arbeiter, der auf dem Krankenlager liegt, der vielleicht den Tod vor Augen sieht, ist der Gedanke gewöhnlich der quälendste: was werden nach deinem Tode deine Frau, was werden deine armen Kinder, wenn sie noch klein sind, anfangen, wenn ihnen der Ernährer genommen ist? Dieser Gedanke ist für den auf dem Krankenbett liegenden Arbeiter viel quälender als die Sorge um seine eigene Person. [ … ] Ferner ist es nicht gleich, ob die Wittwe und ihre Kinder den Unterhalt durch die Armenpflege beziehen oder auf Grund der Wittwen- und Waisenversicherung. Das ist ein ganz gewaltiger Unterschied, ob die Wittwe ein Recht hat, aus einer Kasse, zu der der Mann früher Beiträge leistete, ihren Unterhalt zu fordern, oder ob sie sich an die Kommune wenden muß. Auch nach der sittlichen Seite hin sollte man diesen Vortheil nicht unterschätzen. Das Brod, was vom Tische der Kommunen genossen wird, ist eben kein angenehmes Brod, und ein ordentlicher Arbeiter, der für sich und seine Familie auf andere Weise den Unterhalt beschaffen kann, sucht das zu thun. Noch einmal: möge die Wittwen- und Waisenversorgung für die Arbeiter recht bald ins Leben treten!“
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Zu seiner Beisetzung erschienen am 5. Juni 1905 Abordnungen von knapp hundert Vereinen mit ihren Vereinsfahnen und zahlreiche Vertreter der Stadt Essen sowie der Zentrumsfraktionen des Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses. Seit 1979 ist in Essen-Huttrop eine Straße nach Gerhard Stötzel benannt.
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