Siegen. Mit einer Pistole zwingt ein Mann in Siegen eine Tankstellenmitarbeiterin zur Herausgabe von Geld. Der mutmaßliche Täter steht nun vor Gericht.
Es ist der 17. Juni 2020. Die Mitarbeiterin einer Tankstelle in der Siegener Leimbachstraße ist gedanklich schon im Feierabend, hat den Inhalt der Kasse weitgehend in Geldtaschen gesteckt. Zehn Minuten, bevor sie den Eingang abschließen wird, kommt noch ein Mann, mit Regenponcho und Totenkopfmaske, eilt direkt hinter den Tresen und fordert Geld. Seit Dienstag steht er nun wegen schwerer räuberischer Erpressung vor Gericht.
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Die junge Frau hat Anweisung vom Eigentümer, sich auf keinen Fall in Gefahr zu bringen. Sie hält sich daran, packt 1175 Euro in Scheinen plus etwas Kleingeld in eine Tasche, die ihr vorgehalten wird. In der anderen Hand hat der Täter eine Waffe, von der sie nicht weiß, ob diese scharf ist. „Als er raus war, hab ich den Alarmknopf gedrückt, bestimmt 50 Mal“, berichtet die 31-jährige Zeugin vor dem Landgericht, klingt dabei wieder entspannt. Gut sechs Monate habe sie allerdings Schlafmittel bekommen, hatte Angst und Panikattacken. „Deshalb wollte ich hier auch gar nicht aussagen. Ich habe das alles in eine Schublade gepackt“, sagt sie.
Siegen: Opfer von Tankstellenraub kann ihren Job nicht mehr ausüben
Gerade solche Tatfolgen seien wichtig für die Beurteilung des Verantwortlichen, erklärt Richterin Elfriede Dreisbach und hofft im Anschluss, dass die junge Frau nun endlich ihre Ruhe findet. Ein knappes Jahr zuvor war sie schon einmal an gleicher Stelle Opfer geworden, „damals aber mit einem Kollegen“. Da sei der Täter auch nicht direkt neben ihr gewesen. Sie hatte es nach dem zweiten Überfall noch einmal versucht mit der Rückkehr zur Arbeit, es sei aber nicht mehr gegangen. Sie hat gekündigt. Als die Zeugin den Saal verlässt, folgt ihr ehemaliger Vorgesetzter noch kurz, der erst nach dem Überfall am Tatort war.
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Der Verantwortliche für den Überfall ist 31, in Berlin als Deutsch-Amerikaner geboren und hat die Tat gestanden. Ein Wort für sein Opfer hat er allerdings nicht gefunden. Der Mann ist Polytoxikomane, also jemand, der alle möglichen Suchtmittel konsumiert, deshalb ständig frustriert ist und Geld braucht.
Siegen: Partnerin des Angeklagten erzählt Polizei von Tankstellenraub
Eigentlich habe er eine andere Tankstelle überfallen wollen, näher zur Autobahn, aber sich dann aus Ungeduld für diese entschieden. „Ich konnte von gegenüber sehen, dass dort nichts los war“, nuschelt der nicht immer leicht zu verstehende W., der nicht gewusst haben will, dass die Tankstelle kurz vor der täglichen Schließzeit stand. Obwohl ein „echter“ Kunde zwischenzeitlich vorfuhr und das Geschehen beobachtete, ihm sogar einige Zeit folgte, kann W. entkommen und wird erst am 15. August 2020 inhaftiert.
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Seine Freundin und angeblich jetzige Verlobte hat ihn eher beiläufig verraten. Anlass dafür ist ein Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt. Die Frau beklagt sich über ihren Lebensgefährten, der sie geschlagen und verletzt haben soll, nicht das erste Mal. Im März 2020 sei er wegen Corona aus der Haft entlassen worden, sie halte es nicht mehr aus mit ihm. Warum die Polizei nichts unternehme. Selbst ein Tankstellenüberfall reiche wohl nicht, ihn endlich wieder einzusperren. Die Beamten werden hellhörig.
Siegen: Schreckschusswaffe in verwahrloster Wohnung gefunden
„Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und erzählte“, erinnert sich eine Polizistin. Die Frau, die eine Beule am Kopf und blaue Flecken an den Handgelenken gehabt hätte, berichtet den Beamten von der Heimkehr des Freundes mit Geld und zwei Flaschen Wein. Er habe stolz getönt, den gemeinsamen Lieblingspullover beider getragen zu haben. Maske und auch die Schreckschusswaffe hätten sich dann unter Wäschebergen in der völlig verwahrlosten und stinkenden Wohnung gefunden.
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Die Frau war der Zeugin unbekannt, mit dem Angeklagten hatte sie aber schon sehr oft zu tun. Vor allem erinnert sie sich an eine Widerstandshandlung ein paar Wochen zuvor. So etwas habe sie noch nie erlebt, „völlig abartig“, sagt die Polizistin und schüttelt den Kopf. „Völlig schmerzunempfindlich“ sei W. gewesen, offenbar auch unter Alkohol und Drogen, habe geradezu „übermenschliche Kräfte“ entwickelt.
Angeklagter hat mit zahlreichen Drogen Erfahrung – seit er 14 ist
Mit 14 will W. erstmals Drogen genommen haben. Irgendwann habe er begonnen, „zum Feierabend Bier zu trinken“, was sich immer mehr gesteigert hätte. Er hat Ecstasy geschluckt, LSD und Pilze ausprobiert, Amphetamin genutzt und am Ende auch Heroin geraucht. Aufgewachsen ist er teils in Deutschland, aber auch in den Staaten, mit Eltern, die immer schon „seelischen Beistand“ gebraucht und von ihm bekommen hätten, unter Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse.
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Das glaubt ihm der Sachverständige Dr. Thomas Schlömer, der die Polytoxikomanie diagnostiziert und den Hang, der für die Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung wichtig ist. Allerdings hat der Gutachter Bedenken für den Erfolg einer Zwangstherapie. Weil W. aktuell vor allem eine Schulausbildung in Haft im Auge hat und dann „mit meiner Verlobten gemeinsam eine Therapie machen will“. Die gleiche Frau übrigens, die ihn vor einem Jahr noch im Gefängnis sehen wollte. Sie ist auch als Zeugin geladen, kommt aber nicht.
Er hat eine lange Liste an Vorstrafen, ist dennoch überrascht, als ihm die Vorsitzende eine Haft jenseits der Fünf-Jahres-Grenze in Aussicht stellt. Elfriede Dreisbach sieht das Gutachten kritisch. Schließlich seien die Einrichtungen doch auch auf Zwangsbehandlungen eingestellt. „Der BGH haut uns das Urteil um die Ohren, wenn wir das darauf stützen, dass er nicht will“, gibt sie zu bedenken. Am 9. August wird plädiert.
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