Siegen/Biedenkopf. Reisen ist wegen der Pandemie immer noch schwierig. Aber von Siegen aus gibt es viele tolle Tagesausflugsziele zu erreichen. Wie wäre Biedenkopf?

Biedenkopf gehört geografisch und geschichtlich zum Hessischen Hinterland. Vor allem beim berühmten Grenzgang wird die Stadt zum Zentrum der Tradition. Normalerweise kauft man einen Reiseführer, um sich auf den Besuch einer Stadt vorzubereiten. Doch für Biedenkopf ist ein Roman geeigneter: Der dort geborene Stephan Thome ist der Autor von „Grenzgang“, in dem er einen Lehrer beschreibt, der nach gescheiterter Uni-Karriere in Berlin in seine Heimatstadt Biedenkopf zurückkehrt, um am dortigen Gymnasium einen beruflichen Neuanfang zu starten. Dass er dabei in eine Beziehung mit der Mutter seines Schülers stolpert, ist auch dem Grenzgang geschuldet, der dem Buch den Namen gibt.

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Dabei macht Thome in seinem 2009 erschienenen und mit dem renommierten aspekte-Literaturpreis ausgezeichneten Roman-Debüt aus dem wirklichen Biedenkopf Bergenstadt, beschreibt das Geschehen dort aber so lebendig, dass der Leser tief in das Leben in der hessischen Provinz eintaucht. Inklusiv einer bizarren, unfreiwilligen Begegnung der beiden Protagonisten in einem Frankfurter Swingerclub.

Biedenkopf: Grenzgang ist alle sieben Jahre ein großes Ereignis

Alle sieben Jahre findet er statt. Zuletzt Anfang Juli 2019. Tausende von Biedenkopfern versammeln sich am frühen Morgen auf dem Marktplatz und werden dann auf eine lange Wanderung geschickt, die sie einmal um ihre Stadt führt, immer an den Grenzen zu den Nachbargemeinden entlang. Nicht immer über befestigte Wege, die noch dazu oft so steil sind, dass die Grenzgänger auf allen vieren hochkrabbeln oder von Helfern hinaufgezogen werden.

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Die Außengrenze von Biedenkopf ist so lang, dass man sie nicht an einem Tag schafft und der Grenzgang in drei Etappen aufgeteilt werden muss. Am Ende jeder Strecke führt der Weg zum Marktplatz zurück, um am nächsten Morgen genau von dieser Stelle aus fortgesetzt zu werden. Hartgesottene lassen es sich nicht nehmen, abends in dem Festzelt auf den Lahnwiesen so richtig abzufeiern, vor allem, wenn nach der dritten Etappe der lange, anstrengende Weg beendet ist. Der letzte Grenzgang 2019, gerade noch rechtzeitig vor den Pandemiejahren, war ein rauschendes Fest, obwohl das Regenwetter alle Beteiligten einschließlich der Blaskapellen bis auf die Haut nass werden ließ. Prominentester Wanderer war Stephan Thome höchstpersönlich, dessen weitere Romane an den Erfolg von „Grenzgang“ anknüpften. Der nächste Biedenkopfer Grenzgang ist für 2026 geplant.

Rundgang durch Biedenkopf: An „Schenkbarsches Haus“ führt kein Weg vorbei

Hessisches Fachwerk in Rot-Weiß begleitet den Besucher auf allen Wegen, die vom Marktplatz aus zum Schlossberg gehen. Nicht so spektakulär und kompakt wie in Herborn, aber durch erklärende Texttafeln äußerst informativ. Denn viele der Fachwerkbauten atmen Geschichte. So das „Schenkbarsches Haus“ gegenüber der Stadtkirche, auffallend groß und das älteste Gebäude in Biedenkopf. 1240 als Burgmannshof gegründet, hat es alle Stadtbrände überstanden. Heute beherbergt das Haus ein kleines Privatmuseum, in dem Ikonen aus aller Welt ausgestellt sind und auch Beispiele Biedenkopfer Wohnkultur.

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Natürlich ist dieses Haus eine wichtige Station bei zwei von drei Rundgängen durch die Stadt, dem Baugeschichtlichen und dem Stadtgeschichtlichen Rundweg. Zu diesem gehört auch das 1417 vor den damaligen Stadtmauern gebaute Hospital, heute als Kirche genutzt. Aber auch der Brunnen am oberen Markt. Hier wurden im Mittelalter Lebensmittel angeboten. Zum Schmunzeln gereicht die an der dortigen Wand angebrachte eiserne Halskrause einschließlich einer massiven Kette. „Störer des Marktfriedens“ wurden damals auf nach heutigen Maßstäben ungewöhnliche Weise bloßgestellt.

Biedenkopf: Skulpturenrundweg mit vielen Werken von Ubbo Enninga

Den vermutet man in einer hessischen Kleinstadt mit 13.000 Einwohnern nicht unbedingt. An den Anblick des martialischen Kriegerdenkmals werden sich die Biedenkopfer schon lange gewöhnt haben. Das steht schon seit mehr als 100 Jahren auf dem unteren Marktplatz. Doch über die Stadt verteilt, ob vor dem Rathaus, vor allem aber im Stadtpark, sind Skulpturen der Gegenwart aufgestellt.

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Viele davon stammen aus dem Atelier des 1955 in Biedenkopf geborenen Ubbo Enninga, dessen Werke unter anderem im Haus der Hessischen Landesregierung in Berlin, auf dem Domplatz in Fritzlar und der Kaiserpfalz Willich zu sehen sind. Außerdem hat er bedeutende Persönlichkeiten wie Ferdinand und Ferry Porsche oder Rudolf Steiner porträtiert. 2014 stellte er fünf seiner Skulpturen seiner Heimatstadt als Dauerleihgabe zur Verfügung und hat damit Biedenkopf nachhaltig verschönert.

Unschlagbarer Ausblick vom Biedenkopfer Schloss aus

Doch alles wird vom Schloss getoppt. Der Fußweg hinauf erfordert einige Mühen, ist aber den verschlungenen Wegen einer Autofahrt vorzuziehen. Der Blick vom Schlossturm ins Lahntal und auf die Stadt ist unschlagbar. Die vielen Räume des im 15. Jahrhundert erbauten Schlosses, das seit Jahren ein Museum ist, lassen den Besuchern die Wohn- und Alltagskultur in der Hessischen Provinz einschließlich ihrer wunderschönen und von Generation zu Generation weitervererbten Trachten sehr lebendig werden. Und wenn ein Museum das schafft, ist es ein gutes Museum.

Tipps für den Besuch in Biedenkopf

Das Buch „Grenzgang“ von Stephan Thome, erschienen 2009 bei Suhrkamp, gibt es inzwischen als Taschenbuch für 10 Euro. Die ARD hat aus der Romanvorlage im Jahr 2013 eine wunderbar unromantische Liebesgeschichte gedreht, die den spröden Charme der Provinz lebendig werden lässt. In den Hauptrollen: Claudia Michelsen und Lars Eidinger. Leider ist dieser Film auch in der Mediathek nicht mehr verfügbar. Weitere Romane von Stephan Thome: „Fliehkräfte“ (2012), „Gegenspiel“ (2015) und „Gott der Barbaren“ (2018), alle bei Suhrkamp.

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Im August finden in Biedenkopf Schlossfestspiele statt.

Von Siegen nach Biedenkopf mit dem Auto oder der Bahn

Anreise: Mit dem Auto in gut 55 Minuten über Bad Laasphe zu erreichen. Parkplätze in Biedenkopf gibt es reichlich. Alternative: Mit der Hessenbahn ab Siegen oder Kreuztal. Vom Biedenkopfer Bahnhof erreicht man den Marktplatz in weniger als zehn Minuten.

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