Siegen-Wittgenstein. Stabile Inzidenz unter 50 ermöglicht weitere Öffnungen. Für eine Reihe von Geschäftsleuten kommt das allerdings zu spät, fürchtet die IHK

Der erste Anlauf ging daneben: Am 19. Mai registriert das Robert-Koch-Institut 49,8 Covid-Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in Siegen-Wittgenstein, doch schon am Tag darauf wird die 50er Marke schon wieder gerissen. An diesem Mittwoch beginnt das Daumendrücken erneut: 49,1 beträgt die aktuelle 7-Tage-Inzidenz. Bleibt die an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen unter 50, gelten am übernächsten Tag danach neue Regeln: Das wäre am Sonntag, 6. Juni.

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Für den Einzelhandel wird es höchste Zeit, sagt Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK), im Gespräch mit dieser Zeitung. In der letzten Konjunkturumfrage der Kammer haben 20 Prozent der Unternehmen dieser Branche und damit deutlich mehr als die regionale Wirtschaft insgesamt (12 Prozent) über Liquiditätsengpässe berichtet, 47 Prozent über einen Rückgang des Eigenkapitals – die Geschäfte leben also von der Substanz. „Noch schlechter geht es nur der Gastronomie.“ Wobei das Bild im Einzelhandel nicht einheitlich ist: Während Lebensmittelhandel und Baumärkte gut durch die Krise kommen, leiden Mode-, Schuh- und Schmuckhandel um so mehr.

Für die nächsten Lockerungsschritte muss die Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen unter 50 liegen.
Für die nächsten Lockerungsschritte muss die Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen unter 50 liegen. © Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

Um die 1200 von rund 5000 Einzelhandelsbetrieben im IHK-Bezirk Siegen-Wittgenstein/Olpe hatten während der Pandemie zumindest eingeschränkt weiterarbeiten können. Neben dem Handel sieht Klaus Gräbener auch die Reisebüros, Kulturtreibende sowie Dienstleister, die an Personen (und nicht an Gegenständen) arbeiten, auf der Seite der „eindeutigen Verlierer“. Konzepte wie „Click & Collect“ oder „Click & Meet“ hätten zwar gewisse Unterstützung gebracht, in der Fläche aber nicht geholfen. Gerettet werden könnten geschäftliche Existenzen allenfalls noch, „wenn schnell und dauerhaft geöffnet würde“. Gräbener erinnert an – nicht berücksichtigte – Forderungen, andere Kriterien jenseits der Inzidenzzahl zu berücksichtigen, zum Beispiel die Auslastung der Krankenhäuser. „Vielleicht haben wir Glück und die Inzidenz bleibt unten.“

IHK Siegen: Innenstädte werden sich verändern

Der IHK-Hauptgeschäftsführer erwartet, dass die Zahl der Insolvenzen steigt, nachdem die Befreiung von der Pflicht zur Insolvenzanmeldung abgelaufen ist. „Relativ viele verabschieden sich still. Die machen einfach zu. Wir werden nicht alle wiedersehen.“ Folgen haben werde das für die Innenstädte: Für den stationären Einzelhandel werden künftig weniger Ladenflächen gebraucht, die verbleibenden Geschäfte werden sich gegen den stark gewordenen Online-Handel behaupten müssen. „Die Zentren müssen auf andere Weise interessant werden“, glaubt Klaus Gräbener. Gesucht seien Konzepte, die zentrale Lagen attraktiv machen und Menschen zum Verweilen einladen. „Das ist schwer.“

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Die Städte und Gemeinden ahnen das: Netphen hat den Prozess der Innenstadtentwicklung gerade begonnen, Hilchenbach füllt mit Hochdruck leer stehende Ladenlokale, Wilnsdorf hat einen Plan für die Neugestaltung des Ortszentrums, Neunkirchen setzt sein Entwicklungskonzept („Neunkirchen handelt“) gerade um. Die beiden größten Städte im Siegerland sind am weitesten: Bundesweit beachteter Leuchtturm ist Siegen mit den neuen Ufern und „Wissen verbindet“. Kreuztal hat den Hebel ebenfalls lange vor der Pandemie umgelegt: Der Rote Platz mit der dorthin umgesiedelten Stadtbibliothek und dem wenige Steinwürfe entfernten Dreslerschen Park sind auch dann belebt, wenn die Läden zu sind.