Siegen. Vor Gericht in Siegen geht es um den Charakter des Mannes, der bei zwei Auseinandersetzungen zum Messer gegriffen und zugestochen haben soll.

Die Psyche des Angeklagten steht im Mittelpunkt des Verhandlungstages. Was ist dieser K. für ein Mann, der im Juli und August 2020 zweimal in Auseinandersetzungen verwickelt war und jeweils ein Messer eingesetzt haben soll? Wobei die erste Tat nicht ausdrücklich angeklagt und im Laufe der Verhandlung näher beleuchtet werden soll. Bei der zweiten geht es um versuchten Totschlag.

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Der 35-Jährige selbst hat sich als Opfer eines Dealer-Paares beschrieben, musste sich demnach mehr oder weniger gegen Angriffe und Drohungen verteidigen, will seit längerem große Drogenprobleme gehabt haben. Das Gericht versucht an diesem Dienstag, mehr über seine Vergangenheit zu erfahren, hat dafür die Familie und zwei Ex-Partnerinnen geladen. Ein einheitliches Bild ergibt sich daraus aber nicht. Oder vielleicht doch?

Siegen: Ex-Partnerinnen zeichnen unterschiedliche Bilder des Angeklagten

Zumindest in einem Punkt sind sich die beiden Frauen, die zunächst gehört werden, durchaus einig. „Er war freundlich. Offen. Hilfsbereit“, mit diesen Worten beginnen beide ihre Schilderung des Angeklagten in der ersten Zeit des Kennenlernens. Irgendwann hat sich das für beide Zeuginnen geändert. Die Umstände müssen allerdings sehr unterschiedlich gewesen sein.

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Zuletzt hatte er gut sechs Jahre mit einer Erzieherin verbracht, ein gutes Drittel davon unter einem Dach. Im Sommer 2020 hatte sie sich von ihm getrennt, will die Gründe dafür nicht nennen, ist aber sicher, dass der Angeklagte darunter gelitten habe. Die junge Frau erklärt auf Nachfrage von Psychiater Dr. Brian Blackwell, den Angeklagten aufgebracht und zornig erlebt zu haben, aber niemals gewalttätig. Gegen sie habe er nie die Hand erhoben.

Zeugin vor Gericht in Siegen: Drogenkonsum des Ex-Partners bemerkt

Der Gutachter arbeitet bei allen Zeugen einen umfangreichen Fragenkatalog ab und dabei in diesem Fall heraus, dass es immer wieder Phasen gegeben habe, in denen K. depressiv und unmotiviert gewesen sei, nicht zur Arbeit ging und kaum zu bewegen war, auch nur mit ihr Spazieren zu gehen. Das müsse auch mit der Beziehung zu seinem Sohn zusammengehangen haben, überlegt die Zeugin. Wie es mit Alkohol und Drogen gewesen sei, wollen Kammer und Gutachter wissen. „Bier hat er regelmäßig getrunken“, erzählt die Frau. Auch Cannabis habe sie bemerkt und gegen Ende der Beziehung befürchtet, dass er noch andere Sachen konsumiere. Sie (25) redet mit ruhiger Stimme, überlegt bei manchen Fragen etwas länger, macht den Eindruck, als sei da noch nicht alles weg an Gefühlen, auch bei ihr nicht.

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Die nächste Zeugin ist die Mutter des Sohnes des Angeklagten. Ihre Trennung liege gut sieben Jahre zurück, sagt sie. Etwa ebenso lang seien sie zusammengewesen. Sie ist lauter, aggressiver, lässt wenig Gutes an ihrem „Ex“, von der bereits zitierten Beschreibung der Anfangszeit einmal abgesehen. „Er hat mich geschlagen, bedroht und misshandelt“, betont sie mehrfach.

Siegen: Frühere Ex-Partnerin berichtet von Konflikten in der Beziehung – und danach

Kurz vor der angeklagten Tat im August 2020 habe er sie angerufen und gedroht, „mir das Gesicht zu zerschneiden!“ Das tue er nur nicht, weil sie einen gemeinsamen Sohn hätten und der sie dann so sehen müsse. Direkt nach der Trennung, die sie auch mit Veränderungen aufgrund seines wachsenden Drogenkonsums begründet, sei sie unaufhörlich verfolgt und gestalkt worden, bis an ihre Arbeitsstelle und davor. In aller Öffentlichkeit habe K. zwei ihrer Telefone zerstört.

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Einmal, während der Beziehung, sei sie über Monate ohne ihren Schlüssel gewesen, hätte sich dann riesig gefreut, diesen bei einer Aufräumaktion wiederzufinden. „Er hat mir gesagt, er hätte ihn versteckt. Ich hätte ihn vorher belogen“, ruft die Zeugin in den Saal. Und dann sei sie im Badezimmer verprügelt worden. „Du kannst mir ruhig in die Augen sehen“, zischt sie in Richtung des Angeklagten.

Siegen: Zeugin reagiert verärgert auf Frage des Gutachters

K. sei aggressiv. Wenn den einer auf der Autobahn überhole, steige er aus und schlage den: „So einer ist das!“ Der Gutachter fragt, ob sie auch völlig ohne Anlass geschlagen worden sei. „Welchen Grund könnte es geben, eine Frau zu schlagen?“, wird die Zeugin ärgerlich. Aber nein, völlig ansatzlos sei es nie passiert.

Zu seiner Familie habe sie nach wie vor ein gutes Verhältnis, bringe auch den Jungen dorthin. Er selbst kümmere sich kaum. Was den Angeklagten zu diversen Gegenfragen animiert und schließlich die Vorsitzende eingreifen lässt: „Wir können hier keine Partnerschaftstherapie betreiben!“

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„Ich weiß nicht, was hier herauskommt. Aber für mich wird es nichts Gutes“, ist sich die Zeugin sicher, dass der Angeklagte sich an ihr rächen wolle. Nachdem er „die Frau, die vor mir hier war“, getroffen hätte, sei es mit den Nachstellungen, „richtiger Terror“, besser geworden. Im Sommer 2020 sei er allerdings einmal an ihr vorbeigekommen „und hat mich angespuckt.“ „Wir mögen uns nicht mehr“, sagt K. hinterher: „Ich habe sie nie bedroht und noch nie eine Frau geschlagen!“

Eltern beschreiben Angeklagten vor Gericht in Siegen als liebenswerten Sohn

Die Eltern beschreiben einen guten und liebenswerten Sohn, Gewalt allgemein oder zur Kindesmutter wollen sie nie bemerkt haben. Darüber sei auch nicht von ihr gesprochen worden. Und die Frau sei mit dem Kind ja oft bei ihnen. Der Vater weiß etwas über Drogen, aber nicht viel. Die Mutter berichtet, K. komme mehrmals in der Woche zum Essen. Einen Verband an der Hand, den er nach dem ersten Vorfall im Juli 2020 trug, weil er selbst verletzt worden war, erinnert sie allerdings nicht. Das sei auch nie Thema gewesen.

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Ein jüngerer Bruder wird unter anderem noch gehört, der nur lobende Worte für K. findet, der immer Zeit für ihn gehabt hätte und habe. Von ernsteren Problemen mit der Kindesmutter hat auch er nichts mitbekommen. „Zwei Menschen verstehen sich nicht mehr. Dann trennen sie sich eben“, antwortet er auf die Frage des Gutachters und will umgekehrt wissen: „Haben Sie sich schon einmal getrennt? War da Gewalt im Spiel?“ Für das Gericht bleibt noch viel zu tun. Am Dienstag nach Pfingsten wird der Prozess fortgesetzt.

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