Dahlbruch. Jochen Manderbach übernimmt 1991 das Viktoria-Kino. Eine Filmtheater-Geschichte von der Dahlbruchhalle bis zum Kulturellen Marktplatz

Immerhin einer kommt zum Gratulieren persönlich auf die Bühne: Bürgermeister Kyrillos ­Kaioglidis. Die vielen anderen dürfen gar nicht rein. Das Gebrüder-Busch-Theater ist zu, Jochen Manderbach mit seinem Viktoria-Kino im Endlos-Lockdown. Vor 30 Jahren, am 1. Mai 1991, hat er – damals gemeinsam mit Carsten Gülker – das Filmtheater von Felix Fischer übernommen, der wiederum 43 Jahre zuvor die „Siegerland-Lichtspiele“ gegründet hatte, zunächst als Gasthof-Wandertheater.

Die Corona-Hilfen sind abgerechnet, „nicht viel, aber es reicht, um noch bis zum Frühherbst durchzuhalten“, berichtet Jochen Manderbach. Das Publikum? Die Treuesten sieht er noch alle 14 Tage, samstags nachmittags zum Popcorn-Verkauf nach draußen, immer höchstens 30. Gutscheine für bessere Zeiten hat er vor einem Jahr noch reichlich verkauft, inzwischen kaum noch. „Die Leute haben eine abwartende Haltung eingenommen.“ Nein, so kann man eine Jubiläumsgeschichte nicht erzählen.

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Das erste Kapitel

Eher so: Felix heißt „Der Glückliche“. Und Felix Fischer steht für die Geschichte des Viktoria. Das heißt „Sieg“ und war damals, 1960, beim Einzug in das Gebrüder-Busch-Theater (das erst noch „Dahlbruchhalle“ hieß), ein gängiger Name für ein Kino. Den anderen, „Gloria“ (das heißt „Ruhm“), hatte schon der Kollege in Kreuztal in Gebrauch. Felix Fischer also, der das Kleinstadtkino mit Filmkunst bundesweit bekannt machte, wollte mit 70 aufhören und suchte einen Nachfolger. Die Stadt hatte die Wahl zwischen mehreren Bewerbern, denen sie das Theater hätte vermieten können. Manderbach und Gülker – der später zum neuen Cinestar nach Siegen abwanderte – bekamen den Zuschlag. Sie waren damals, 1991, längst Stammgäste des Viktoria, die Felix Fischer gern auf der Treppe persönlich begrüßte, so lange, bis der Hauptfilm begann.

„Das hätte es bei Felix Fischer nicht gegeben.“ An den Satz, den er in den ersten Jahren immer wieder einmal zu hören bekam, erinnert sich Jochen Manderbach auch heute noch. Da wirkt dann die Legende: Wie Fischer sich selbst mit dem Pfarrer 1951 vor die Tür der Turnhalle stellte, um vom Besuch der „Sünderin“ abzuhalten, weil dort die Knef die Hüllen fallen ließ – der auch damals schon mächtige Filmverleih kannte kein Pardon. Tatsächlich zeigte auch der späte Fischer zwei Wochen lang Batman am Stück und wochenlang Dirty Dancing. Sodass Manderbach und Gülker an ihrem ersten Tag mit Pretty Woman nahtlos weitermachen konnten.

Das zweite Kapitel

So begann also das zweite große Kapitel in der Geschichte des Dahlbrucher „Viktoria“. Mit mehr als 90.000 Besuchern 1991 Deutschlands erfolgreichstes Kleinstadtkino. Jahr für Jahr preisgekrönt. 1999 mit einem neuen Foyer ausgestattet und einer Bar, deren Angebot deutlich über das Gummibärchen-und-Katjes-Sortiment von Felix Fischers gläserner Verkaufstheke am Parketteingang hinausgeht. Später kamen die Tische auf dem Balkon hinzu, wo Kinofreunde den Service mit Leckereien aus der eigenen Küche übernehmen.

Der Cinestar in Siegen? Sicher, das Multiplex hat viele Besucher aus Dahlbruch abgezogen, wo man abends nicht eben mal mit dem Bus hinkommt und wo es auch keine Kneipe für nach dem Kino gibt. Dafür hat das „Viktoria“ aber einen eigenen Förderverein. Und dann die Südwestfalen-Regionale: Etwa zehn Jahre alt ist der erste Plan vom Kulturellen Marktplatz, der jetzt, mitten in der Pandemie entsteht. Mit zweitem Kinosaal, auf den das Viktoria künftig ausweicht, wenn im Theater Theater gespielt wird. Oder wenn es mal einen Film nur für kleines Publikum gibt.

Geschichte

Im Gasthof Sonneborn in Müsen zeigten die „Siegerland-Lichtspiele“ am 9. Juli 1948 ihren ersten Film. Am 1. Mai 1952 wurde das Kino in der neuen Turnhalle sesshaft, am 13. Februar 1960 im Theater.

Die Zukunft

„James Bond ist für September angekündigt“, weiß Jochen Manderbach. Damit neu zu starten, „das wäre der Knaller“. Nein, viel früher erwartet der Kinobesitzer die Wiederaufnahme des Spielbetriebs nicht. Die Verleiher verschieben ihre Starts immer wieder, manche neuen Filme gehen direkt ins Streaming, für andere wird es nur noch eine arg verkürzte Kino-Auswertung geben. „Ich mag im Moment ungern planen“, sagt Jochen Manderbach. Dass die Branche sich verändert und die kleinen Kinos unter die Räder kommen könnten, macht ihm schon Sorgen. Andererseits: „Ich hätte kein Problem, Netflix zu zeigen.“ Über die Übertragung von Opern und Konzerten aus aller Welt ist Jochen Manderbach mit dem Gebrüder-Busch-Kreis im Gespräch: Was Kinos auch anderswo machen, wäre hier sogar eine Rückkehr: nicht mehr auf die Bühne. „Es fehlt noch die richtige Internetverbindung.“ Kommt schon. Was heißt „Viktoria“ auf Deutsch? Eben.

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