Dahlbruch. . Vor 25 Jahren hat Felix Fischer sein Viktoria-Filmtheater, das er 1947 gegründet hat, an die beiden jungen Männer Jochen Manderbach und Carsten Gülker übergeben. Am 1. Mai wird Jubiläum gefeiert.

Jochen Manderbach war 31 Jahre jung, sein Kompagnon Carsten Gülker 28. Die beiden hatten in Siegen studiert, hätten als wissenschaftliche Hilfskräfte im Sonderforschungsbereich Medien weiter an ihren Promotionen arbeiten können. Wenn sich nicht der Hilchenbacher Hauptausschuss dazu entschlossen hätte, den beiden Film-Freaks den Pachtvertrag für das Gebrüder-Busch-Theater zu geben. Vor 25 Jahren hat Felix Fischer, kurz vor seinem 70. Geburtstag, sein Viktoria-Filmtheater, das er 1947 gegründet hat, an die beiden jungen Männer übergeben. Am 1. Mai wird Jubiläum gefeiert.

Pretty Woman

Der letzte Film, den Felix Fischer ausgesucht hat, lief am 1. Mai. Die Vorpremiere „Ein Mädchen namens Dinky“ am 3. Mai 1991 war der erste Film, den die neuen Inhaber ausgesucht haben. Jochen Manderbach hat das Programmblatt mit dem Monatsprogramm noch. Das war damals neu. So neu wie die Popcorn-Maschine, die irgendwann auf der Theke stand. Bei Felix Fischer gab es Gummibärchen und Katjes. Und nur ein Wochenprogramm. Damit niemand seinen nächsten Besuch allzulang hinausschiebt.

Der Grandseigneur begrüßte seine Besucher persönlich oben auf der Treppe, vor der Tür zum Saal. Manchem Gast kam es noch lange so vor, als ob Fischer immer noch dort stehen müsste. Dass es dieses oder jenes bei Herrn Fischer nicht gegeben hätte, hören die jungen Kinochefs in den nächsten Jahren noch oft. Oft zu Unrecht, sagt Jochen Manderbach, der das gelassen hinnimmt. „Felix hat zu glücklicheren Zeiten Kino gemacht.“ Worüber noch zu sprechen sein wird.

Jenseits von Casablanca

Der erste und einzige Film, den Jochen Manderbach selbst gemacht hat. Beim ersten Siegener Amateurfilmfest 1986 hat er damit die „Goldene Linse“ gewonnen. Zur Jury, so erinnert er sich, gehörten Andreas Fuchs, damals noch Inhaber der Siegener Kinos, der heutige Kreiskulturreferent Wolfgang Suttner — und Felix Fischer. 25 Minuten voller Zitate und Parodien auf 16 Millimetern, unvergleichlich Matthias Kringe als Charlie Chaplin. Mit dem Dilldappen-Schöpfer führte Manderbach in der Alten Poststraße den ersten Siegener Comicladen. Was aus ihm geworden wäre, wenn das mit Dahlbruch nichts geworden wäre? Filmjournalist, vielleicht, überlegt Manderbach, der 1980 seine erste Filmkritik in der Westfälischen Rundschau veröffentlichte. „Lehrer war eher die Notfalloption.“

Emil und die Detektive

Volles Haus am Vormittag. Die Birlenbacher Grundschule ist wieder einmal zu Gast. „Ich hätte gern mehr Schulkinder im Haus“, sagt Jochen Manderbach. Für manche Klasse ist Dahlbruch sogar das Ziel des Wandertags. Aber nicht für viele. Die älteren Jugendlichen bleiben weg, seit es andere Möglichkeiten gibt, neue Filme sofort zu sehen. Das Viktoria hat sich für den Mix aus wenigen Blockbustern und viel Arthouse entschieden. Ein bisschen zurück zu dem besten Programmkino Deutschlands, als das das Viktoria 1984 einmal ausgezeichnet wurde, bevor wirtschaftliche Erwägungen den Raum für die Filmkunst ein wenig beschnitten. Wann Manderbach zum ersten Mal in Dahlbruch war? „Erst als ich selbst Auto fahren konnte.“ Ja, für drei Mark — diesen Eintrittspreis hat sich eine ganze Generation gemerkt. „Als Kind war ich im Apollo.“

Der König der Löwen

Der erfolgreichste Film in der Viktoria-Geschichte. 2500 Besucher in fünf Vorstellungen am Buß- und Bettag 1994 — ausschließlich als Vorpremiere. Manderbach erzählt heute noch vergnügt, wie er den mittlerweile zum Ufa-Imperium gehörenden Siegener Kinos ein Schnippchen schlug. Die hatten den Termin verpasst und so dem Dahlbrucher Mitbewerber ein Exklusivereignis ermöglicht. Fünf Jahre später verändert sich die Kinowelt. Am 28. Oktober 1999 eröffnet der Cine-star in Siegen, Manderbachs bisheriger Mitgesellschafter Carsten Gülker wird erster Theaterleiter. Bis 2015 sinkt die Besucherzahl in Dahlbruch von einst fast 90 000 (1991) auf 42 170, von dem hässlichen Zwischentief im WM-Jahr 2010 mit nur knapp 31 000 Gästen einmal ganz abgesehen. Den 28. Oktober 1999 hat Jochen Manderbach sich gut gemerkt. Ein Zuschauer machte an diesem Abend seiner Zukünftigen beim Kinobesuch in Dahlbruch einen Heiratsantrag. Der Familie — Manderbach: „Drei Kinder und ein Hund“ — geht’s gut, die Tochter jobbt demnächst im Viktoria.

Kino ist das Größte

„Kino ist das Größte“ ist kein Film, sondern die Feier am 1. Mai um 18 Uhr, in der Jochen Manderbach und Weggefährten sich an ihre 25 Jahre Viktoria erinnern. Carsten Gülker wird kommen, der gerade die Leitung des Cineplex in Marburg übernommen hat. Und Stefan Brügeler, Manderbachs früherer Assistent und langjähriger Vorführer, heute Leiter des Cineplex in Olpe

Kino ist das Größte? „Ab 1999 kam das schon mal vor, dass ich das bereut habe“, gesteht Manderbach. Arbeitstage von zehn Stunden mit viel Verwaltung und wenig Filmkunst, selten Urlaub. „Der Luxus, den ich mir erlaube, ist morgens auszuschlafen.“ Und trotzdem: Kino ist das Größte. Wie lange noch? Manchmal wundert sich Jochen Manderbach selbst, dass das Geschäftsmodell noch funktioniert: „Wir schreiben vor, wann der Film läuft.“ In Zeiten von Streaming-Diensten „eine echte Herausforderung“. Aber eine, die das Publikum gern annimmt: Seit fünf Jahren gibt es mit den „Filmkunstfreunden Dahlbruch“ sogar einen um die 60 Mitglieder starken Förderverein, der bis zu sechs Mal im Jahr auf eigene Rechnung Programm macht. „Spiel mir das Lied vom Tod“, zum Beispiel. Ein todsicherer Verlustbringer.

Star Wars — das Erwachen der Macht

Am 17. Dezember 2015 hat das Kino gesiegt: Jochen Manderbach schaffte es, die vom Verleih geforderten drei täglichen Vorstellungen zu zeigen und den Saal trotzdem abends fürs Theater freizumachen. Eine Mitternachtspremiere, eine Vorstellung um 6, eine um 9 Uhr. Sogar vor Publikum. Ein Kraftakt, um eine weitere Konventionalstrafe zu vermeiden: 2000 Euro musste Manderbach zahlen, als er mit „Harry Potter“ zwischendurch aussetzte, um einer Konzertveranstaltung Platz zu machen.

Auch eine Folge der vergeblichen Bemühungen um einen zweiten Saal, in den das Viktoria ausweichen würde, wenn der Gebrüder-Busch-Kreis oder örtliche Vereine die Bühne brauchen. Im Herbst 1997 wäre dafür das Feuerwehrgerätehaus nebenan in Frage gekommen — bevor es Jugendcafé wurde. 2002 und 2004 gab es Anbaupläne, 2004 und 2005 liebäugelte Manderbach mit dem alten Kaufhof und dem früheren Central-Kino in Siegen. Und jetzt: der Kulturelle Marktplatz Dahlbruch. „Ich bin meinem zweiten Saal so nahe wie noch nie“, sagt Manderbach, „theoretisch.“ Denn vorher muss der Hilchenbacher Rat das Geld freigeben.

Straßen in Flammen

oder Der schwarze Falke: Das Viktoria hat sich verändert seit Felix Fischers Zeiten: 1997 gab es neue Sessel im Parkett, 1999 wurde das Foyer umgebaut, 2010 der Balkon. Jede zweite Sitzreihe wurde dort weggenommen, man sitzt jetzt an Tischen und kann am Wochenende Häppchen und ein Glas Wein zum Film nehmen. Zum Jubiläum zeigt Jochen Manderbach seine Lieblingsfilme, „Straßen in Flammen“ und „Der schwarze Falke“. Bis 2013, der Umstellung auf die digitale Technik, hätte er dafür übrigens Hilfe gebraucht: Den Umgang mit Filmrollen und Projektor hat der Cineast nie gelernt, auch nicht von Erich Langenbach, dem alten Vorführer des Viktoria, der ganze Generationen von Nachfolgern angelernt hat. Woran es lag? „Technik war nie so meins“, zuckt Jochen Manderbach mit den Achseln. „Ich hab’s irgendwann aufgegeben.“ Für schlechte Schüler arbeitet die Zeit. Wenigstens im Kino.