Siegen. Gutachter diagnostiziert bei 37-Jährigem Pädophilie. Siegener wurde als Kind selbst Opfer von sexuellem Missbrauch und hofft auf Therapiechancen.

„Es geht um das Eine.“ Sagt Dr. Bernd Roggenwallner. Und mit dem „Einen“ meint er die sexuellen Praktiken, zumal die an und mit Jungen im Teenageralter. Am Donnerstagnachmittag stellte der Nervenarzt aus Dortmund sein Gutachten im Verfahren gegen den wegen sexuellen Missbrauchs mehrerer Minderjähriger angeklagten K. aus Siegen vor der 2. Großen Strafkammer als Jugendkammer des Landgerichts Siegen vor. Seine Diagnose: Pädophilie.

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Roggenwallner skizzierte den Werdegang des 1983 geborenen Mannes, in dessen Leben sich bereits im Alter von zehn Jahren eine „Auffälligkeit“ gezeigt habe: Der vier Jahre ältere Bruder habe mehrfach sexuelle Handlungen an dem Jüngeren vollzogen und das über einen Zeitraum von rund zwei Jahren hinweg. In der Folge habe K. dann selbst ähnliche Taten an anderen Jungen verübt, sei mit 13 Jahren in die psychiatrische Kinder- und Jugendklinik nach Herborn gekommen und von dort, da es hier erneut Vorfälle gab, in die LVR-Klinik in Viersen.

Siegen: Gutachter konstatiert pädophilem Angeklagten „Verlust an Sinnlichkeit“

Zurück in Siegen sei er in eine Wohngruppe gezogen. K. entwickelte eine (homo)sexuelle Identität, allerdings immer mit Blickrichtung auf Kinder oder sehr junge Jugendliche. Dieses äußerte sich zunächst im Erwerb kinder- und jugendpornographischer Bilder, später dann auch in konkreten Handlungen – mit, so Dr. Roggenwallner, einer zunehmenden Frequenz ab 2017.

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Festzustellen sei bei dem 37-Jährigen ein Verlust an Sinnlichkeit: „Es geht um die Praktiken, nicht um die Person.“ Dabei sei das Muster der sexuellen Handlungen über die Jahre stabil geblieben. Allerdings könne man zuletzt verstärkt eine „gedankliche Einengung des Täters auf die Taten“ konstatieren, die fast tägliche Beschäftigung mit dem Herbeiführen eines für ihn befriedigenden sexuellen Erlebens.

Siegener zeigt bei sexuellem Missbrauch von Kindern „Tendenzen der Verleugnung“

Die „wesentliche Frage“ sei letztlich, so der Psychiater, ob bei K. die Pädophilie dem Grad einer schweren Persönlichkeitsstörung gleichzusetzen sei. Seine Antwort: durchaus. Auch weil die Steuerungsfähigkeit bei K. gemindert sei, auch weil sich Tendenzen der Verleugnung (zum Beispiel des Altersabstands zu den Kindern/Jugendlichen) feststellen ließen, auch weil der Angeklagte sein Verhalten durch das Moment der Bezahlung („Taschengeld-Boys“) für sich teilweise legitimierte.

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Zu bedenken sei, dass die Wiederholungsgefahr – bei einer bei Pädophilie durchschnittlichen Rückfallquote von 40 bis 50 Prozent – groß sei. Hier mit einer Behandlung einzusteigen, sei „nicht mit einer Stunde Therapie pro Woche“ zu erreichen und brauche einen „geschützten Rahmen“. Roggenwallner: „Da ist die JVA nicht unbedingt geeignet.“

37-jähriger Siegener hofft auf Therapiemöglichkeiten

Ginge es nach dem Angeklagten, gelernter Lkw-Fahrer, später umgeschult zum Industriekaufmann, dann sehe er sich nach seiner Verurteilung in einem psychiatrischen Krankenhaus am besten aufgehoben. Er wolle eine Therapie antreten, um später verantwortungsvoller mit seiner Sexualität umgehen zu können. „Ja, ich habe die Fantasien“, sagte er. Er müsse aber lernen, dem ein „Nein, ich entziehe mich dem jetzt“ entgegenzusetzen. „Dafür brauch ich einfach Hilfe.“

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Zu Beginn des Verhandlungstages hatte das Gericht den leitenden Ermittler der Kreispolizeibehörde in den Zeugenstand berufen. Erkennbar wurde in der Befragung, dass gegen den 37-Jährigen auch im Märkischen Kreis, in Gießen und in Bochum ermittelt wurde. Immer wieder ging es auch um K.s Suche nach Jungen, „gern jünger als zwölf“. Nach einer ersten Durchsuchung seiner Wohnung am 22. Juni 2020 folgte am 7. September desselben Jahres im Zusammenhang mit dem Haftbefehl eine zweite Durchsuchung. Beide Male wurde kinder- und jugendpornographisches Material in großer Menge sichergestellt.

Im August kam es zu einer sogenannten „Gefährderansprache“, einer Warnung, verbunden mit dem Rat, dass K. sich psychologische Hilfe suchen möge. Bekannt war zu diesem Zeitpunkt, dass der Siegener bereits einschlägig vorbestraft war. Im Jahr 2010 wurde er unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs Jugendlicher in zwei Fällen zu einem Jahr und sechs Monaten zur Bewährung verurteilt, sechs Jahre später erhielt er eine Geldstrafe wegen des Besitzes kinder- und jugendpornograpischer Schriften.

Die Plädoyers sind für Montag, 10. Mai, geplant, das Urteil für Dienstag, 11. Mai.