Hilchenbach. Der Weg der Sinne wird 20 – und ist immer noch „cool“. Jetzt wird er fürs Trekking entdeckt.
Wanderwege gab es reichlich. Aber irgendwie war die Luft raus, damals vor fast 25 Jahren, als es noch keine Handys gab und keine Mountainbikes. „Der Mittelgebirgstourismus steckte in der Krise, wir brauchten was Neues“, erinnert Thomas Weber. 1997 nahm der Arbeitskreis Rothaarsteig seine Tätigkeit auf, am 6. Mai 2001 wurde der 154 Kilometer lange Fernwanderweg von Brilon nach Dillenburg eröffnet. Rund 10.000 Menschen kamen zur Fest auf die Ginsburg. Prominentester Gast: Marie-Luise Marjan, die Mutter Beimer der Nation. Vor 20 Jahren, als es sonntags noch „Lindenstraße“ gab.
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Damals
„Cool“ sollte der Wanderweg werden, sagt Thomas Weber, Chef des Sauerland-Tourismus und Vorsitzender des Rothaarsteig-Vereins. Er provozierte schon mit dem Wanderzeichen, im völlig walduntypischen Knallrot. Begeisterte mit den Waldsofas. Überraschte mit Landschaftsrahmen. Und wurde dann selbst überwältigt: Klar, die Gäste von auswärts kamen in großer Zahl. „Aber auch die eigenen Bürger haben uns die Bude eingerannt.“ Ganz an der Spitze immer mit dabei: die Ehrenamtlichen vom SGV, ohne die die Wege nie hätten gezeichnet werden können. „Die hatten Freude daran, etwas Neues zu schaffen.“
So was gab’s vorher nicht. Man kannte den Rennsteig, allenfalls. „Am Anfang hat man uns argwöhnisch beäugt“, berichtet Harald Knoche, Geschäftsstellenleiter des Rothaarsteigvereins. Aber nicht lange: Schon bald gab es auch den Rheinsteig, dessen Macher sich bei den Kollegen schlau machten. „Wir sehen uns als Partner, da hat sich ein Miteinander entwickelt“, stellt Harald Knoche fest. Der Heidschnuckenweg in der Lüneburger Heide, die Via Alpannonia in den österreichischen Alpen, der Epirus-Trail in Griechenland – überall ist ein Stück Rothaarsteigidee drin.
Heute
Was wie damals ist: Der Rothaarsteig lockt Menschen. Um die 420.000 Langstreckenwanderer im Jahr, die unterwegs auch übernachten. Und um die 1,3 Millionen Tagestouristen. Dass sie 49 Millionen Euro Umsatz machen und dem Staat 5,3 Millionen Euro Steuereinnahmen bescheren, ist wichtig für Menschen, die mit Geld und Zahlen umgehen. Für die Idee des Rothaarsteigs sind die Menschen wichtig: Wanderprofis, für die das Abwandern der Fernwanderwege dieser Welt den Kick an sich ausmacht. Und die, die Monika Dombrowsky, die Touristikerin des Kreises Siegen-Wittgenstein, „Erstwanderer“ nennt. Leute, die nicht mit Wanderkarte oder gar Kompass losziehen, sondern es sich einfach beim Unterwegssein gut gehen lassen wollen. „Mit einem großen Bedürfnis nach Sicherheit und Orientierung“, sagt die Vorsitzende des Rothaarsteig-Infrastrukturvereins, „und das erfüllt der Rothaarsteig exquisit.“ Verlaufen kann man sich tatsächlich nicht. Man muss sich noch nicht einmal entscheiden, wo man eigentlich hin will. „Ein Anruf genügt, und das Wandererlebnis wird organisiert.“
Fakten
11.300 Wegezeichen und 800 Wegweiser schaffen Orientierung am Rothaarsteig.
Fünf Landschaftsrahmen, vier Aussichtsplattformen, 15 Stege, zehn Brücken und eine Hängebrücke bringen Abwechslung auf die Strecke.
Elf Quellen und vier Heidelandschaften sind auf dem Weg zu sehen.
Dass das Interesse an dem 20 Jahre alten Weg nicht nachlässt, ist wohl auch der Pandemie zu verdanken: Seit 2020 habe die Zahl der Zugriffe auf die Rothaarsteig-Homepage um 67 Prozent zugenommen, berichtet Katharina Schwake-Drucks vom Rothaarsteig-Marketing. Wovon das Gastgewerbe und die anderen touristischen Anbieter allerdings nicht profitieren. Sie trifft der Lockdown wie alle anderen auch. Da wundert es nicht, dass ein anderer Trend spürbarer wird: eine verstärkte Nachfrage nach Trekking-Plätzen, vor allem von jüngeren Wanderern. „Wir sind mit legalen Möglichkeiten noch nicht so gut ausgestattet“, stellt Harald Knoche fest, „wir sind aber auf der Suche nach Standorten.“
Morgen
Trekking ist neu. Aber nicht nur das. „In einem oder zwei Jahren werden wir grandiose Aussichten haben“, sagt Harald Knoche. Da, wo der Wald weg ist, den die Borkenkäfer kaputtgefressen haben. Spätestens dann, wenn die Holzabfuhr vorbei ist und mancher Forstweg wieder der Natur überlassen wird, ist das veränderte Wandererlebnis möglich. Die Leute vom Rothaarsteigverein haben Übung in so was. Als Kyrill, der Supersturm, über die Wälder gefegt ist, haben sie sogar kahl gefallene Flächen gepachtet, damit die neue Aussicht nicht wieder zuwächst.
Natur ist schließlich zu allem imstande. Zu Trockensommern, die den Wald vernichten. Und zu einer Klimaerwärmung, die den Wintersportlern zu schaffen macht. Auch davon gedenkt der Rothaarsteigverein zu profitieren. „Man kann auf dem Rothaarsteig auch im Winter wandern“, sagt Katharina Schwake-Drucks und erinnert an den sonnigen letzten November. Für die Regen- und Schneetage werden dann aber doch noch ein paar Schutzhütten angeschafft. „Wir werden ein bisschen mehr Ganzjahresziel werden“, sagt Harald Knoche. Erweitert werden soll auch das Netz der Rundwege am Rothaarsteig, 13 gibt es davon bisher, sieben bis 23 Kilometer lang. „Die Leute sind nicht mehr gern so lange unterwegs.“ Drei Kandidaten für neue „Rothaarsteig-Spuren“ gibt es derzeit. Die werden jetzt geprüft und zertifiziert, vielleicht. Rothaarsteig ist schon was Exquisites. Immer noch.
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