Siegen. Angeklagter gibt es vor Gericht in Siegen zu: Er schlug dem Opfer mit einem Messer in der Hand ins Gesicht. Grund: Streit wegen eines Vergasers.

„Ich wollte das nicht und es tut mir auch sehr leid“, versichert der Angeklagte M., gibt das Tatgeschehen damit zugleich zu. Der 53-Jährige hat am 4. Januar 2020 einem Nachbarn mit seinem Messer das Gesicht zerschnitten, vom Ohr bis zum Mund. Dabei wurde die Arterie durchtrennt, das Opfer verlor gut drei Liter Blut, hat bis heute noch Probleme mit dem Essen und dem Gefühl in der rechten Wange. Das Schwurgericht verhandelt wegen schwerer Körperverletzung.

Der Angeklagte war sauer auf den Nachbarn, wollte diesem eine Lektion erteilen und ihm ins Gesicht schlagen. Zuvor hatte er das Messer aus der Tasche gezogen, „weil ich ihm drohen wollte“. Dann schlug er zu, vergaß die Waffe in der Hand und traf sein Gegenüber in der fatalen Weise. Der Täter versteckte das Messer in der Netphe unter einem Stein, wurde nach einem ziemlich umfangreichen Polizeieinsatz festgenommen – vier Stunden belagerten die Einsatzkräfte das Mehrfamilienhaus, während der ihnen noch unbekannte Verdächtige längst in ihrer Hand war – und gestand auch dort, nachdem er anfänglich alles abgestritten hatte. „Aus Angst“, erklärt er auf die Frage von Staatsanwalt Rainer Hoppmann.

Vor Gericht in Siegen: Angeklagter erzählt vom Streit wegen eines Vergasers

Auch interessant

„Er war davon überzeugt“, beurteilt der Beamte, der den M. vernommen hat, dessen Darstellung der Hintergründe. Da hat er nach anfänglichem Zögern und Leugnen das Gleiche vorgetragen wie auch am Donnerstag im Gericht. Sein Nachbar habe „bei Nacht und Nebel“ den guten Vergaser aus seinem Roller ausgebaut und durch dessen eigenen ersetzt. Sein Zweirad habe danach nicht mehr richtig funktioniert, der Nachbar ihm dann sogar den eigenen geliehen, damit er zur Arbeit kommen könnte.

Eigentlich hätten sie ein freundschaftliches Verhältnis gehabt. Dann wird es kompliziert. M. will seinen Vergaser im Roller des Nachbarn gesehen haben, als er diesem einmal am frühen Morgen zur Hand ging, als das andere Fahrzeug auch nicht anspringen wollte. Bei der Polizei hat der Angeklagte allerdings ausgesagt, die Sache sei ihm von dritter Hand „gesteckt“ worden.

Angriff erfolgte völlig überraschend – Opfer konnte Messer nicht erkennen

Was M. vor Gericht gar nicht erzählt, was aber durch Zeugen eingeführt wird: Nach einigen Wochen sei der echte Vergaser wieder im Roller gewesen. Der Ärger über den Vorgang hatte sich offensichtlich dennoch nicht gelegt, M. erwartete eine Erklärung oder zumindest ein Geständnis vom Nachbarn. Als dergleichen nach einigen Monaten nicht kam, sei er einfach wütend über das ewige Lügen gewesen, betont M., kann sich aber letztlich das blutige Ergebnis seines Faustschlages nicht richtig erklären: „Ich habe die Klinge extra nach unten gehalten.“

Für den Geschädigten, ein Jahr jünger, kam der Angriff völlig überraschend. Er habe mit M. einfach nicht mehr über den angeblichen Diebstahl sprechen wollen. Die Anschuldigungen seien völlig unbegründet gewesen. „Der Vergaser war mein Vergaser und nicht seiner“, sagt der Zeuge. Er habe „das Moped 14 Jahre gehabt, es war immer noch der Originalvergaser!“ Ein Messer sei nicht erkennbar gewesen, „sonst hätte ich ja reagieren können“, fügt er zur Attacke an. Danach „bin ich sofort weggelaufen, habe nach Hilfe gesucht“. Wer weiß, ob er sonst überhaupt noch am Leben wäre.

Siegen: Vor Gericht könnte es auch um Unterbringung in der Psychiatrie gehen

Der Angeklagte stand von 2003 bis 2017 unter Betreuung. Die will er selbst gewünscht und später auch wieder beendet haben. Weil er mit seinen Finanzen auch selbst wieder zurechtgekommen sei. Allerdings gebe es jetzt wieder eine, wundert er sich, wer die wohl veranlasst haben könnte. „Ich glaube, das waren wir“, stellt die Vorsitzende beiläufig fest, die eingangs schon angekündigt hatte, es könne neben einer Verurteilung auch die Unterbringung in der Psychiatrie für M. in Betracht kommen.

Gutachter Dr. Bernd Roggenwallner hatte nach einer Exploration im September 2020 eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Die macht er auch vor Gericht anhand der seltsamen Umstände um den Roller fest, daneben noch an für ihn eindeutigem Wahnerleben des Angeklagten. Der habe immer wieder – auch an diesem Morgen – von ekligen und bösen Leuten in Netphen berichtet, die hinter seinem Rücken über ihn lachten und ihn beschimpften. Drehe er sich um, sei aber niemand zu sehen.

Siegen: Gutachter hält Angeklagten vom Grundsatz her für gefährlich

Auch interessant

Darin sieht der Dortmunder Nervenarzt Hinweise auf wahnhafte Stimmen, findet allerdings Zweifel beim Staatsanwalt – und beim Angeklagten. Der beruft sich auf seine guten Ohren und will sich keine Halluzinationen unterstellen lassen. Der Gutachter kritisiert frühere Expertisen, die M. eine verminderte Intelligenz am Rande der Debilität testiert haben, das lasse sich mit dessen weitgehend normaler Lebensführung kaum vereinbaren. Vielmehr müsse sich über die Jahre eine seicht verlaufende Psychose eingestellt haben, die nach wie vor anhalte.

M. fühle sich durch Hacker verfolgt, berichte von Dingen, die immer wieder unverständlich kaputtgingen, wie sein Mobiltelefon. Tatsächlich hat der Mann kurz vorher noch erzählt, dass ständig nagelneue Ersatzteile für den Roller nach kurzer Zeit defekt seien. Grundsätzlich bejaht der Gutachter auch eine Gefährlichkeit des Angeklagten. Andererseits sei deren Intensität wiederum fraglich, weil die Krankheit bislang unbehandelt und dennoch seit mehr als einem Jahr nichts vorgefallen sei. Am Freitag soll plädiert werden.