Siegen. Ein 27-Jähriger soll bei einer Prügelei aus nichtigem Anlass einen Landwirt verletzt haben. Vor Gericht in Siegen wird klar: Es ging zur Sache.

Der Angeklagte K. ist 27 und ganz offensichtlich ein Unglücksrabe. Immer wieder gerät er in Schwierigkeiten, durch andere Leute. Er selbst hat keine Schuld. Zumindest ist es dieses Bild, das er am Dienstag im Amtsgericht vermittelt. Anfangs klingt es sogar überzeugend. Bis sein Opfer in den Zeugenstand kommt und eine völlig andere Version einer Prügelei erzählt, die sich am 8. Oktober 2020 in Niederdielfen abgespielt haben soll. Da könnte es eng werden. Allerdings hat der Angeklagte Glück. Die Vorsitzende setzt das Verfahren aus, mit Blick auf das Corona-Virus.

Zunächst einmal die Tatsachen. Der Geschädigte hatte nach der Anklageschrift mindestens ein gebrochenes Handgelenk und weitere Wunden. Nach eigenem Bekunden musste er 13 Tage im Krankenhaus verbringen. Grund soll ein hinterhältiger Überfall des Angeklagten mit einem Stock gewesen sein.

Vorfall in Niederdielfen: Beleidigungen und körperliche Gewalt – aber wer fing an?

K. darf seine Version zuerst erzählen und streitet die Vorwürfe entschieden ab. Er sei an jenem Mittag wie immer mit seinen Hunden auf dem Weg in den Wald gewesen, als der „Gegner“ mit seinem großen Traktor, „die Reifen waren größer als ich, volle Möhre auf mich zukam“. Der Weg an der Weiß sei zu schmal zum Ausweichen, ihm daher nur die Möglichkeit geblieben, auf die Wiese daneben zu treten. Das spätere Opfer sei vom Traktor gesprungen, habe ihn mit erhobener Drahtschere in der Hand beschimpft, warum er die Hunde dort ihr Geschäft verrichten lasse, ihn nicht in Ruhe gelassen, übel bedroht und beleidigt, „ich sähe mit meiner Jogginghose aus wie ein Penner.“

Aus Angst und praktisch in Notwehr habe er dann zu einem Ast gegriffen und – als der Mann nach einer Pause wieder auf ihn losging – versucht, diesem die Schere aus der Hand zu schlagen. Daraus habe sich ein gegenseitiges Prügeln entwickelt. Bis er seine – zwischenzeitlich angeleinten – Hunde genommen und in den Wald gelaufen sei. Er habe zweimal mit der Faust zugeschlagen, aber nicht getreten. Und er kenne den Mann gar nicht. „Die Hunde haben auch nicht gekackt. Die schaffen das immer in den Wald“, versichert K., kann sich höchstens ein Wasserlassen bei einem der Tiere vorstellen.

Vor Gericht in Siegen: Geschädigter schildert Geschehen sehr anders als der Angeklagte

Dann ist der Geschädigte an der Reihe, ein Landwirt, gut 20 Jahre älter. Der kam mit schlechter Laune nach einem Anruf am „Tatort“ an, weil ein Holzlaster den Weidezaun beschädigt hatte und dieser nun dringend repariert werden musste. Trotzdem will er den Angeklagten, der auf der Wiese gesessen und dabei zugesehen hätte, wie seine Hunde ihr Geschäft verrichteten, ruhig gebeten haben, das doch künftig im Wald zu erledigen.

„Ich habe ihn nicht weggejagt“, betont der Zeuge schwer atmend. Amtsrichterin Dr. Hanne Grüttner wäre es lieber, der Mann würde seine Maske abnehmen, um einen besseren Gesamteindruck zu bekommen. Er weigert sich jedoch, beruft sich auf eine gerade überstandene Lungen-OP, nach der er sich schützen müsse. Die Vorsitzende hat Verständnis, zugleich aber Bedenken und kündigt schon einmal die Möglichkeit eines Aussetzens an.

Zeuge redet sich vor Gericht in Siegen zunehmend in Rage

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Trotzdem darf der Zeuge erst einmal weitererzählen. Was er auch tut, und den Angeklagten dabei alles andere als positiv dastehen lässt. Der habe ihn völlig überraschend angebrüllt, beleidigt und bedroht: „Er habe gerade erst jemanden krankenhausreif geschlagen!“ Der Zeuge will sich zurückgezogen und abgewendet haben, um zu telefonieren, bekam dann nach seiner Schilderung den Ast auf den Rücken „und direkt gegen meine Halsschlagader. Der wollte mich totschlagen!

Er sei zu Boden gegangen, von K. danach wie wild geschlagen und getreten worden. „Ich habe diesen Menschen – wenn er denn als Mensch zu bezeichnen ist – noch nie gesehen“, redet der Zeuge sich immer mehr in Rage – bis er keine Luft mehr bekommt und Dr. Grüttner eindrücklich vorschlägt, die Verhandlung zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen: „Wenn es Ihnen besser geht , oder nach der Pandemie.“ Was letztlich Staatsanwalt und Verteidiger ähnlich sehen.

Angeklagter soll mit Hakenkreuz-T-Shirt auf Party erschienen sein

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In einer anderen Sache hat der Angeklagte schon vorher einen Rückzieher gemacht. Am 28. Juni 2020 war er bei einer Party am Sportplatz in Anzhausen mit einem problematischen T-Shirt angetroffen worden, auf dem SS-Runen und ein Hakenkreuz prangten. Dafür gab es einen Strafbefehl, gegen den K. Einspruch eingelegt hat.

Dort sei über mehrere Tage der Geburtstag eines Freundes gefeiert worden, mit Spießbraten und viel Alkohol. Allein bei ihm „anderthalb Flaschen Whisky und eine Kiste Bier“. Irgendwann sei sein letztes T-Shirt verdreckt und verschwitzt gewesen, er habe dann eins geliehen bekommen und nicht groß auf die Umstände geachtet in seinem Zustand. Und: „Es waren auch „etwas Braunere“ unter den Gästen“, lässt er sich von Anwalt Wolfgang Wehn soufflieren. Er selbst habe überhaupt keine Nähe „zu dieser Gesinnung. In meinem Schrank werden Sie solche Symbole nicht finden.“

Polizei musste 27-Jährigen mit Reizgas ruhigstellen

Wenn er doch so gar keinen Bezug zu den verbotenen Symbolen habe, solle er doch sein Verhalten gegenüber der Polizei erklären, wirft die Vorsitzende ein. K. hatte sich geweigert, das Hemd auszuziehen, die Beamten beschimpft und musste mit Reizgas ruhiggestellt werden. „Ich war voll“ erklärt er. „Ich war hackedicht und trinke sowieso zuviel“, interpretiert der Verteidiger seinen Mandanten etwas genauer, schüttelt den Kopf und geht kurz mit ihm vor die Tür. Danach erklärt er dessen angespannte finanzielle Situation, wegen der er eine Privatinsolvenz eingeleitet habe und bittet um eine Reduzierung der Strafe. Mit 1800 Euro wird dieser Teil des Vormittags abgeschlossen.