Hilchenbach. Ratsmehrheit will Aufstellung des Bebauungsplans für Gewerbegebiet. Bürgermeister sichert Information zu.
Ein bisschen Betrieb vor dem Rathaus, ein paar Menschengruppen, die einzelnen Personen mit Mundschutz und Abstand voneinander, hier und da im Gespräch mit Ratsmitgliedern, die zur Ratssitzung gehen. Zu normalen Zeiten wäre das eine Demo mit Transparenten gewesen – so nur eine große Zuschauergruppe, die sich vor dem Aufstieg zur Tribüne des Ratssaals in eine Adressenliste einträgt, die vom eigens verstärkten städtischen Ordnungsdienst bewacht wird. Die Lützeler kommen herunter nach Hilchenbach, um ihren Widerspruch gegen ein Gewerbegebiet Lützeler Heide sichtbar zu machen.
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Im Ratssaal
Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis spricht von „Missverständnissen“. Natürlich werde er die Lützeler, wie von ihnen gefordert, „umfassend informieren“. Ihre Beteiligung an der Planung „wird erfolgen – da können Sie sicher sein“. Wie die Beteiligung aussieht, erklärt sodann Baudezernent Michael Kleber, indem er Schritt für Schritt das Verfahren für einen Bebauungsplan erklärt: eine „Einleitungsphase“, zu der der jetzt vom Rat zu fassende Aufstellungsbeschluss gehört. Dann die Arbeit an einem Vorentwurf, der der Öffentlichkeit zur Beteiligung vorgelegt wird. „Wenn eben möglich“, so Kleber, nicht nur als Auslegung im Rathaus, sondern in persönlichen Terminen. Einwände der Bürger und der Träger öffentlicher Belange werden in den Bebauungsplanentwurf eingearbeitet, der dann offengelegt wird. Wieder werden Stellungnahmen gesammelt, die der Rat abwägt, bevor den Plan als Satzung beschließt.
Dass das, was der Dezernent vorträgt, nicht das ist, was die Lützeler wissen wollen, macht Annette Czarski-Nüs (Grüne) deutlich: Gewünscht werde eine Information, was auf der Lützeler Heide gebaut werden soll. „Die Lützeler wollen nicht dagegen sein, sie wollen nur informiert werden.“ Warum das nicht vor einem Ratsbeschluss über den Bebauungsplan geschehen könne, „erschließt sich mir nicht“.
Zwei Gewerbegebiete
In Lützel gibt es derzeit in zwei Bebauungsplänen Baurecht für Gewerbegebiete: bereits seit 1971 „In den Sötten“ an der Kronprinzenstraße, das jetzt um die Lützeler Heide erweitert werden soll. Und seit 1995 das Gewerbegebiet Am Lützelbach.
Darüber hinaus bestehen für Lützel Bebauungspläne für das Baugebiet In den Eichen (seit 1975) und für die Siedlung Lützel. Dabei handelt es sich um den Bebauungsplan Nr. 3 der damals noch selbstständigen Gemeinde aus dem Jahr 1968.
In Lützel
Es gehe „nicht um einen konkreten Projektantrag“, antwortet Michael Kleber formal korrekt, nur um die Prüfung und mögliche Schaffung von Baurecht. Dass es dafür einen konkreten Anlass gibt, steht allerdings schon in der dem Rat vorgelegten Vorlage: „Ziel ist es, die Voraussetzungen für die Erweiterung eines bestehenden Betriebs in Lützel zu schaffen.“ Der Rest ist auch kein Geheimnis: Die AST Kunststoffverarbeitung, die Fässer, Kanister und Flaschen aus Kunststoff herstellt, braucht mehr Platz, als sie an ihrem Stammsitz in Erndtebrück hat.
Das europaweit aktive Unternehmen, das Teile der Produktion schon an andere Standorte in Deutschland ausgelagert hat, hat in Lützel das Gelände der Spedition Pickhan übernommen – die wiederum Hilchenbach den Rücken gekehrt hat und nach Erndtebrück gezogen ist. Südlich des Grundstücks, auf der anderen Seite der Bahnlinie, liegt das fünf Hektar große Gewerbegebiet Lützeler Heide. Dort könnte ein Recycling-Kompetenzzentrum entstehen: AST will seine Behälter künftig auch aus wiederverwertetem Kunststoff herstellen. Was die Lützeler auch durch das Rundschreiben ihres Ortsvorstehers Dirk Becker erfahren haben: Die zehn Grundstückseigentümer der in Frage kommenden Fläche hätten sich „nicht grundsätzlich negativ“ zurückgemeldet. In einer Hilchenbacher Facebook-Gruppe haben allerdings inzwischen die Eigentümer von drei Grundstücken erklärt, dass sie ihre Fläche nicht für ein Gewerbegebiet verkaufen wollen.
Hilchenbacher Ziele
Lukas Debus (SPD) spricht sich für den Start des Verfahrens aus. „Wir sind sicher, dass die Verwaltung die Information und Beteiligung der Bürger sicherstellt. Wir werden das kritisch beobachten.“ Ulrich Bensberg (UWG) ist nicht überzeugt, die Entscheidung sei „zu voreilig“. Schließlich liege der Entwurf des neuen Regionalplans auf dem Tisch. Im Vorfeld hatte Hilchenbach der Bezirksregierung mitgeteilt, auf die Lützeler Heide zu verzichten – zugunsten von Insbach 2 und der Reaktivierung des Allenbacher Hammerwerk-Geländes. Die Stadt müsse grundsätzlich entscheiden, wo sie expandieren wolle, sagt Bensberg und macht deutlich, wo er keine Prioritäten setzt: Die Lützeler Heide bedeute „noch mehr Naturverbrauch“, mit dem angrenzenden FFH-Gebiet handele es sich um eine „schützenswerte Zone“.
Lützeler Geschichte
Auch Ulrich Bensberg (UWG) fordert, „offen die Karten auf den Tisch zu legen, was der Anrainer wirklich vorhat“. 162 von 442 Einwohnern, also gut jeder Dritte, haben den offenen Brief an Rat und Bürgermeister unterschrieben. Für das Misstrauen, das ihr entgegenschlägt, kann die Neu-Lützeler Firma selbst wohl am allerwenigsten. Das Höhendorf am äußersten Rand von Hilchenbach ist gebeutelt: in mittlerweile grauer Vorzeit durch die stinkende Düngerfabrik, später durch Diskussionen über die Munitionsfabrik am Waldrand, die militärische Altlast, die als Standort erst für eine Sondermüllverbrennungsanlage und dann ein Kompostierwerk ins Gespräch kam, schließlich durch das Gewerbegebiet Am Lützelbach nahe der Bahnstation, in dem sich ebenfalls ein Unternehmen aus der (Schrott-)Recyclingbranche niedergelassen hat.
Die an der Eisenstraße gelegene Lützeler Heide ist 2000 als Gewerbefläche im Flächennutzungsplan ausgewiesen und sehr bald vergessen worden: Die Planung für die Route 57, die auch einmal „FELS“ (für Ferndorf-Eder-Lahn-Straße) hieß, nahm Fahrt auf. Zuletzt hat der Landesbetrieb Straßenbau die Planung für eine Lützeler Ortsumgehung aber aufgegeben, wegen der zu geringen Abstände zu Naturschutzgebieten. Nun kommt für die Route 57 allenfalls ein Ausbau der B 62 in der Ortslage in Frage – das Gewerbegebiet ist wieder frei.
Bei fünf Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung aus den Reihen von UWG und Grünen beschließt der Rat die Aufstellung des Bebauungsplans.
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