Siegen. Thomas Bartolosch hat angehenden Geschichtslehrern beigebracht, dass Menschen wichtiger sind als Jahreszahlen.
Historischer Hauberg in Fellinghausen, Technikmuseum in Freudenberg, Wendenerhütte. Das hört sich nicht akademisch an. Ist es aber: Ausbildungsorte, an denen Thomas Bartolosch aus Studierenden junge Geschichtslehrer gemacht hat. Sehr viel ernster im Aktiven Museum am Siegener Obergraben: „Da bin ich immer gern hingegangen.“
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Wo Geschichte nah kommt
Die Geschichte von Inge Frank, dem jüdischen Mädchen aus Weidenau, die in Auschwitz ermordet wurde, hat er oft erzählt. „Holocaust ist ein abstrakter Begriff, aber das Schicksal von Inge Frank aus Weidenau ist nachfühlbar.“ Solche Nähe kann nur Regionalgeschichte, „das packt die Studenten schon, das ist ungebrochen gleich geblieben.“
Dr. Thomas Bartolosch, der Betzdorfer, blickt zurück auf den Haardter Berg: Knapp 30 Jahre lang hat er dort, zeitweise aber auch in Gießen und Braunschweig, an verschiedenen Lehrstühlen, vor allem aber in der Geschichtsdidaktik gelehrt, und vorher hat er fünf Jahre lang das Archiv des Kreises Altenkirchen geleitet. Jetzt ist er im Ruhestand.
Der Oberstudienrat im Hochschuldienst, hatte Glück: Thomas Bartolosch konnte Regionalgeschichte zu einer Zeit vermitteln, als der Blick auf den Alltag von früher und vor allem auch auf die belastete braune Vergangenheit gefragt war. Nicht nur an der Uni, sondern auch in den Institutionen in der Stadt. „In der Oranienstraße gab es fünf oder sechs Sitzplätze. Dann war die Bude voll. Heute ist das Stadtarchiv komfortabelst eingerichtet. Da hat sich viel getan. Auch museal.“
Zur Person
Thomas Bartolosch war Kreisarchivar in Altenkirchen, bevor er 1991 an die Uni ging. Promoviert wurde er mit einer mehrfach ausgezeichneten Dissertation zum Siegerländer Textilgewerbe.
Nach der Promotion war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Historischen Statistik von Deutschland, vertrat Professuren der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, der Neuesten Geschichte und der Didaktik der Geschichte in Siegen, Gießen und Braunschweig.
Seit 2005 war er im Bereich der Geschichtsdidaktik in Siegen fest angestellt, zuletzt als Oberstudienrat im Hochschuldienst am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte von Professorin Dr. Bärbel Kuhn.
Wie Geschichte spannend ist
Für Bartolosch als Geschichtswissenschaftler und Geschichtsdidaktiker steht stets der Mensch im Blickpunk: Wie haben sie gelebt, geliebt, gearbeitet, getrauert, gekämpft, gelitten oder hatten Freude am Leben, waren sie schlecht gestellt oder gut situiert, hatten sie Einfluss oder gehörten sie zu den Unterprivilegierten? Und da war er anders als die eigenen Lehrer. Namen und Fakten pauken ist nicht sein Ding. „Mein schlechtestes Fach in der Schule war Geschichte.“ Und das gab er dann auch den nachfolgenden Generationen mit: „Jahreszahlen auswendig lernen oder den Lebenslauf großer Männer zu kennen, die Geschichte machten, war für mich kein Thema, das Schicksal von Kindern und Jugendlichen in den Fabriken der Frühindustrialisierung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hingegen schon.“
Was zu Gegenständen führt, die durchaus abseits der großen Straßen liegen, auf denen Geschichte gemeinhin vermutet wird. Die Baumwollspinnerei der Gebrüder Jung in Kirchen zum Beispiel, war schon Thema seiner Doktorarbeit: nach der Spindelzahl von 1818 bis 1838 die bedeutendste Baumwollmaschinenspinnerei in Preußen. Oder die Ansichtskarten im Siegerland und im Westerwald. Und Ötzi. Ja der. Alles andere ein tumber Steinzeit-Wilder, zu dessen Fundstelle Bergsteiger Bartolosch sich selbst in die Öztaler Alpen begeben hat. Der und seine Zeitgenossen hatten eine Menge drauf, stellt der Historiker klar. Wie man überhaupt vorsichtig sein sollte mit Klischees und Stereotypen. Der wortkarge, geizige, fromme, fremdenfeindliche Siegerländer… „Diese Vorstellungen geistern noch immer in manchen Köpfen herum, werden den Menschen aber nicht gerecht, die Individuen darstellen.“
Wo Geschichte nützlich ist
Nützlich ist Geschichte auch: Thomas Bartolosch und seine Studierenden haben einen Industrie-Lehrpfad konzipiert und eine Faltkarte zur Industriekultur in Südwestfalen herausgegeben, Quellensammlungen für künftige Forschende zusammengestellt, Ausstellungen erarbeitet, zur Auswanderung nach Nordamerika im 18. und 19. Jahrhundert zum Beispiel. Thomas Bartolosch allein hat Ausstellungen kuratiert, die das Werk der Dokumentarfotografen Peter Joseph Kirschbaum und Peter Weller weiter vermitteln.
Wie Geschichte Zukunft hat
Auch wenn alles dafür spricht, Geschichte aus der Nähe zu betrachten: Auch hier gibt es Konjunkturen. Die Globalisierung, so bedauert Thomas Bartolosch, hat auch in der Geschichte den Blick aufs Große und Ganze umgelenkt. „Das schlägt sich in den Lehrplänen nieder.“ Und damit zwangsläufig auch in der Lehrerausbildung. Eine andere Hürde ist hausgemacht: Studierende, die Lust auf Regionalgeschichte bekommen, setzen die nicht unbedingt für Siegen um, sondern eher für den eigenen Heimatort.
Aber für die, die dennoch dranbleiben, sieht der Historiker nach wie vor eine Menge Aufgaben: die Migration, den Wandel des Stadtbilds, den HTS-Bau, 1968, Hausbesetzer, die 1980er und 1990er Jahre: „Es würde sich lohnen, das aufzuarbeiten. Es gibt Quellen ohne Ende. Es ist nur eine Frage der Ressourcen.“ Und: der Umgang mit Sexualität, Geschlechtlichkeit, Gender über die Generationen hinweg. „In der Region wäre das sicher ein lohnendes Betätigungsfeld.“
Was Geschichte lehrt
Thomas Bartolosch glaubt an die Zukunft der Zunft, in der es um Vergangenheit geht. „Es gibt gute junge Leute.“ Und die Guten, das weiß er, werden sich niemals hinstellen und behaupten, man könne aus Geschichte lernen. „Quatsch“, sagt er, „Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie kann Orientierung geben.“ Er selbst geht zurück zu den Wurzeln: Ein Thema im Ruhestand wird die Baumwollspinnerei der Gebrüder Jung in Kirchen-Jungenthal.
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