Kreuztal. Seit einem Jahr lebt ein Biber in der Ferndorf. Der Verein „Route 57“ vermutet ein Manöver gegen die geplante Kreuztaler Südumgehung

Augenscheinlich lebt ein Biber seit einem guten Jahr in der Ferndorf. Seit März 2020 wurde er immer wieder in Ferndorf gesehen, er hat Fraß- und Fußspuren hinterlassen und ist wiederholt von Wildkameras gestochen scharf aufgenommen worden. Der Biber im Siegerland – sein Geschlecht ist nicht bekannt – soll nach der Nahezu-Ausrottung der Tierart in Deutschland vor 170 Jahren der erste in Südwestfalen sein, der sich wieder über einen längeren Zeitraum an einem Ort aufhält. Seitdem vor 15 Jahren das streng geschützte größte Nagetier in Deutschland im Mittelpunkt von Wiederansiedlungsprojekten steht, tritt der eine oder andere Konflikt mit Menschen auf. In Ferndorf ist der Biber in eine Diskussion rund um den Bau der Kreuztaler Südumgehung geraten.

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Biber in Ferndorf mit Fotofallen nachgewiesen

Hans-Dieter Krause, Vorsitzender der Fischereigenossenschaft Kreuztal, gilt als Entdecker des „Ferndorf-Bibers“. „Ich bin einer der wenigen, der ihn noch nicht gesehen hat“, schmunzelt er am Telefon und erzählt, wie er vor zwölf Monaten das Werk eines Bibers bemerkt hat. Kleinere Bäume waren angeknabbert, Äste teils blank gefressen: „Ich dachte erst an einen Bisam oder ein Nutri, aber das Vorgehen wäre unüblich für diese Tiere gewesen.“ Bis heute hätten Wildkameras immer wieder Bilder von dem Biber eingefangen. Krause: „Als Naturfreund freue ich mich, dass wir den Biber hier haben. Andernorts wurde er für viel Geld in Wiederansiedlungsprojekten ausgesetzt. Zu uns ist er freiwillig gekommen.“

Die Regionalniederlassung Südwestfalen des Landesbetriebs Straßen NRW bestätigt, dass „mittels Fotofallen die Existenz des Bibers in der Ferndorf im Spätsommer zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte“, so Sprecherin Julia Ollertz. Sie ergänzt, dass Haarproben des Bibers in das Senckenberg-Institut für Wildtiergenetik im hessischen Gelnhausen gegangen seien - dort werden auch Wölfe nachgewiesen. Die genetischen Untersuchungen hätten ergeben, dass es sich um einen Elbebiber (Castor fiber albicus) handelt. Fragt sich, wie der Biber ins Siegerland gekommen ist.

„Kofferraum-Biber“: Verein vermutet künstliche Ansiedlung in Ferndorf

„Route 57“ heißt das Straßenbauprojekt, mit dem das Siegerland und Wittgenstein besser verbunden werden sollen. Eine der geplanten Straßen ist die Kreuztaler Südumgehung. Der Verein „Route 57“, eine „Initiative von Unternehmern und Arbeitnehmern“, will der Öffentlichkeit die Vorzüge der Pläne nahelegen. Auf seiner Internetseite hat der Verein kürzlich ein Gespräch mit einem „ausgewiesenen Gewässerexperten“ veröffentlicht, der Zweifel an einer „natürlichen Zuwanderung“ hegt. Will heißen: Der Biber könnte im Raum Ferndorf ausgesetzt worden sein. O-Ton auf der Internetseite: „Ein Biber-Vorkommen just in dem Bereich, in dem die Kreuztaler Südumgehung verläuft, würde diese zwar nicht verhindern, jedoch spezielle Vorkehrungen erforderlich machen.“ Der Gewässerexperte prägte den Begriff eines „Kofferraum-Bibers“.

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„Uns trifft der Vorwurf, es sei manipuliert worden“, sagt Wolfgang Weber-Barteit vom örtlichen Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und beklagt, dass Naturschützern schnell unterstellt werde, sie entdeckten gerne bei Verkehrsprojekten irgendwelche seltene Tierarten. Es wäre sicher nicht im Sinne des Naturschutzes, einen Biber irgendwo aus einer Population zu entnehmen oder woanders auszusetzen, sagt Weber-Barteit. „Das wäre gar eine kriminelle Handlung, für die man mit einer Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro belangt werden könnte.“

Biologie-Professorin der Universität Siegen glaubt nicht an menschliches Eingreifen

Klaudia Witte, Biologie-Professorin an der Universität Siegen, kann sich nicht vorstellen, dass beim Ferndorf-Biber nachgeholfen wurde. „Falls er – wie behauptet – an einem Weiher und Bächen ausgesetzt wurde, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit dort nicht geblieben. Zumal es als Industriegebiet nicht sein typischer Lebensraum ist. Der Biber sucht sich seine Standorte selbst aus.“

Die Wissenschaftlerin schließt nicht aus, dass der Ferndorf-Biber – „auch wenn er sich nur langsam fortbewegt“ – entlang der Gewässer oder über Land die 138 Kilometer von der nächstgelegenen Biber-Population an der Sieg bei Sankt Augustin (Rhein-Sieg-Kreis) nach Ferndorf gewandert ist. Die Ferndorf ist ein Sieg-Zufluss. Klaudia Witte bestätigt, dass es in der Frage der Wiederansiedlung von Bibern durchaus zu Konflikten mit Menschen kommt: „Zum Beispiel mit der Forstwirtschaft wegen der Vorliebe von Bibern, Bäume zu fällen, oder mit Landwirten, weil sie gerne in Maisfelder gehen.“ Hier leisteten aber sogenannte Bibermanager wichtige Arbeit, „weil sie zwischen den Interessen vermitteln“.

Kreuztaler Südumgehung durch Ferndorf-Biber nicht gefährdet

Aus Klaudia Wittes Sicht ist der Biber als „Landschaftsarchitekt elementar wichtig für ein funktionierendes Ökosystem“. Er staue Gewässer auf und schaffe Lebensräume für viele andere Tierarten: „Amphibien, Libellen, fischfressende Vögel, Otter und Marder beispielsweise profitieren von ihm“.

Reiter gegen Route 57

Einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG)Münster zufolge darf die 2,5 Kilometer lange Kreuztaler Südumgehung zwischen den Ortsteilen Buschhütten und Ferndorf vorerst nicht gebaut werden. Die OVG-Richter halten den Planfeststellungsbeschluss der Arnsberger Bezirksregierung für „rechtswidrig“.

Geklagt hatte der Reit- und Fahrverein Kindelsberg, der sich durch das Straßenbauprojekt in seiner Existenz gefährdet sieht.

Der Biber ist eine „planungsrelevante Art, die bei Straßenbauprojekten berücksichtigt werden muss“, sagt Straßen-NRW-Sprecherin Julia Ollertz und betont, dass die Kreuztaler Südumgehung durch den Ferndorfer Biber nicht gefährdet ist. Aber es müssten „Artenschutzmaßnahmen getroffen werden“. Welche das sind – das werde bis zum Frühjahr noch ermittelt. Sie könnten eventuell Auswirkungen auf „Rahmenbedingungen der Bauausführung haben, wie zum Beispiel zusätzliche Schutzmaßnahmen für das Revier des Bibers.“

BUND-Mann Wolfgang Weber-Barteit will nur, so sagt er, „dass es dem Biber in der Ferndorf gut geht, dass dem für das Ökosystem so wichtigen Landschaftsgärtner größtmöglicher Schutz zuteilwird“. Es könne auch sein, so der Naturschützer weiter, dass der Biber bald keine Luft mehr im Raum Ferndorf hat und wegzieht. „Das wäre wahrscheinlich die einfachste Lösung.“

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