Siegen-Wittgenstein. Andreas Müller und die Siegen-Wittgensteiner Bürgermeister drängen auf eine „verlässliche Corona-Politik“. Scharfe Kritik am Land NRW.
Landrat Andreas Müller hat die Bürgermeister der elf Städte und Gemeinden im Rahmen einer virtuellen Ortsbehördenkonferenz über die aktuelle Corona-Situation in Siegen-Wittgenstein und den Stand der Impfungen informiert. Dabei machte Müller auch aus seiner Verärgerung über die Bundes- und Landespolitik keinen Hehl – was auf breite Zustimmung stieß.
Gemeinsam mit Walter Kiß, dem Vorsitzenden der Bürgermeisterkonferenz, fordert der Landrat ein Ende des Impfchaos und eine verlässliche Corona-Politik. „Vor einem Jahr hat niemand damit gerechnet, dass wir heute schon über einen Impfstoff verfügen würden – und jetzt sind sogar schon drei zugelassen: ein unglaublicher Erfolg von Forschung und Wissenschaft! Eigentlich müssten wir alle in Hochstimmung und stolz auf das sein, was wir erreicht haben. Stattdessen herrscht Frust, wohin man auch schaut!“, stellt der Landrat fest.
„Hektischer Aktionismus auf dem Rücken der Kreise und Städte und Gemeinden“
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Schuld daran sei eine desaströse Corona-Politik von Bund und Ländern und ein absolut unnötiges Schwarzer-Peter-Spiel. „Da wurde nicht mit, sondern gegeneinander gearbeitet. Ministerpräsidenten haben ständig versucht, sich zu übertrumpfen – mal als ‚harter Hund‘, dann als größter Lockerer – gepaart mit einem hektischen Aktionismus auf dem Rücken der Kreise und Städte und Gemeinden.“
Als man innerhalb weniger Tage bis Mitte Dezember 53 Impfzentren in NRW aus dem Boden stampfen musste, wusste jeder, dass diese vor Ende Januar ohnehin niemals in Betrieb gehen würden. Trotzdem mussten Verwaltungen und Handwerker praktisch rund um die Uhr arbeiten, um eine völlig sinnfreie Terminvorgabe einzuhalten. Von einem wertschätzenden Miteinander des Landes mit den Kommunen kann leider überhaupt nicht die Rede sein“, so das Urteil des Landrates.
Erlass Freitagabend – NRW fordert Umsetzung bis Montag – oder noch früher
Zudem stellt Müller fest: „Dass wichtige Erlasse aus Düsseldorf immer erst am Freitagabend kommen und bis Montag umgesetzt werden sollen, ist inzwischen leider die Regel. Was aber am vergangenen Freitag passiert ist, ist an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten“, kritisiert der Landrat scharf: „Um 18.48 Uhr haben wir per Mail über den Landkreistag erfahren, dass ab Montag in den Krankenhäusern wieder geimpft werden kann. Die entsprechende Bestellung der Impfdosen musste noch am gleichen Abend im Webshop bis 23.59 Uhr abgeschlossen sein. Für ein solches Vorgehen abseits aller Realität fehlt mir jegliches Verständnis. Das hat mit einer planvollen Corona-Politik überhaupt nichts zu tun!“, so Müller.
Wenn der NRW-Ministerpräsident von einem „gelungenen Impfstart“ spreche, sei er vermutlich so ziemlich der einzige in NRW, der das so sieht. Selbst die Kassenärztliche Vereinigung habe zuletzt von einer „Zerreißprobe“ gesprochen und immer wieder neue technische Schwierigkeiten bei der Impf-Anmeldung eingeräumt. Dass sich die Landesregierung bis heute weigert, dezentrale Impflösungen in den Flächenkreisen zu ermöglichen, fügt sich aus Sicht des Landrates nahtlos ins Gesamtbild ein.
„Keine Parteipolitik“ – auch CDU-Vertreter kritisieren Schlingerkurs
Müller betont, dass seine Kritik frei von jeder parteipolitischen Wertung ist: „Wenn einem ruhigen und besonnenen CDU-Landratskollegen wie Stephan Pusch aus Heinsberg der Kragen platzt und er öffentliche und schonungslos mit der Corona-Politik des Landes abrechnet, wird deutlich, dass es hier nicht um Parteipolitik geht, sondern ganz grundsätzlich etwas im Argen liegt“, so Müller.
Bei der Ortsbehördenkonferenz erhielten die Bürgermeister auch ein Update zur Impfsituation in Siegen-Wittgenstein: Bisher wurden rund 6000 Personen geimpft, davon etwa 1000 auch bereits zum zweiten Mal. Nach dem Impfstoff-Stopp in der zweiten Januarhälfte werden nun bis Ende dieser Woche alle Heimbewohner in Siegen-Wittgenstein zumindest einmal geimpft worden sein. Auch die Impfung des Krankenhauspersonals wurde wieder aufgenommen.
Impfung in Siegen-Wittgenstein soll nicht an organisatorischen Problemen scheitern
Mitte Januar hatte der Kreis alle über 80-Jährigen, die nicht in Heimen wohnen, angeschrieben und zur Impfung eingeladen. In diesem Brief wurde auch darauf hingewiesen, dass sich jeder, der Fragen hat oder Unterstützung benötigt, an die Corona-Hotline des Kreises (0271/333-1120) wenden kann: „Eine Impfung soll auf keinen Fall daran scheitern, dass es irgendwelche organisatorischen Probleme gibt“, bekräftigt Müller: „Im Zweifelsfall werden wir mit Unterstützung von #siwihilft Lösungen für konkrete Probleme finden!“
Der Vorsitzende der Bürgermeisterkonferenz, Walter Kiß, betont: Städte, Gemeinden und Kreis würden gemeinsam alles unternehmen, um denen, die sich impfen lassen möchten, dies auch zu ermöglichen: „Die Rahmenbedingungen sind zwar alles andere als erfreulich, aber wir werden, wie bisher, hier vor Ort Hand in Hand alles tun, um die Corona-Schutzimpfung zu einem Erfolg zu machen.“
Impfzentrum Siegen mit wöchentlich 1080 Dosen für über 80-Jährige
Für das Impfzentrum kann der Kreis laut Land bis Ende März wöchentlich mit 1080 Dosen zur Impfung von über 80-Jährigen rechnen, berichtet Müller weiter. Auf dieser Basis wurden bis 4. April 8640 Impftermine über das Buchungssystem der KVWL vergeben – womit das Kontingent bis zu diesem Termin nach aktuellem Stand ausgeschöpft ist.
Das Impfzentrum in Eiserfeld wird ab 8. Februar zunächst freitags bis mittwochs von 14 bis 20 Uhr für Impfungen der Seniorinnen und Senioren geöffnet sein. Dann sind täglich rund 170 Impfungen vorgesehen. Donnerstags ist das Impfzentrum für Mitarbeitende des Rettungsdienstes und der mobilen Pflegedienste reserviert. Das Impfzentrum wurde vom Kreis für eine Kapazität von bis zu 1500 Personen pro Tag ausgelegt, wenn eine entsprechende Impfstoffmenge zur Verfügung steht.
„Wir brauchen keinen Impfgipfel, wir brauchen Impfstoff“
„Wenn Bund und Land das Versprechen einhalten wollen, bis Ende April alle über 80-Jährigen zumindest das erste Mal geimpft zu haben, muss die Zahl der Impfdosen, die wir im April bekommen sollen, mehr als doppelt so hoch sein, wie die in den nächsten Wochen“, rechnet der Landrat vor: „Denn bei uns haben noch weitere 10.000 Seniorinnen und Senioren über 80 Jahre, die jetzt noch keinen Termin haben, einen Anspruch darauf, so schnell wie möglich geimpft zu werden“, betont Müller.
Seine Einschätzung, die er auch bereits vor dem Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten und Vertretern der Pharmaindustrie am Montagnachmittag abgegeben hatte: „Wir brauchen keinen Impfgipfel, wir brauchen Impfstoff – und erwarten, dass dieser jetzt verlässlich und planbar kommt!“
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