Siegen. Die Angeklagte, 25, möchte Sozialarbeiterin werden. Das könnte dauern: Um ihre Drogensucht zu finanzieren, raubte sie mit Komplizen Senior aus.

Die Angeklagte ist 25 und will gern eine Ausbildung machen. Sozialarbeiterin ist ihr Traumberuf, hat sie dem Gutachter gesagt. Vorher aber möchte sie in der Haft bis zum Fachabitur kommen. Dafür hat sie womöglich noch viel Zeit. Der Vorwurf vor der 1. Großen Strafkammer des Siegener Landgerichts: Schwerer Raub. Der Staatsanwalt fordert am Donnerstagmittag, 12. November, drei Jahre und zehn Monate Haft. Opfer: Ein 81-Jähriger.

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Im Frühjahr 2020 hatte sich die Frau von ihrem Freund getrennt, kam nicht mehr in die gemeinsame Wohnung. Sie kam bei einem Bekannten unter, wollte sich um ein Zimmer bei einem Siegener bewerben, der dafür bekannt war, an Menschen aus der heimischen Drogenszene zu vermieten. Eine „Freundin aus dem Methadonprogramm“ hatte ihr den Kontakt vermittelt. Einem ersten Gespräch folgt ein zweites am Tattag, 13. Mai 2020. Da hat die junge Frau allerdings schon einen Hintergedanken: Der Mann hat ihr von Bargeld in seiner Wohnung berichtet. Das will sie haben, für den teuren Drogenkonsum, gibt sie vor Gericht zu. Ihr Bekannter und sie brauchten jeder „zwei bis drei Gramm Heroin am Tag“.

Angeklagte: Späteres Opfer habe ihr Geld gegen sexuelle Dienste geboten

Sie saß beim Opfer im Wohnzimmer, zur Ablenkung, wollte zwischendurch die Tür für den Bekannten öffnen. Der sollte ins Schlafzimmer, das Geld holen und unbemerkt wieder verschwinden. So der Plan, der dann von ihrem Komplizen geändert wird. Der alte Mann habe sie in Bademantel und Unterhose empfangen, erzählt die Angeklagte, sei ihr immer näher gekommen. „Ich weiß nicht, was er erwartet hat.“ Jedenfalls habe er angeboten, gegen gewisse Dienste Geld zu verdienen. Sie habe von Freundinnen schon ähnliches gehört. Ihr Komplize müsse wohl ihre Abwehr mitbekommen haben, sagt sie weiter. Der stürmt plötzlich mit geladener Schreckschusswaffe herein, droht dem alten Mann und zwingt ihn, Geld herauszugeben. Das Opfer wird durch die Wohnung geschleift, dann mit Kabelbinder gefesselt. Das alles gibt die Frau weitgehend zu.

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Es sei allerdings nicht zu Gewalt gekommen. Ihr Bekannter habe die Waffe auch nicht drohend auf Knie oder gar Gesicht des Opfers gerichtet. Sie selbst habe die Waffe vorher einmal in der Wohnung ihres Mittäters gesehen, aber nicht gewusst, dass er sie dabei hatte. Die beiden erbeuteten 2085 Euro, stahlen Haus- und Autoschlüssel und den dazugehörigen BMW, fuhren in ihre Wohnung, um Drogen zu nehmen, dann nach Bonn. Dort wurde der Wagen ein paar Tage später sichergestellt. Mit der Waffe.

Junge Siegenerin nimmt neben Heroin seit Jugendzeiten viele Drogen

Die Angeklagte ist schon früher verhaftet worden. Mit dem Geld seien Drogen gekauft worden, erzählt sie. Dabei setzte sie sich eine Überdosis und kippte um. Aufregung und Wiederbelebungsversuche schreckten eine Nachbarin auf, die unverzüglich die Polizei alarmierte. Einem Beamten hat das Opfer erklärt, die Angeklagte habe ihm sexuelle Avancen gegen Gewalt gemacht, die er aber nicht wollte. Der Mittäter, „dieser Russe“, habe ihm einen Zahn ausgeschlagen – was die Kammer erstaunt, weil davon bislang keine Rede war –, auch die Angeklagte habe ihn mit der Waffe bedroht und an den gefesselten Händen gerissen. Darauf gehen weder Staatsanwalt noch Verteidiger später ein.

Der Angeklagten tut es leid

Ihr tut es „wirklich sehr leid“. Auch für das Opfer, betont die Angeklagte, die noch einmal auf eine Chance pocht, ihre Schule in der Haft beenden zu dürfen. Deshalb hat sie sich auch gegen eine Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung gesträubt .

Eine freiwillige Therapie samt anschließender Adaption möchte sie gern machen. Auch, um irgendwann ihren kleinen Sohn wiederzubekommen, der jetzt in einer Pflegefamilie lebt.

Gutachter Dr. Thomas Schlömer hat der jungen Frau eine Polytoxikomanie diagnostiziert, weil sie neben Heroin regelmäßig seit Jugendzeiten große Mengen an Alkohol, Tabletten und weiteren Drogen nimmt. Am Tattag war sie für ihn nur eingeschränkt schuldfähig, hatte nebenher noch starken Suchtdruck. „Wenn Heroin da ist, geht es. Wenn nicht, kommt die Panik“, hat sie es selbst beschrieben.

Verteidiger sieht dreieinhalb Jahre Haft für Angeklagte ausreichend

Daraus resultiert für den Anklagevertreter ein schwerer Raub in einem minderschweren Fall, in Tateinheit mit Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Letzteres leitet er aus der Fesselung ab. Den Raub rechnet er der Angeklagten zu, weil sie trotz anderer Pläne nach Einsatz der Waffe weiter mitgemacht hat.

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Verteidiger Jörn Menzel weist darauf hin, dass der Überfallene bei der Polizei „ganz andere Angaben“ gemacht habe, wohl auch aufgrund des Alters nicht mehr das beste Gedächtnis habe. Mit der Staatsanwaltschaft geht er weitgehend konform. Körperverletzung sieht er aber allein beim gesondert verfolgten Mittäter. Die Freiheitsberaubung ist für ihn kein besonderer Tatbestand, sondern „typisches Verhalten bei einem Raub“. Für ihn reichen drei Jahre und sechs Monate. Immerhin sei die Frau schon ein halbes Jahr in Untersuchungshaft.

Das Urteil soll am 23. November gesprochen werden.

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