Siegen. Im Corona-Tagebuch wollen wir die Coronakrise und Lockdown-Folgen nah aus der Perspektive der Betroffenen beleuchten.

Roland Wiegel ist 22 Jahre alt und studiert seit dem Wintersemester 2016/2017 an der Universität Siegen Wirtschaftsingenieurwesen. Wieso er die Vorlesungssäle vermisst und warum er Kritik an der Universität Siegen übt, hat er uns in seinem Corona-Tagebucheintrag über seinen Alltag als Student in der Corona-Zeit geschildert. Er hat uns folgenden Corona-Tagebucheintrag geschickt:

„Seit Corona ist das Studi-Leben eher fade geworden. Als Ende März und Anfang April alle möglichen Geschäfte, wie auch sonstige Einrichtungen schlossen, lief an der Uni noch die Prüfungsphase für einige Studiengänge. Prüfungen wurden kurzfristig verschoben, aber wann und wie diese nachgeholt werden sollten, war unsicher.

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Auch ob einzelne Prüfungen doch stattfinden oder eben mit einer Verteilung auf viele kleine Standorte aufgesplittet werden, war jeden Tag eine kleine Überraschung. Die Bibliotheken haben ebenfalls erst kürzlich wieder geöffnet. Das ganze Hin und Her der Maßnahmen und Regelungen ging fließend in das Sommersemester über: Es war unglaublich ungewohnt, statt wie die Semester zuvor, an Vorlesungen und Übungen über den Laptop teilzunehmen. Zum einen war ich froh, mal bis kurz vor knapp schlafen zu können und nicht „in vollen Zügen“ auf dem Weg zur Uni das Studi-Leben „genießen“ zu müssen, doch das alles täuscht nicht über das surreale Gefühl hinweg, im Schlafanzug und Kaffee aus der eigenen Maschine vor einem Bildschirm mit zahlreichen anderen Studis den Ausführungen eines Professors zu folgen.

Siegener Student vermisst die Vorlesungssäle

Ich hätte nie erwartet, die beängstigend großen Vorlesungssäle so sehr zu vermissen wie diesen Sommer. Denn schließlich sind in der eigenen Wohnung immer Kleinigkeiten, die zum Ablenken einladen: Sei es das Geschirr von gestern Abend, der Hund, der kuscheln möchte, oder doch die Blätter im Wind, die Sehnsucht nach einem Spaziergang erwecken. Doch auch die anderen Bücher und Lerninhalte, die sich auf dem Tisch stapeln, haben bei mir oft dazu geführt, dass ich zwischen Bett und Schreibtisch kaum noch etwas anderes verfolgen konnte. Wenigstens mein Job an der Uni war einer der wenigen Gründe für mich, das Haus zu verlassen.

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Ein leerer Campus ist nach einer langen Karaoke-Nacht im Kultkaff gewiss schon beängstigend, doch bei strahlender Sonne durch leere und stickige Gebäude zu laufen, um zum Büro zu gelangen, wird mich auch noch Jahre verfolgen. Ein leerer Campus ist allerdings nicht nur gruselig, er ist auch ziemlich kontraproduktiv für ein erfolgreiches Studium. In den letzten Monaten habe ich eigentlich keine neuen Studis kennen gelernt. Doch gerade das Vernetzen und das Bilden von (Lern)gruppen ist einer der Punkte, die das Studium wirklich erfolgreich machen. Alleine kämpfen ist nur schwer und mit sehr viel Aufwand möglich, das musste ich nun auch lernen.

Siegener Student äußert Bedenken über Hybridsemester

Ohne Freizeit- und Kulturangebote der Gruppen und Referate der Verfassten Studierendenschaft hat sich das Studi-Leben in ein Abklappern von auswendiggelernten Inhalten verwandelt. Es war nicht mehr das gewohnte, gemeinsame Wachsen am Stoff und den Erfahrungen, sowie der allgegenwärtige Austausch über Politik, Studium und Freizeit. Ich werde auch nie wieder die Arbeit, die im Haushalt so anfällt, unterschätzen. Bisher hatten wir Studis das Glück, stets lecker und sehr gut zu unschlagbaren Preisen in den Mensen versorgt zu werden. Sowohl mein Geldbeutel, aber auch mein, von den sich wiederholenden Gerichten, genervter Freund, sind sehr froh, dass zumindest am Adolf-Reichwein-Campus die Essensversorgung wieder einigermaßen aufgenommen werden konnte.

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So sehr ich mir Normalität innerhalb und außerhalb des Campus wieder herbeiwünsche, so sehr bin ich jedoch auch besorgt über die Entwicklungen an der Universität. Geplant ist, dass ein Hybridsemester stattfinden soll. Wie das ganze bei einem Inzidenzwert von ca. 100 zu verantworten ist, kann ich nicht nachvollziehen. Zu viele Studis sind nicht nur für sich verantwortlich, sondern managen zudem noch die Pflege von Angehörigen oder arbeiten in einem solchen Beruf, um laufende Kosten zu decken. Ich fühle mich nicht sicher dabei, die Uni für ein Seminar zu betreten, wenn in Siegen Gastro-Betriebe schließen müssen und in der Innenstadt eine Maskenpflicht existiert.

Student kritisiert Vorgehensweise der Universität Siegen

Das Leben in der Pandemie ist, glaube ich, für keinen Menschen wirklich angenehm, doch wir alle haben eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Als Studis nehmen wir diese ernst, indem wir unser Leben stark reduzieren, wir unseren Ausgleich zum Studium möglichst in den eigenen vier Wänden ausleben, sowie alle möglichen Lern- und Wissenstransferkonzepte an unser Zuhause anpassen müssen. Viele Studis sind auf die Lernräume in und um die Standorte der Universität angewiesen. Sie sind angewiesen auf die technische Infrastruktur und die Bücher und Magazine, doch gemeinsam versuchen wir, eben trotz dieser Pandemie gut und nachhaltig zu lernen.

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Diese Verantwortung, die etwa 20.000 Studis gerade übernehmen, wird gerade gewissermaßen von der Universitätsleitung übergangen und aus eigenem Antrieb in ein Hybridsemester gequetscht. Nicht zu vergessen ist auch die Art und Weise, in der die Universität in Siegen die Möglichkeit zur Freiversuchsregelung behandelte: Wo andere, größere Unis in NRW, ihren Studis die Möglichkeiten für Freiversuche im SoSe 2020 (welche durch eine Verordnung des Landes NRW zulässig war) ermöglichten, kämpfte unsere Uni bis zum Schluss darum, diese Regelung nicht umzusetzen.

Viele Problem für den Siegener Studenten

Eine Klage wurde mithilfe des AStA eingereicht, doch statt sich der Verantwortung einer Universität zu stellen, wurde die Klage lediglich durch eine juristische Vermeidungstaktik abgeschmettert. Wäre ich nicht in Siegen zuhause, würde ich mir wirklich überlegen, noch länger hier zu studieren.

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Doch mal sehen, was diese Zeit noch so alles bringt, denn bisher war jeder Wochenanfang auch der Anfang von einer neuen Problematik, mit welcher ich als Studi während einer Pandemie konfrontiert wurde.“

Täglich sollen unterschiedlichste Menschen aus der Regionihre Sorgen und Nöte während der Pandemie schildern.

Erzählen Sie uns Ihre Geschichte: am Telefon unter 0271/23237-30 oder oder per E-Mail an siegen@wp.de.

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