Kreuztal. In der Stadtbibliothek Kreuztal lernen Kinder und Jugendliche Virtuelle Realität in vielen Facetten kennen: Es geht um mehr als „nur“ um Spiele.
Der Feuerlöscher gehört streng genommen natürlich nicht in den Mixer. Aber in der Virtuellen Realität kann man es ja mal ausprobieren! Aber nicht nur das: Eine Woche lang befassten sich Kinder und Jugendliche in der Stadtbibliothek Kreuztal mit den verschiedensten Aspekten Virtueller Realität (VR) – und damit, dass es dabei um deutlich mehr als lediglich Spiele geht.
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„Wir wollen den Jugendlichen einen Rundumschlag zum Thema bieten“, sagt Bibliotheksleiterin Linda Donalies über den Kreuztaler Beitrag zum Projekt „Total digital!“ (siehe Infobox). Mit von der Partie sind Medienwissenschaftler der Uni Siegen und die Gesamtschule Kreuztal: Erstere liefern Fachliches, von letzterer kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. „Es ist interessant zu sehen, wie Kinder sich Virtuelle Realität aneignen“, sagt Medienwissenschaftler Dr. Timo Schemer-Reinhard, der das Projekt gemeinsam mit dem Bachelor-Studenten Christian Otto leitet.
Fördermittel des Bundes
Das Projekt in der Stadtbibliothek Kreuztal wird über „Total digital!“, ein Programm des Deutschen Bibliotheksverbands, finanziell unterstützt.
Dieses wiederum erhält Mittel aus dem Förderprogramm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Stadtbibliothek Kreuztal: Einstieg in die Virtuelle Realität über Bücher
Ausgangspunkt der Projektwoche sind Bücher. Neun Jungen und drei Mädchen, alle im Alter ab zwölf Jahren, sind dabei. Im Vorfeld hat jeder ein Buch gelesen, das sich mit Virtueller Realität beschäftigt – etwa „Ready Player One“ von Ernest Cline oder „Nerve“ von Jeanne Ryan. „Wir haben dann darüber gesprochen“, berichtet Linda Donalies. Es sei um die Frage nach realen VR-Anwendungen, etwa bei Flugsimulatoren, und fiktiven VR-Szenarien wie in der Filmreihe „Matrix“, den Holo-Decks aus „Star Trek“ oder Rainer Werner Fassbenders „Welt am Draht“ gegangen. „Und darum, wie lange es das schon gibt“, sagt die Bibliotheksleiterin – denn in der Science-Fiction seien solche Ideen bereits in den 1950er Jahren aufgetaucht.
Auf Spezialpapierbögen konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Szenen aus ihren Büchern zeichnen und diese mittels selbst gebauter VR-Brillen – dafür gibt es extra Bastelbögen – in ein VR-Setting verwandeln. Erforderlich ist dafür ein Smartphone, das die Bildvorlage ausliest und für jeden Ausschnitt auf einem Splitscreen zwei unterschiedliche Bilder errechnet. Wird das Gerät dann vorne in die VR-Brille eingelegt, wird dem rechten Auge eine Ansicht gezeigt, die leicht von der für das linke Auge abweicht – ein Kniff, um das dreidimensionale Sehen in der Realität mit einer zweidimensionalen Vorlage zu simulieren.
Stadtbibliothek Kreuztal: Virtuelle Realität funktioniert auch ohne Grafik
Das Bemerkenswerte, so Timo Schemer-Reinhard, sei die Selbstverständlichkeit, mit der die Jungen und Mädchen das Prinzip begriffen hätten. Beim Zeichnen der Bilder sind nämlich Verzerrungen mitzudenken, die so in die Vorlage eingearbeitet werden müssen, dass bei Umrechnung ins 3D-Bild alles so aussieht, wie man es haben möchte. Die Leistung, einen virtuellen Raum auf diese Art imaginieren zu können, sei schon beachtlich.
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Eine andere Form der Virtuellen Realität stellten die Experten in Form von Textadventures vor. „PC- und Videospiele sind grafische Erzählungen, in denen man Entscheidungen treffen kann“, sagt der Medienwissenschaftler. Wichtig sei dem Team aber, „dass die Kinder verstehen, dass man das auch völlig ohne Grafik machen kann“. Mit einem speziellen Programm stellten die Teilnehmer Beispiele her. Das Genre hatte seine Blütezeit eigentlich in den 1980er Jahren, es gibt auch einige Bücher, die das Prinzip verwenden: Der Spieler oder Leser kann zwischen verschiedenen Handlungsoptionen wählen – und danach richtet sich, auf welcher Seite im Buch weiterzulesen ist.
Mit dem „Job-Simulator“ ins virtuelle Berufsleben
„FSK 16“, kündigt Lukas an. Der Zwölfjährige hat zusammen mit dem gleichaltrigen Francesco ein solches Adventures geschaffen – ein ziemliches düsteres: Der Spieler steht an einer Kreuzung umringt von mehreren Gegnern und Gruselgestalten und kann entscheiden, in welche Richtung er gehen will. Kleiner Tipp: Besser nicht die dämonische Erscheinung Siren-Head aussuchen. Bei Horror-Puppe Chucky stehen die Chance, als Gewinner den Ort des Geschehens zu verlassen, deutlich höher. Entscheidend: Die Virtuelle Welt entsteht hier nur im Kopf des Nutzers, da von einigen unbewegten Bildern abgesehen keine grafische Komponente vorhanden ist. Aber anders als im klassischen Roman hat der Nutzer Entscheidungsmöglichkeiten.
Sehr grafisch wird es hingegen beim „Job-Simulator“. „Wo sind die Eier?“, fragt Enzo, während er, ausgestattet mit einer Hightech-VR-Brille, die die Medienwissenschaftler mitgebracht haben, und einem Controller in jeder Hand in einer virtuellen Küche ein Frühstück zubereitet. Die Grafik hier ist aufwändig, die Tätigkeiten aus dem menschlichen Alltag vertraut – auch wenn sie in der Spielhandlung anders motiviert sind: Es handelt sich nämlich um ein Museum, in dem Roboter nach dem Ende der Menschheit an deren Leben und ihre Jobs erinnern. Es gibt auch noch eine Kfz-Werkstatt, einen Supermarkt und ein Büro. Achja, und was den eingangs erwähnten Feuerlöscher im Mixer angeht: Das funktioniert nicht. Die Zimmerpflanze allerdings, die lässt sich zu Püree verarbeiten.
Kreuztal: Kinder verstehen Unterschied zwischen Virtueller Realität und Realität genau
„Wir lassen die Kinder viel spielen“, sagt Timo Schemer-Reinhard. Die Erwachsenen machen übrigens mit. Von dem Projektleiter gibt es eine ganze Reihe Fotos, die ihn mit VR-Brille und Controllern in voller körperlicher Aktion zeigen – er befand sich in einem Feuergefecht. „Das ist schon sehr involvierend“, beschreibt er den Effekt. Die Erfahrung dieser Projektwoche bestätigte aber auch etwas Anderes: Kinder – empfohlen werden VR-Anwendungen ab zwölf Jahren – könnten in aller Regel sehr genau zwischen Fiktion und Realität unterscheiden. „Das widerlegt ein gängiges Klischee zum Thema ,Kinder und Videospiele’“.
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Das zeigt sich auch an anderer Stelle. Die Gruppe sah sich gemeinsam den Film „Ready Player One“ nach dem gleichnamigen Roman an. In der Geschichte verbringen Menschen einen Großteil ihrer Zeit in einer aufregenden virtuellen Welt unbegrenzter Möglichkeiten, anstatt sich mit ihrem realen Leben zu beschäftigen. „Wir haben die Kinder gefragt, ob sie es denn erstrebenswert fänden, in so einer virtuellen Welt zu leben“, sagt Linda Donalies. Die überraschende Antwort sei „Nein“ gewesen. Nicht nur wegen der dystopischen Elemente der Erzählung, sondern aus ganz real-weltlichen Gründen. „Ein Junge fragte: Was wäre denn dann mit Mama und Papa?’“
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