Hilchenbach. Integrationsarbeit hatte in Hilchenbach schon einmal mehr Tempo: Im Sozialausschuss melden sich kritische Stimmen.
Jeder zehnte Hilchenbacher ist Ausländer: Genau neun Prozent der Einwohner haben keinen deutschen Pass, das sind 1410 Personen. In Dahlbruch, der meist von der Stadt bestimmten Adresse für Geflüchtete, sind es sogar 13,6 Prozent, in Müsen dagegen nur 6,4 Prozent. Größer geworden ist in den letzten zwei Jahren der Anteil der Kinder und Jugendlichen: Über 30 (vorher: knapp 22) Prozent der Nichtdeutschen sind unter 20.
Integration, so macht Sozialpädagogin Verena Simonazzi deutlich, ist kein Thema ausschließlich für Geflüchtete. 2018 waren die italiensche, türkische und polnische Staatsangehörigkeit am stärksten in der Gruppe der Nichtdeutschen vertreten. 2020 stellten die Menschen mit polnischen, rumänischen und türkischem Pass die stärksten unter 91 Nationalitätengruppen. „Die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern könnte auch für uns ein wichtiges Thema werden“, sagte Verena Simonazzi, die im Sozialausschuss über die Umsetzung des Integrationskonzeptes berichtete.
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Das läuft
Verena Simonazzi nennt Beispiele: Ehrenamtliche werden unterstützt, für die Beschäftigungssuche werden Ausbildungs-, Beschäftigungs- und Praktikumsangebote recherchiert, es gibt Hilfe beim Abfassen von Bewerbungen und die Workshops „Fit for Work“. Junge Eltern werden betreut, die Stadt macht Willkommensbesuche in Familien mit kleinen Kindern, in einem „Ankommenstreffpunkt“ – das war das Haus ErnA – werden Begegnungen ermöglicht.
Zahlen aus den Schulen
20,6 Prozent der Realschüler und 5,2 Prozent der Gymnasiasten sprechen zu Hause nicht Deutsch als „Verkehrssprache“. Das geht aus dem Integrationsbericht der Stadt Hilchenbach hervor.
38,5 Prozent der Müsener und 20 Prozent der Hilchenbacher Grundschüler, 31,7 Prozent der Realschüler und 19,8 Prozent der Gymnasiasten in Stift Keppel haben eine „Zuwanderungsgeschichte“.
Das läuft nicht
Die Sprachkurse reichen nicht aus. Angeboten würden nur die unteren Levels A 1 und A 2, berichtet Karsten Barghorn (Grüne), die für einen Berufsanstieg mindestens erforderlichen B-Kurse gebe es kaum. „Daran scheitert jegliche Integration.“ Dem Hinweis von Verena Simonazzi, dass es an geeigneten, tagsüber nutzbaren Räumen fehle, lässt Tomas Irle (CDU) nicht gelten: Das ehemalige Haus ErnA, laut noch nicht aufgehobenem Ratsbeschluss zum Abbruch bestimmt, steht leer, „da gibt es Räumlichkeiten.“ Ulrich Bensberg (UWG) verweist auf das leerstehende Müsener Gemeindezentrum – für Menschen ohne Auto zu abgelegen, winkt Verena Simonazzi ab.
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Der Einstieg in den Beruf werde nicht genug gefördert, kritisiert Katrin Fey (Linke): „Das Tempo ist eher bescheiden, seit vier Jahren wursteln wir Ehrenamtlichen da rum.“ „Das kostet viel Zeit und Personal“, erwidert Verena Simonazzi. Karsten Barghorn (Grüne) verweist darauf, dass Jobcenter und Arbeitsagentur zuständig seien – vorausgesetzt, der Aufenthaltsstatus ist gesichert.
Wohnen: Carsten Irle (CDU) berichtet von einer „ziemlich schwierigen Lebenssituation“. Zehn Personen seien in einer 60-Quadratmeter-Wohnung untergebracht – mutmaßlich von demselben Vermieter, der bis zur behördlichen Schließung eine ähnliche Unterkunft in Müsen betrieben hat. Gerade in Zeiten von Corona könne das gefährlich sein. „Solche Wohnbedingungen sind nicht dazu angetan, Akzeptanz zu fördern.“ „Da muss nachgeguckt werden“, fordert Dirk Roth (SPD).
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Die Suche nach einem Raum für einen Treffpunkt ist schwierig. Die Anmietung des ehemaligen Stadtcafés scheiterte, zuletzt auch der Einzug in einen leerstehenden Laden in der Hilchenbacher Straße. Immer hätte vorher eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung beantragt werden müssen, erinnert Verena Simonazzi. Die Vermieter springen dann ab, „das hat uns das Genick gebrochen.“ Aktuell werden im Gerberpark Gespräche geführt. Katrin Fey (Linke) drängt, „die Projekte endlich mal wieder in Schwung zu bringen“.
Die so genannte interkulturelle Begegnung wünscht sich auch der internationale (Männer-)Treff in Dahlbruch. „Die Anbindung an die einheimische Bevölkerung gibt es nicht“, stellt Karsten Barghorn (Grüne) fest, „da dürfen wir uns nichts vormachen.“ Wenn die Einheimischen nicht zu den Zugezogenen kommen, müssen die Zugezogenen eben die Einheimischen aufsuchen, empfiehlt Tomas Irle (CDU).
Ulrich Bensberg (UWG) fordert einen runden Tisch für die Integrationsarbeit: „Man hört, dass Ehrenamtliche sich frustriert zurückgezogen haben. Das darf man nicht zulassen.“
Das ist geplant
In Arbeit ist ein internationales Kochbuch – „um gemeinsam über den Tellerrand zu schauen“, sagt Verena Simonazzi.
Ab Oktober gibt es in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Deutschkurse für Mütter, während die Kinder in der Kita sind, an zwei Tagen in der Woche in Müsen, an einem oder zwei Tagen in Hilchenbach.
Yoga für Mädchen mit Fluchthintergrund soll Selbstbewusstsein fördern, beruhigen und helfen, Gedanken zu sortieren. Die Idee sei bei der „Spiel-Mit“-Spielplatztour des Kinder- und Jugendbüros im Sommer entstanden – Mädchen fielen dort auf, weil sie sich nicht aufs aktive Mitmachen einlassen konnten.
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