Netphen. Alle müssen mit der Corona-Quarantäne rechen: So bereiten sich in Netphen Schulen auf Zeiten mit leeren Klassenräumen vor.

Die 7 b war ganz schön munter an diesem Vormittag, trotz Maske. Nach der Pause wird es ruhiger: Im Klassenraum der 9 a ist Lehrer Nico Meyer nämlich allein. So lange jedenfalls, bis er seine Klasse in der Videokonferenz begrüßt – die Mädchen und Jungs sind noch für ein paar Tage in Quarantäne. Der Deutschkurs in der Q 2 dagegen weiß, dass Lehrerin Linda Berg heute nicht kommt. Also nicht persönlich. Sie schaltet sich gleich auf die Ipads der Abiturienten auf. Quarantäne eben.

Frau Berg und Herrn Meyer gibt es am Gymnasium Netphen nicht. Aber das Szenario in Zeiten von Corona könnte schon hin und wieder genau so aussehen. Distanzunterricht ist das. Nicht mehr das Improvisieren wie beim Lockdown, als drei Wochen vor Ostern die Schulen dicht gemacht und die Kommunikation mit E-Mails aufrecht erhalten wurde.

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Wie funktioniert das?

Ohne die richtige Ausstattung gar nicht. Rund 540.000 Euro stehen aus dem Digitalpark Schule in der Stadt Netphen bereit, die je zur Hälfte für den WLAN-Ausbau und de Ausstattung mit Endgeräten und digitalen Tafeln verwendet werden Hinzu kommen die Sofortausstattungsprogramme, mit denen der Bund auf Corona reagiert. Rund 175.000 Euro bekommt die Stadt für Tablets. Damit können 202 Geräte für Lehrkräfte und 235 für Schülerinnen und Schüler angeschafft werden.

Nur drei Schulen haben komplettes WLAN

1817 Kinder und Jugendliche gehen in Netphen zur Schule, davon 641 zum Gymnasium und 354 zur Sekundarschule. Für sie sollen insgesamt 235 Ipads beschafft werden.

Nur Gymnasium und Sekundarschule haben bisher Internetzugänge mit mehr als 50 Mbit Bandbreite. Die Grundschulen haben 100 Mbit, nur die Dreisbachtalstandorte haben mehr.

Über WLAN im gesamten Schulgebäude verfügen derzeit nur die Sekundarschule, die Dreisbachtalschule in Dreis-Tiefenbach und die Grundschule Deuz.

„Wir haben bei den Familien gefragt, wo der Schuh drückt“, berichtet Eckhard Göbel, Leiter des Gymnasiums. Die Schüler-Ipads bleiben in der Schule und werden im Quarantänefall an die betroffene Klasse ausgegeben. Das ist der Plan, „solange das Damoklesschwert über uns schwebt“, sagt Sandra Sippel, kommissarische Leiterin der Sekundarschule. Später dann werden die Ipads an Schüler ausgeliehen, die Bedarf haben Auch über Leasing-Modelle wird nachgedacht. „Ganz langfristig wünschen wir, dass Kinder mit ihren Geräten aus der Grundschule auch an die weiterführenden Schulen gehen“, sagt Annette Kramps, Leiterin der Grundschule Netphen.

Zuständig für die technische Ausstattung ist die Stadt. Und auf die lassen die drei Schulen nichts kommen. Wenn Unterstützung gebraucht werde, „sind die sofort da“, berichtet Sandra Sippel. „Die tun alles“, bestätigt Eckhard Göbel, „manchmal höre ich von Kollegen aus anderen Städten: Wisst ihr eigentlich, wie gut es euch geht?“

Wie bereiten sich die Schulen vor?

Gymnasium und Sekundarschule haben auf ihren Internetseiten selbst gemachte Videos für Schüler und Lehrer, in denen der Umgang mit MS Teams und anderen Programmen Schritt für Schritt erklärt wird: wie man Kanäle einrichtet, wie Gruppenarbeit funktioniert, wie man Aufgaben hochlädt. „Die wurden extrem gut genutzt“, sagt Eckhard Göbel und spricht von einer neuen, in wenigen Monaten gewachsenen „Fortbildungskultur“.

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Ist die Distanz-Schulstunde anders?

Eckhard Göbel erzählt von der Lehrprobe einer Referendarin, mit Gruppenarbeit, Diskussion, Arbeitsblättern. Würde die komplette Schule dicht gemacht, „wäre das unproblematisch“, glaubt er. In den Computerräumen könnten mehrere Lehrerinnen und Lehrer sogar nebeneinander ihre Klassen fern-unterrichten, solange das WLAN noch nicht überall ist. Die Headsets und die Kameras sind da.

Wie sehen die ersten Erfahrungen aus?

„Wir möchten die Kinder darauf vorbereiten“, sagt Annette Kramps. Keinesfalls sollten Eltern, die selbst zur gleichen Zeit im Homeoffice arbeiten, ihre Kinder für den Schultag an die Hand nehmen müssen. Nähe muss auf jeden Fall hergestellt werden, weiß die Rektorin aus den Erfahrungen vor den Ferien: „Unsere Eltern fanden es ganz schlimm, dass die Kinder sich nicht sehen konnten.“

„Beim Shutdown hat es relativ gut geklappt“, sagt Sandra Sippel. Lehrer und Schüler haben sich in Teams-Videokonferenzen getroffen. Kopfzerbrechen machen die Kinder, die davon aus unterschiedlichen Gründen abgehängt sind. „Wie schafft man es, die Lücken zu schließen, damit alle dabei sein können?“

„Die Klasse 5 war die schwierigste“, berichtet Eckhard Göbel, „da musste die Mama dabei sein.“ Das Schlüsselwort ist „selbstreguliertes Lernen“. Das, so Göbel, hätten selbst Oberstufenschüler als „viel anstrengender“ bezeichnet. „Gerade die Kleinen haben Probleme, sich den Tag einzuteilen“, weiß Sandra Sippel, „wir haben ihnen deshalb eine klare Struktur vorgegeben.“ Und, auch das ist eine Lehre der letzten Monate: „Sie müssen die Lehrer direkt sehen.“

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Lernen die Schüler genauso viel?

Nicht den kompletten Stoff, räumt Annette Kramps ein, „aber dafür lernen Kinder in der Zeit andere Dinge.“ Maske, Lüften, Zwischenpausen: „Die Stunden können nicht so effektiv genutzt werden“, bestätigt Sandra Sippel. Nicht die Abiturienten dieses Jahres, denen nicht mehr viel Unterricht verloren gegangen ist, waren die Leidtragenden, betont Eckhard Göbel: Die jetzige Q 2 sei „viel härter getroffen“. Das Abitur 2021 ist bereits um drei Woche verschoben worden. „Wenn ich darf, werde ich in dieser Zeit ein Trainingslager für die Abiturienten einrichten.“ Den Hygienekonzepten zum Opfer gefallen sind die Arbeitsgemeinschaften und Projekte mittags und nachmittags, weil sich da die Gruppen gemischt hätten. Die beiden weiterführenden Schulen nutzen die Zeit für Extra-Stunden vor allem in Mathe und den Fremdsprachen.

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Was erwarten die Schulen?

Womöglich hin und wieder Quarantäne-Anordnungen, „Aber das sind ja keine Dauer-Distanzsituationen“, sagt Eckhard Göbel, nicht mehr wie von Ostern bis Sommer, sondern halt mal hier, mal da bis zu 14 Tage.

„Wir hängen emotional unglaublich an unseren Kindern“, stellt Annette Kramps fest. „Wir auch“, stellt Eckhard Göbel klar. „Aber ihr seid sachlich“, beharrt die Grundschulrektorin, „Distanz ist psychisch sehr schwierig.“

„Pandemie macht keine Freude, das ist extrem anstrengend für alle“, stellt Eckhard Göbel fest, „aber man kann stolz sein, wie sich alle der Situation stellen.“ Annette Kramps hofft: „Aus jeder Krise kann man gestärkt herausgehen.“

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