Netphen. Sebastian Zimmermann will Bürgermeister von Netphen werden, Paul Wagener will es bleiben. Zwei unterschiedliche Typen, die hier zu Wort kommen..
Paul Wagener wandert. „Das macht den Kopf frei, schafft völlig neue Perspektiven und Eindrücke.“ Im Wahlkampf gern auch in Gesellschaft – zum Beispiel auch mit ihm gegenüber kritisch eingestellten Menschen. „In Deuz hatte ich sie dann überzeugt.“ Die zweite Tour endet frühzeitig in Beienbach bei Uli Brück im Garten, geschützt vorm Sturzregen, mit frisch gebackenen Waffeln.
Sebastian Zimmermann war auch da, im Sonnenschein. Im Facebook-Video gratuliert er den Beienbachern zum Titel „Cooles Kaff“: „Nodda, ihr Schisser...“ Mit Sonnenbrille, echt cool.
Sie haben nicht viel miteinander gemeinsam. Man vermeidet, den Namen des anderen auszusprechen. „Der Kandidat“, sagt Wagener über Zimmermann. „Der Amtsinhaber“, sagt Zimmermann über Wagener. Beide sind Juristen, haben sich auch schon bei Gericht getroffen, natürlich auf unterschiedlichen Seiten, als Sebastian Zimmermann noch als Rechtsanwalt gearbeitet hat.
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Paul Wagener
Ein Sommer-Wahlkampf unter Corona-Bedingungen. Paul Wagener nimmt die Leute mit auf seine Wanderungen, kommt zu den Infoständen der UWG, die die Kandidatur des parteilosen Bürgermeisters für eine dritte Amtszeit unterstützt, wendet sich im wöchentlichen Video-Podcast vor wechselnden Kulissen mit wechselnden Gesprächspartnern an die Netphener. Gerade zu Beginn von Corona, sagt er, „gab es einen wahnsinnigen Informationsbedarf.“
Zur Person
Paul Wagener (58) ist gebürtiger Brauersdorfer. Er machte sein Abi am Löhrtor und studierte Jura in Bonn, arbeitete als Rechtsanwalt. Ab 1992 war er, zuletzt als Oberregierungsrat, Referent im thüringischen Sozialministerium in Erfurt.
2009 wurde Paul Wagener zum ersten, 2014 zum zweiten Mal zum Bürgermeister der Stadt Netphen gewählt.
Sebastian Zimmermann
„Tacheles mit Zimmermann“ nennt Sebastian Zimmermann seine frühabendlichen Dorftreffs. „Dort kommen die Leute auch miteinander ins Gespräch“, erzählt er. Allzu viel Gelegenheiten gab es dafür in den letzten Monaten auch nicht. Manchmal kommen dabei sogar neue Ideen heraus, in Herzhausen zum Beispiel wird die Mülleimer-Patenschaft erfunden. Und auch er setzt auf eigene Medien unter der Marke „Mehr aus Netphen“.
Sebastian Zimmermann wandert, läuft, spielt Tennis. In letzter Zeit eher weniger. Der Marathon, den er im vorigen Sommer mit seiner Wahl zum CDU-Stadtverbandsvorsitzenden und seiner Nominierung zum Kandidaten begonnen hat, produziert vor allem Pfunde. „Ich merke das an der Konfektionsgröße.“
Perspektiven:Was angesagt ist
Sebastian Zimmermann
Da ist ja nicht nur der lange Weg, um sich in Netphen wieder bekannt zu machen – dass er als Abiturient 1999 schon einmal für eine Periode in den Rat gewählt wurde, wissen nur die Älteren noch. Da ist ja auch noch sein Hobby: die Bühne. Theater hat er zuletzt vor drei Jahren gemacht, einmal im Jahr gastiert er immerhin noch bei „Guido Fliege“ im Lyz, aktuell hat er den „Virtuellen Hut“ als digitale Auftrittsmöglichkeit für Künstler aus der Region erfunden. Und die Hilfsinitiative Netphen, sozusagen eine Nachbarschaftshilfe für die Zeiten von Corona.
„Ich weiß gar nicht, wo ich die Zeit hergenommen habe.“ Denn da war ja auch noch das Homeschooling. Den siebenjährigen Sohn davon überzeugen, dass es wirklich sinnvoll ist, eine ganze Seite mit „ö“ vollzumalen, während die nächste Videokonferenz im Nacken sitzt. Digitale Didaktik, glaubt er, muss anders aussehen. „Die würde ich ausbauen.“ Für die heiße Phase des Wahlkampfs hat er seinen Job als Uni-Datenschutzbeauftragter auf Teilzeit gesetzt. „Den Urlaub brauche ich danach noch.“
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Sebastian Zimmermann ist 39, Paul Wagener 58.
Paul Wagener
Wagener hat die Familienzeit hinter sich – als er 2009 das erste Mal kandidierte, war Sohn Philipp schon groß genug, um Rosen zu beschaffen, die Wagener an den Infoständen verteilt. „Man verändert sich im Amt“, sagt er, „man wird sehr viel pragmatischer.“ Der Bürgermeister schätzt den Kontakt „draußen“ mit den Bürgern: „Immer zu den Menschen gehen“, beschreibt er seine Devise, „da erfahre ich am meisten.“ Und daher kommt wohl auch eine gewisse Entspanntheit: „Es ist schön, dass man so eine gute Resonanz hat. Das baut auf.“
Ob er jemals die Lust auf das Amt verloren habe? Allenfalls mal an letzten Urlaubstagen, gibt Paul Wagener zu. Meist auf irgendeiner Nordseeinsel, Juist, Langeoog, Spiekeroog, was sich dann aber ganz offensichtlich schnell wieder legt. Selbst im Rat, in dem mit zunehmend härteren Bandagen gekämpft wird, falle doch der Großteil der Entscheidungen mit großer Mehrheit oder einstimmig. „Gelegentlich ist es mal zum Schwur gekommen“, zum Beispiel bei der Einrichtung der Trampolinhalle.
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Aber sonst? „Es gibt keine CDU-Ipads, die für die Schulen beschafft werden, keine SPD-Löcher in den Straßen, keine UWG-Wiesen, die gemäht werden müssen.“ Sagen will der Bürgermeister, der vor langer Zeit einmal in der CDU war, dass Parteipolitik nicht sein Ding ist. Womit er dem Herausforderer gar nicht so fern ist, der neben der FDP neuerdings auch die Grünen hinter sich weiß: „Auf kommunaler Ebene hat das Parteibuch nicht so viel zu sagen“, glaubt Sebastian Zimmermann.
Dass die Netphener Kommunalpolitik nicht in einer heilen Welt spielt, wird natürlich auch in diesem Wahlkampf sichtbar. Vor allem über Facebook-Kommentare werden die Lunten gelegt. Die Debatte über das „virtuelle Hausrecht“ in der städtischen Netz-Präsenz hat es bis in den Rat geschafft, für einzelne Postings handelt sich Paul Wagener Dienstaufsichtsbeschwerden ein, die die Kommunalaufsicht allerdings zurückgewiesen hat. Und beide Seiten schauen mit Leidenschaft hinter die Facebook-Profile – jede Querverbindung, jeder Fake ist eine Trophäe.
Paul Wagener
„Das war schon immer so.“ Paul Wageners Erinnerung reicht zurück bis zu seinem ersten Wahlkampf, als es um Zahl und Größe von Wahlplakaten ging, und zu einem Prozess um ein Foto auf dem eigenen Flyer. Dass sich die Unterstützer von einst, mit Ausnahme der UWG, abgesetzt haben, findet Wagener „menschlich enttäuschend“. Besonders in den Knochen steckt die Auseinandersetzung um den Sportpark: „Gemein“ sei es, ihm vorzuwerfen, Mittel für die Rettung der Eishalle nicht genutzt zu haben – die Ratsfraktionen selbst hätten das nicht gewollt.
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Sebastian Zimmermann
Sebastian Zimmermann war nicht dabei. Zum Thema hat er aber eine Meinung, die ihn nicht unbedingt als Freund der Trampolinhalle ausweist. Der Rat, sagt er, sei „mit fragwürdigen Unterlagen gefüttert“ worden. Da wäre es besser gewesen, breitere Zustimmung für eine andere Investition zu finden. Überhaupt: Fair miteinander umgehen, mit Verwaltung und Rat Verantwortung gemeinsam wahrnehmen – diesen Anspruch formuliert der Herausforderer, seit feststeht, dass er das Amt anstrebt.
Zur Person
Sebastian Zimmermann (39), geboren in Netphen, machte Abi am Gymnasium Netphen und studierte Jura in Bonn. Von 2010 bis 2016 arbeitete er als Rechtsanwalt, dann wechselte er zur Uni Siegen. Dort leitet er seit 2018 die Stabsstelle Datenschutz.
1999 bis 2004 war Zimmermann Ratsmitglied, seit 2019 ist er CDU-Stadtvorsitzender.
Dann argumentiert er so: „Ich will nicht Bürgermeister werden, weil ich das werden will, sondern weil ich etwas verändern will. Und das kann ich als Bürgermeister leichter, als wenn ich nur im Rat bin.“ Und Ratsmitglied wird er auf jeden Fall, wenn er bei der Bürgermeisterwahl zweiter Sieger ist. „Ich habe ein ausreichend schlechtes Gedächtnis, um die eine oder andere Enttäuschung wegzustecken“, sagt er an anderer Stelle des Gesprächs. Womöglich unterscheidet ihn auch das vom Amtsinhaber.
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Perspektiven:Was kommen soll
Sebastian Zimmermann
Was er erreichen will? Jetzt kommen die Textbausteine aus den Flyern. „Netphen wieder attraktiv machen“, sagt Sebastian Zimmermann. Zum Beispiel, „dass Netphen für junge Familien die Wohnstadt ist, wo man gerne hinzieht“ . Eine Sportstadt soll Netphen sein. Klimaschutz, Tourismus, Finanzen, Arbeitsplätze – alles wichtig.
Paul Wagener
Das Einkaufszentrum in Netphen als Ort, wo man nicht nur schnell einkauft, sondern gern lange bleibt. Das Gewerbegebiet Im Bruch in Dreis-Tiefenbach, womöglich als weiterer Campus für Technologiefirmen, die sich aus der Uni heraus entwickelt haben – die in Sichtweite ist. Das Telemedizin-Projekt mit der Uni, Das Neubaugebiet im Burggraben. Das Eisstadion. Die Ziele, die Paul Wagener formuliert, stehen längst auf den Tagesordnungen.
Nichts, was man nicht schon gehört hätte. Aber natürlich muss das jetzt wiederholt werden. Dazu ist Wahlkampf schließlich da. In Netphen zwischen zwei Typen, die unterschiedlicher kaum sein können.
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